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Engelskuss

von MyPseudonym


Wenn Engel küssen

Ganz vorsichtig, ja geradezu behutsam beugte sich der Engel über das kleine Kinderbett, in dem das neugeborene Mädchen lag und ruhig schlief. Er riss die Augen weit auf und glaubte doch nicht richtig zu sehen. Die Überraschung, die er empfand, stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Denn zu den aufgerissenen Augen hatte er auch dem Mund vor lauter Staunen weit geöffnet. Wie ein Fisch der nach Luft schnappen will, sah es aus. „Das kann nicht sein“ dachte er. „Das ist unmöglich.“ Doch er wusste nur allzu gut, dass nichts, wirklich gar nicht unmöglich war und das hier schon gar nicht. Aber wie? Und vor allem warum? Wenn sie es war und sie war es daran bestand kein Zweifel. Dann musste es dafür einen Grund geben.
Er brauchte Zeit. Er musste Nachdenken. Hatte er nicht schon die ganze Zeit, seit er sich auf den Weg zu ihr gemacht hatte dieses eigenartige Gefühl gehabt? Ja, je näher er ihr kam, desto stärker war es geworden. Aber warum hatte Gott den nichts gesagt? War es ein Test, wollte er ihn prüfen? Oder war es die Chance seinen Fehler wieder gut zu machen?
Aber wie? Nein, es war nicht die Chance seinen Fehler zu korrigieren. Dafür war es zu spät und viel zu lange her. Doch warum geschah das jetzt hier? Warum sah er sie jetzt und hier noch einmal?
Die Erinnerung überkam ihn und er sah die Bilder aus der Vergangenheit, während sein Blick immer noch auf dem Mädchen ruhte und er es nicht schafft ihn abzuwenden.
Er war ein guter Engel und hatte jede Aufgabe, die Gott ihm aufgetragen hatte gerne und gut ausgeführt und erfüllt. Gott war sehr zufrieden mit ihm. Manchmal kam es allerdings vor, dass Gott ihn zweimal rufen musste und einmal schickte er sogar Petrus, um ihn zu holen. Petrus hatte ihn deswegen richtig schlimm zusammengestaucht. Aber Gott selbst hatte nichts dazu gesagt. Vielleicht, weil Gott ja wusste, dass er ihn wirklich nicht rufen gehört hatte.
Es war nämlich so, dass es etwas gab, bei dem der Engel alles andere völlig vergaß und sich ganz dem Moment, dem Augenblick hingab. Ja, dann vergaß er sogar Gott und hörte nicht, wie dieser ihn rief.
Es waren die Babys, die Neugeborenen. Der Zeitpunkt ihrer Geburt und oft auch noch eine ganze Weile danach. Immer wenn er Zeit hatte und es ihm möglich war bei der Geburt eines Menschen dabei zu sein, dann war das das Größte und Schönste für ihn.
An jenem Tag, als Petrus ihn holen musste und ihn deswegen so sehr zusammengestaucht hatte. Da bekam er die Aufgabe, den Auftrag, der alles verändert hatte. Oh, wie hatte er sich gefreut, als er erfuhr, dass er nun von Gott befohlen und gesandt einer Geburt beiwohnen konnte. Das war ein Auftrag nach seinem Geschmack von dem er schon seit einer Ewigkeit träumte und jetzt war es soweit und sein Traum wurde endlich Wirklichkeit. Bei dieser Aufgabe würde er sich noch mehr anstrengen, als er sich ohnehin schon bei jeder anderen anstrengte und er würde sie so gut ausführen und erfüllen, dass selbst Gott über ihn staunte.
So hatte er sich freutstrahlend und guter Dinge auf den Weg zu der Hütte gemacht, in dem das Mädchen, das etwas ganz besonderes war, wie Gott gesagt ihm hatte, geboren werden sollte. Eine ganze Woche sollte er bei ihr bleiben und sie vor allen eventuellen lauernden Gefahren beschützen. Das war fantastisch, wie Urlaub und noch besser. Es war einfach das Größte, fand er. Während er noch unterwegs war überlegte er, was für Gefahren Gott gemeint haben konnte. Krankheit und Tot kamen wohl kaum infrage, denn dafür waren andere zuständig und dann hätte Gott nicht ausgerechnet ihn ausgewählt und geschickt. Also musste es etwas anderes sein. Doch er kam nicht darauf, um was es sich dabei handeln konnte. Er würde einfach alles in Betracht ziehen, auf alles achten und dann konnte ja gar nichts schief gehen.
Als er die Hütte, in der das Mädchen zur Welt kommen würde erreichte, glaubte er zu wissen, warum Gott ihn gesandt hatte. Es war eine wirklich derart armselige Behausung, dass sie allein vom Angucken zusammen zufallen drohte. Nah er würde es schon hinbekommen und dafür, dass dem Mädchen nichts geschah. Dessen war er sich sicher, als er die Hütte betrat. Die Frau war allein und die Wehen hatten bereits eingesetzt. Die Geburt stand kurz bevor. Er wunderte sich, dass niemand sonst da war und auch keiner kam, um der Frau bei der Geburt bei zu stehen und zu helfen. Vielleicht traute sich niemand mehr die Hütte zu betreten? Wohlmöglich hatte ihn dann vielleicht deshalb gesandt?
