Um LESARION optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern verwenden wir zur Auswertung Cookies. Mehr Informationen über Cookies findest du in unseren Datenschutzbestimmungen. Wenn du LESARION nutzst erklärst du dich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.




Coming-Out » Detail

Franzi on the Beach, Kapitel 1

von KatjaStein


Ich stell hier mal das erste Kapitel meines ersten Romans "Franzi on the Beach" rein, eine leicht verrückte Coming-Out-Geschichte. Würde mich interessieren, was Ihr davon haltet...


Eins


Ach Leute, es war mal wieder einer dieser Tage! Ihr wisst schon, einer dieser Tage, an denen dich das heulende Elend packt, und du es mit einer sehr großen Tafel Schokolade oder wenigstens mit etwas Shopping auf Zalando wieder zu vertreiben versuchst. Dumm nur, dass ich Schokolade hasse. Ich mag eigentlich überhaupt nichts Süßes. Und was Zalando angeht, habe ich lange gedacht, es handle sich dabei um ein Abführmittel – jedenfalls so lange, bis ich dahinter gekommen bin, dass man bei Dulcolax keine Schuhe kaufen kann.
Ich heiße übrigens Franzi und bin gerade mal wieder neben der Spur. Okay, eigentlich heiße ich Franziska. Aber wer bitteschön will schon Franziska heißen!? Franzi ist da das eindeutig kleinere Übel. Und genau genommen bin ich nicht nur gerade, sondern eigentlich dauernd neben der Spur. Sagt jedenfalls meine Mutter. Und mein großer Bruder. Sagen im Grunde alle, die mich kennen. Außer Dennis, mein Mitbewohner. Aber der zählt nicht, der ist da irgendwie befangen.
Damit Ihr euch ein genaues Bild von mir machen könnt, hier noch ein paar Infos: Ich bin 19 Jahre alt und studiere im ersten Semester Maschinenbau. Meine Eltern halten das für eine Katastrophe. Nicht, dass ich 19 bin, wohlgemerkt, sondern dass ich Maschinenbau studiere. Sie hätten mir zu Germanistik geraten. Oder zu Anglistik. Eventuell auch zu Romanistik. Irgendwas mit „istik“ halt. Ich frage Euch: Was sind das für Eltern, die ihre Tochter allen Ernstes in ein Germanistik-Studium drängen wollten!? Man stelle sich das nur mal vor! Germanistik! Na ja, zu ihrer Verteidigung muss ich anführen, dass meine Mum und mein Dad Deutschlehrer sind; sie haben’s folglich auch nicht so ganz leicht.
Doch um meine Eltern geht es hier nicht. Nein, hier geht es ausnahmsweise mal um mich. Also: Ich sehe zumindest theoretisch aus wie eine Frau. Glaube ich meinem Personalausweis, immerhin ein amtliches Dokument, dann bin ich auch tatsächlich eine. Meine Gynäkologin wäre zudem jederzeit bereit, an Eides statt zu versichern, dass sich in meinem Unterleib alles befindet, was frau so braucht, um eine Frau zu sein. Dennoch fühle ich mich ganz und gar nicht – na ja: weiblich halt.
Nehmen wir nur mal meine Brüste. Ich habe keine. Also, ich habe schon welche, nur sind die ohne Ultraschall nicht zu erkennen. Ich bin flach wie eine Flunder, flach wie ein Brett, flach wie die Erde als sie noch eine Scheibe war. Und ja, es ist nicht unpraktisch, kleine Titten oder - wie in meinem Fall - gar keine Titten zu haben; ich kann mir den BH und damit Geld sparen. Nur: Würde ich das wirklich wollen, wenn ich tatsächlich eine richtige Frau wäre!?
