von stoner1971
Erinnerungen
Leise Tränen rinnen über mein Gesicht. Mein Umgebung nehme ich nicht wirklich war, nicht die Schäbigkeit des Hotelzimmers, nicht die durchgelegene Matratze unter mir, nicht den muffigen Geruch des abgetretenen Teppichs.
Von Fern höre ich das ferne Brausen des Verkehrs einer Stadt, die nur durch dich mein Zuhause war, wie das Rauschen des Meeres.
Wenn ich meine Augen schließe kann ich immer noch deinen Duft riechen, sehe dein Haar ausgebreitet auf den Kissen liegen, sehe deine funkelnden Augen in deinem schönen Gesicht. Ich habe mit dir und durch dich so viel erlebt, dass es für zwei Leben gereicht hätte. Aber wir hatten auch nicht so viel Zeit, um es langsam angehen zu lassen....
Im November lernte ich dich kennen. Die Umgebung hätte nicht steriler sein können. Im Krankenhaus. Als ich dein Zimmer betrat, um meinen Dienst zu versehen, leuchteten mir so unergründlich blaue Augen aus deinem blassen Gesicht entgegen, dass ich meinte, ertrinken zu müssen. Unergründlich, wie die Tiefe des Atlantischen Ozeans. Dorthin wolltest du, ein letztes Mal deine heiße Haut in seinen Wogen kühlen.
Ich kannte dich schon, bevor ich dich das erste Mal sah. Ich kannte deine Akte. Ich kannte den Weg, den du bis hierher schon hinter dir hattest. Aber ich ahnte nicht, als ich nur das Papier in den Händen hielt, dass der Weg nach vorn UNSER Weg sein würde. Mit jedem Tag der verging verlor ich mich ein kleines bisschen mehr in dir. Langsam erholtest du dich und als dein Körper endlich die Medikamente akzeptierte, bekam dein Gesicht auch wieder Farbe. Aber ich kannte das Gespenst, das dich erfasst hatte, kannte seinen Namen und wusste, wie heimtückisch er sein konnte: Leukämie!
Ich wollte dir deinen Mut nicht nehmen und freute mich mit dir über jeden Tag.
Es war Dezember, als ich dein Zimmer zum letzten Mal betrat. Das Bett war gemacht, der Nachttisch abgeräumt. Mein Herz blieb stehen. Was war passiert? Gestern ging es dir doch so gut. Entsetzen lähmte mich.
Dann spürte ich warmen Atmen an meinem Ohr und weiche Hände umschlossen meine Taille. „Ich darf nach Hause“, flüsterst du. Ich drehte mich um und küsste dich, zum ersten Mal.
Die Zeit, die folgte, wird immer zur kostbarsten meines Lebens gehören und ich hätte alles getan, um die anzuhalten. Niemals werde ich dein Bild vergessen, das Strahlen deiner Augen, selbst noch an dem Tag als du fort gingst.
Daß das Gespenst zurück war, ahnte ich längst, bevor es zu Gewissheit wurde. Vielleicht war es auch nie wirklich fort. Du wurdest schmal, deine Haut blass. Doch deine Augen sprühten noch immer vor Leben. Zurück ins Krankenhaus wolltest du nicht. Also warf ich alles hin und kam mit dir hierher.
Jeder Tag mit dir war ein Geschenk. Wir waren zusammen, nur das zählte in diesen Tagen noch.
Doch mit der Zeit wurdest du schwächer, dein Körper quittierte Stück für Stück seinen Dienst. Ich konnte nichts tun, nur dir zur Seite stehen, dir Kraft geben. Es war im August, einer der letzten sonnigen Tage. Du sahst mich an, dunkle Schatten unter den Augen, das Gesicht ausgezehrt, dein Körper kaum mehr als eine durchscheinende Hülle und trotz allem wunderschön.
„Laß mich noch einmal den Himmel sehen“. Deine Stimme war rau. Ich trug dich auf die Veranda, laufen konntest du nicht mehr. Wir saßen in der Hollywood-Schaukel und ich hielt dich in meinen Armen. Ich wusste, dass es das letzte Mal sein würde, dass wir so zusammen saßen. Und du wusstest es auch. So saßen wir, jede die Nähe der anderen bewusst. Langsam wanderte die Sonne dem Horizont entgegen, bald würde es dunkel werden. Du regtest dich in meinem Arm, drehtest mit dein Gesicht zu.„Danke“, sagst du und „Ich liebe Dich!“ Ich sah dir in die Augen.
„Ich danke dir. Dafür, das es dich gibt, dafür, das du wunderschön bist, dafür, das ich jetzt bei dir sein kann. Ich liebe Dich auch“, war meine geflüsterte Antwort. Unser Kuß war lang und sanft. Und so von süßem Schmerz erfüllt, dass es mir die Kehle zuschnürte. Dann lagst du wieder in meinen Armen und ich hielt dich. Hielt dich, bis die Sonne untergegangen war, hielt dich noch lange so. Hielt dich noch, als dein Herz längst aufgehört hatte, zu schlagen.....
Jetzt ist es wieder November, drei Jahre nachdem ich dich das erste mal gesehen hatte. Meine Sachen sind gepackt, das Haus ist aufgelöst. Nichts hält mich mehr hier. Wohin ich jetzt gehe? Ich weiß es nicht. Vielleicht werde ich an den Atlantik fahren. Sein Wasser wird mich an die unergründliche Tiefe deiner Augen erinnern, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Das ist alles, was mir von dir bleibt: Erinnerungen!
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stoner1971. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.