Dann ging es los und er vergaß alles um sich herum.
Obwohl die Frau alleine war und zum ersten Mal ein Kind gebar, machte sie alles richtig und wusste sich zu helfen. Doch sie war sehr aufgeregt und hatte ziemlich viel Angst. Deswegen verkrampfte sie, so dass sie groß Schmerzen hatte. Er legte ihr die Hand auf, um ihr den Schmerz zu nehmen und sie davon zu befreien. Dann kam der Kopf des Mädchens zum Vorschein und mit ihm, änderte sich der Raum und die Zeit. Er hatte schon so viele, unzählige Geburten miterlebt. Aber so etwas hatte er noch nicht gesehen, noch nie empfunden. Dieses Mädchen hatte eine Aura, deren Ausstrahlung alles durchdrang. Die durch alles hindurch ging und alles erreichte. Es war, als sei der Raum heller und wärmer geworden, als ihr Kopf das Licht der Welt erblickte. Nachdem der Kopf erst einmal raus war, verlief die Geburt leicht. Er hatte ja gewusst, dass sie etwas ganz Besonderes war. Doch damit, mit dieser Ausstrahlung hatte er nicht gerechnet. Das ging ihm durch und durch. Das Gefühl, das er empfand war einfach unbeschreiblich. Langsam und behutsam hatte er sich dem Mädchen genähert, nachdem die Frau es so gut es ging versorgt hatte und dann erschöpft einschlafen war. Er hatte sich über sie gebeugt und ihr gesagt, dass er ein Engel ist und Gott ihn gesandt hatte, um über sie zu wachen. Sie hatte die Augen geöffnet, ihn angesehen und gelächelt. Dieses Lächeln hatte ihr Gesicht so erstrahlen lassen, dass er völlig verzaubert davon war. Er hatte sich noch näher über sie gebeugt und ihr aus dem Gefühl des Augenblicks heraus einen Kuss auf die Stirn gehaucht. Als er sich bewusst wurde, was er da gerade getan hatte, war er beschämt von ihr zurück gewichen. Engeln war es streng untersagt, ja absolut verboten Menschen zu küssen. Panik hatte ihn befallen und er war kopflos aus der Hütte gerannt. Er lief und lief, als wenn er auf der Flucht war und irgendwie war er das auch. Wie konnte er nur? Wie sollte er denn jetzt noch seinen Auftrag erfüllen? Gott hatte ihn gesandt damit dem Mädchen nichts geschah und er hatte sie geküsst. Er hatte versagt, bei seinem Traumauftrag hatte er kläglich versagt. Was würde Gott sagen? Was würde Gott jetzt mit ihm machen?
Es war egal, was Gott mit ihm machte, denn jede Strafe war vollkommen angemessen und er würde sie still schweigen ertragen. Doch er schämte sich so sehr, dass er Gott nicht gegenüber treten konnte. Er irrte in der Gegend umher ohne zu wissen wo er sich aufhielt. Er wusste nicht wie viel Zeit vergangen war und ob die sieben Tage schon vorbei waren. Dann hatte Gott ihn gerufen und er brauchte seinen ganzen Mut, um Gottes Ruf zu folgen.
Als er bei Gott ankam, hatte dieser ihn bloß lange angesehen und ihn dann gefragt, ob er wisse, warum es den Engel Verboten war die Menschen zu küssen. Er hatte die Frage verneint, denn er hatte keine Ahnung. Alles was er wusste war, dass es bisher noch nicht vorgekommen war, dass ein Engel einen Menschen geküsst hatte. Er war der Erste und der Einzige, der Gottes Verbot missachtet hatte und es beschämte ihn grenzenlos.
Gott hatte ihm erklärt, dass wenn ein Engel einen Menschen küsst, dieser dann ganz genau wüsste, wie die Engel küssen. Aber unter den Menschen gab es niemanden, der wie ein Engel küsste und so würde der vom Engel geküsste Mensch sein Leben lang nach etwas suchen, was es nicht gab. Nämlich nach jemandem der küsst, wie ein Engel. Und außerdem würden diese Mensch jetzt ebenfalls küssen wie ein Engel.
Er hatte an das kleine Mädchen in der Hütte gedacht und sah die Bilder ihres Lebens. Wie sie immer und immer wieder von der Sehnsucht getrieben, versuchte jemanden zu finden, weil sie jetzt wusste, wie die Engel küssen und es war seine Schuld. Nein, das hatte er nicht gewollt. Es war nicht fair, wenn das Mädchen jetzt für den Rest ihres gerade beginnenden Lebens wegen seinem Fehler litt, weil sie sich nach dem Kuss eines Engels sehnte. So hatte er Gott nagefleht seinen Fehler gut zu machen. Aber Gott wollte das, was geschehen war nicht wieder ungeschehen machen. Er hatte ihn einfach beauftragt das Problem selbst zu lösen und ihn mit den Worten, erst wieder zurück zu kommen, wenn es gelöst war fortgeschickt.