Oder meine Haare! Eine einzige Katastrophe. „Kind, du musst etwas mit deinen Haaren machen“, sagt meine Mutter, egal ob sie mich gerade sieht oder nur mit mir telefoniert. „Tolle Klobürste hast du da auf dem Kopf“, wiederholt mein Bruder ständig denselben Gag. Alternativ auch: „Trägst du eigentlich noch Klobürste?“ Und wenn er ganz besonders witzig sein will, fragt er mich höflich, ob ich mich heute Morgen eigentlich wieder mit der Klobürste gekämmt habe. Ihr merkt schon, mein Bruder ist ein Arsch. Nur Dennis hat nichts an meinen Haaren auszusetzen. Aber wer hört schon auf Dennis!?
Schließlich die Männer. Ein ganz wunder Punkt. Ich kenne Männer. Jungs. Also junge Männer. Sehr viele sogar. Ich bin praktisch dauernd von Männern umgeben. Darunter auch tolle Männer, gut aussehende und total süße. Nur nimmt mich von denen keiner wahr. Jedenfalls nicht als sexuelles Wesen. Ich meine, als eine von wirklich wenigen weiblichen Studenten der Fachrichtung Maschinenbau an unserer Universität sollte sich doch angesichts der Überzahl an männlichen Studenten wenigstens einer finden, der sich für mich interessiert. Aber nein, ich werde noch nicht einmal von denen angebaggert, von denen ich eigentlich gar nicht angebaggert werden möchte.
Es war also wieder einer dieser Tage! Die ersten Wochen an der Uni liefen beschissen, und ich fragte mich langsam, ob meine Eltern nicht vielleicht doch recht gehabt haben könnten. Auch sonst war mein Leben eher trostlos. So trostlos wie das Wetter. Es regnete. Warum muss es eigentlich im November dauernd regnen!? Kann mir das mal jemand erklären!? Und warum muss es im November dauernd so deprimierend düster sein!? Hä!?
Zu allem Überfluss tropfte in unserer Küche auch noch unaufhörlich der Wasserhahn. Das nervte. Und was noch viel schlimmer war, es nervte schon seit Wochen. Da lebte ich also gleich mit zwei Männern zusammen, und keiner von beiden schien in der Lage zu sein, das Ding zu reparieren. Mal fehlte es angeblich an der nötigen Rohrzange, mal an der passenden Dichtung. Irgendwas fehlte immer. Die Jungs schien das Tropfen auch nicht sonderlich zu stören. Noch nicht einmal Dennis, obwohl ich den doch eher so eingeschätzt hätte, dass ihn ein tropfender Wasserhahn mindestens genauso wahnsinnig macht, wie mich.
Tropf. Tropf. Tropf. Mit jedem weiteren Tropfen kamen weitere Fragen. Fragen wie: Warum reicht es bei mir noch nicht einmal zu Körbchengröße A? Könnte eventuell ein Zusammenhang zwischen meinem praktisch nicht vorhandenen Busen und meinem genauso wenig vorhandenen Liebesleben bestehen? Und braucht man wirklich eine Rohrzange, um die Dichtung eines Wasserhahns zu wechseln?
Ich saß am Küchentisch mit einer Flasche Bier in der Hand, ärgerte mich über das Getropfe und schaute Dennis dabei zu, wie er auf seinen Kräutertee blies. Auch so eine Sache: Ich trank Bier, während dem Kerl in unserer Küche der Tee zu heiß war.
„Das sind doch alles nur Klischees“, sagte Dennis.
„Wieso Klischees!? Jede Frau, die ich kenne, liebt es, sich BH’s zu kaufen. Oder zum Friseur zu gehen.“
„Na ja, du kennst nicht unbedingt viele Frauen.“
„Siehst du, genau das meine ich. Als Frau müsste ich doch Freundinnen haben und mindestens eine beste Freundin. Stattdessen hänge ich dauernd nur mit dir rum. Mit einem Typen.“
Dennis grinste, nippte vorsichtig am Tee und murmelte irgendetwas in seine Tasse, wonach es in der westlichen Hemisphäre durchaus nicht ungewöhnlich sei, wenn Frauen und Männer sich treffen würden. Klugscheißer! Als ob ich irgendwas dagegen haben würde, mich mit einem, am besten natürlich: dem Mann zu treffen. Aber darum ging es ja auch gar nicht. Okay, natürlich ging es irgendwie schon auch genau darum. Die aktuelle Frage jedoch war, welche Frau, die etwas auf sich hält, den Umstand, dass sie sich nicht wirklich als Frau fühlt, ausgerechnet mit einem Kerl bespricht. Nein, dafür sind Freundinnen da, andere Frauen eben, Wesen, die einen verstehen und vor allem zuhören können. Und weil wir gerade dabei sind: Ich kann zum Beispiel überhaupt nicht zuhören. Was zum Teufel stimmt also nicht mit mir!?
„Dass du dich fragst, was mit dir nicht stimmt, ist ein eindeutiger Beleg dafür, dass du mehr Frau bist, als du denkst“, murmelte Dennis nach einem erneuten Schluck. „Ein Mann würde sich so etwas nie fragen.“
„Ach, und das ist jetzt etwa kein Klischee!“, giftete ich zurück.
Dennis war im Grunde in Ordnung. Schwer in Ordnung sogar. Er war definitiv der Normalo in unserer WG und er war ein ganz ein Lieber. Dennis konnte zuhören, klar. Er hätte definitiv in mein Beuteschema gepasst, wenn ich denn so etwas wie ein Beuteschema gehabt hätte. Doch Dennis war tabu. Erstens, weil ich viel zu feige dafür war, ihm irgendwelche eindeutigen Signale zu senden. Zweitens, weil ich auch bei ihm trotz intensiver Nachforschungen keine entsprechenden Signale entdecken konnte. Drittens, weil es aller Wahrscheinlichkeit nach ein Fehler gewesen wäre, etwas mit einem Mitbewohner anzufangen. Und schließlich, viertens, weil Dennis eine feste Freundin hatte, die zu allem Überfluss nicht nur um Längen besser aussah als ich, sondern auch noch nett war.
Während also Dennis als eindeutig psychisch gesund eingestuft werden musste, konnte man da bei Magic Mike, meinem anderen Mitbewohner, so seine Zweifel haben. Der chaotische, laute, unordentliche, übergewichtige und extrem widerliche Magic Mike. Der Magic Mike, der in allem das genaue Gegenteil von Lovely Dennis war. Wenn es überhaupt etwas Positives über ihn zu sagen gäbe, dann allenfalls, dass seine Frisur noch fürchterlicher war, als meine.
Magic Mike hieß eigentlich Michael, doch nannte ihn selbstverständlich keiner so. Noch nicht einmal die Professoren. Dabei grenzte es sowieso an ein Wunder, dass sie einem Studenten tatsächlich einen Namen zuordnen konnten. Ich wurde beispielsweise immer mit „Sie da“ angesprochen, einfach nur „Sie da“, wahlweise auch „Sie da in der zweiten Reihe“. Wahrscheinlich wird auch in meinem Abschlusszeugnis stehen, dass „Sie da“ bestanden hat. Immer vorausgesetzt natürlich, ich bestehe irgendwann tatsächlich.
Magic Mike hingegen war allen ein Begriff. Und dass, obwohl er sich eher selten an der Uni blicken ließ. Der ganze Betrieb dort ziehe ihn runter, hatte er uns erklärt, die Vibes würden einfach nicht stimmen. Er fühle sich derzeit außerdem extrem unterfordert und plane deshalb, erst in einem späteren Semester einzusteigen. Wenn er doch gelegentlich auftauche, dann sei das rein geschäftlich und habe mit seinem Studium nichts, aber auch rein gar nichts zu tun. Was das für Geschäfte waren? Darüber schwieg sich Magic Mike allerdings aus – jedenfalls mir gegenüber
Er und Dennis kamen erstaunlicherweise bestens miteinander aus. Sie kannten sich bereits vom Gymnasium her, und ich nehme an, dass Dennis sehr genau wusste, was Magic Mike außerhalb der Uni so alles trieb. Mir wollte er das allerdings nicht verraten. Ich solle ihn doch einfach selber fragen, hatte er mir gesagt. Toll! Dann hätte ich mit Magic Mike reden müssen, und das kam nun wirklich nicht mehr in Frage.