Oh, wie verzweifelt war er gewesen und wie bitterlich hatte er geweint. Wie sollte er seinen Fehler wieder gut machen? Wie sollte er dieses Problem lösen?
Stunden, Tage , Wochen und dann Monate und Jahre waren vergangen, ohne dass er trotz größter Mühe der Lösung auch nur einen Schritt näher gekommen wäre. Er hatte nachgedacht, überlegt und immer wieder alles verworfen, um dann wieder von vorne anzufangen. Er war so niedergeschlagen und traurig die ganze Zeit. Alle die kamen, um ihm zu helfen oder aufzumuntern, schickte er fort. Seit dem Mädchen hatte er es nicht mehr gewagt einer Geburt beizuwohnen. Aber sein Herz sehnte sich so sehr danach und ihm war, als würde er sterben, wenn er nicht auf sein Herz hörte. So machte er sich eines Tages oder besser gesagt, sieben Jahre später auf den Weg, um endlich dem Wunsch seines Herzens nachzukommen und bei einer Geburt dabei zu sein.
Es war ein Mädchen, das das Licht der Welt erblickte und als er sich über sie beugt, um sie anzusehen. Da spürte er auf einmal wieder den Wunsch auch sie zu küssen. Von Panik ergriffen floh er und glaubte den Teufel in sich zu haben. Er wusste doch jetzt was geschah, wenn er einen Menschen küsste und so konnte er es nicht zulassen, dass es noch einmal passierte. So vergrub er sich noch tiefer in seinen Kummer und fühlte sich schlecht, schuldig und unfähig. Gott hatte ganz Recht, wenn er ihn nicht sehen wollte. Er würde nie eine Lösung finden und zu Gott zurückkehren können. Es vergingen weitere sieben Jahre und in diesen sieben Jahren wurde der Wunsch seines Herzens wieder einmal bei einer Geburt dabei zu sein so groß, dass er erneut das Gefühl hatte sein Herz war dabei zu sterben. So war er schließlich jetzt hier gelandet. Aus der Erinnerung zurück gekehrt, wurde sein Blick wieder deutlich und klar. Noch immer sah er das Mädchen im Kinderbett an, wie sie dort lag und ganz ruhig und friedlich schlief. Aber nun sah er, dass überhaupt gar keine Ähnlichkeit bestand und dieses Mädchen ganz anders aussah. Und auf einmal erkannte was er zu tun hatte. Da begriff er, dass er tatsächlich nichts Falsches getan hatte. Gott hatte ihn, weil er die Babys so liebte auserwählt, ihnen den Kuss der Engel zu schenken. Er hätte es viel früher erkennen können, denn Gott hatte nie gesagt, dass er etwas Falsches getan hatte. Er hat nicht einmal gesagt, dass er versagt hatte. Nur er selbst hatte sich dies vorgeworfen. Gott hatte ihn mit der Lösung des Problems beauftragt und ihm die Lösung dabei doch verraten. Warum hatte er es denn nicht verstanden? Warum musste er sich all die Jahre quälen? Warum hatte er sich selbst für etwas verurteilt, für das nicht einmal Gott ihn gestraft hatte. Warum hatte er nicht einfach getan, was sein Herz ihm sagte? Gott hatte gesagt, dass der von einem Engel geküsste Mensch dann wüsste, wie ein Engel küsst. Aber Gott hatte auch gesagt, dass sie dann ebenfalls wie ein Engel küssten. Also brauchte er doch bloß…
Er beugte sich erneut über das kleine Mädchen im Kinderbett und sagte
„Ich bin ein Engel von Gott gesandt und bringe dir sein Geschenk, den Kuss der Engel.“ Dann hauchte er ihr einen Kuss auf die Stirn und lachte zum ersten Mal seit Jahren wieder glücklich. Von jetzt an würde er auf sei Herz hören und jedes Baby küssen, wenn sein Herz es ihm sagte.
Denn jetzt wusste er, dass er auserwählt war, um den Menschen den Kuss der Engel zu bringen.

Er ist noch immer unterwegs, um den Menschen Gottes Geschenk den Kuss der Engel zu bringen. Hin und wieder fragt er sich. Wenn er ein Baby küsst schon noch, ob Gott es wohl voraus gesehen hat, dass die Mädchen deswegen auch die Mädchen und die Jungen auch die Jungen küssten,? Jedenfalls hatte es die Welt verändert und er hatte und trug noch immer dazu bei, dass es so war und auch so blieb.




copyright © by MyPseudonym. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





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