„Du solltest langsamer mit dem Bier machen“, sagte Dennis, „das ist schon dein zweites!“
„Ich kann das vertragen, keine Angst“, fuhr ich ihn an. „Außerdem bist du nicht meine Mutter!“
„Stimmt. Ich bin auch nicht dein Vater. Oder dein Bruder. Ich mein’s aber trotzdem gut mit dir.“
Ja, das tat er zweifellos. Bloß brauchte ich im Moment keinen, der es gut mit mir meint, sondern einen, der mich wollte, mich begehrte, mich wenigstens ein klein bisschen sexy fand. Und was das Bier angeht: Zwei Bier sind ja wohl gar nichts. Also stand ich auf, stolperte kurz über meine Hausschuhe, die irgendjemand mitten auf dem Weg zum Kühlschrank als kaum überwindbares Hindernis positioniert haben musste, und holte mir demonstrativ eine dritte Flasche.
„Sehr erwachsen“, kommentierte Dennis die Aktion, nachdem ich heil wieder an den Küchentisch zurück gelangt war.
„Ich bin 19. Da muss ich noch nicht erwachsen sein, Blödmann!“
Offenbar ist nicht nur mein Bruder ein Arsch. Das Arsch-Sein musste bei uns in der Familie liegen. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass ich mich gerade wie ein Arsch verhielt? Und das ausgerechnet gegenüber Dennis! Das hatte er nicht verdient. Nicht im Geringsten. Ich konnte gerade aber auch nicht anders. Kennt Ihr das? Ihr tut ausgerechnet dem Menschen weh, dem Ihr eigentlich am wenigsten wehtun wollt? Und zwar ganz einfach deswegen, weil Ihr euch gerade selber nicht mögt, es aber auch nicht ertragen könnt, wenn Euch der andere trotzdem zu mögen scheint? Oder ist das jetzt zu kompliziert gedacht!?
Dass ich Dennis wehgetan hatte, konnte ich spüren. Er versuchte sich zwar nichts anmerken zu lassen, aber ich kannte ihn jetzt fast zwei Monate, also lange genug, und wusste, dass ich zu weit gegangen war. Ich war wirklich kurz davor, mich bei Dennis zu entschuldigen und ihm zu sagen, dass er natürlich kein Blödmann sei, dass er in meinen Augen vielmehr alles andere als ein Blödmann sei, ja, dass er noch nicht einmal ansatzweise in die Richtung eines Blödmanns tendiere, als er sich plötzlich doch tatsächlich wie ein Blödmann benahm. Er erhob sich nämlich von seinem Stuhl, stellte seine Teetasse in die Spüle, ließ kaltes Wasser hinein laufen und sagte schließlich jenen Satz, für den ich ihn hätte erwürgen können
„Du hast nicht zufällig deine Tage, oder!?“, wollte er wissen.
Geht’s noch!? Ich meine, es war zwar einer dieser Tage, aber eben keiner dieser Tage, an denen ich meine Tage habe. Was denkt der Kerl sich eigentlich!? Nur weil ich vielleicht gerade mal ein klein wenig kompliziert bin, heißt das doch noch lange nicht, dass meine Zyklus daran schuld sein muss. Als ob das Leben so einfach wäre! Mir etwas von Klischees erzählen wollen und selber mit einem Hammer-Klischee rumwerfen! Nein, Dennis war kein Blödmann, er war ein riesengroßes Arschloch. Genau das habe ich ihm dann auch ins Gesicht geschrien, kurz bevor er die Wohnung verlassen hat – und ich muss gestehen, dass das noch das harmloseste von dem war, was ich da von mir gegeben habe.




copyright © by KatjaStein. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


Sehr gut
Ließt sich sehr gut! Ich hoffe, dass es bald weiter geht!
Vor allem liebe ich diese Wechsel des "stils"
mit den Gedanken und fragen von Franzi an die Leser
Also: bitte munter weiterschreiben und veröffentlichen!!!
cosimaNRW - 16.07.2015 19:39
Sehr gut
cosimaNRW - 16.07.2015 19:38
super
eisangel85 - 27.09.2014 03:13
Gut
Lea97 - 08.03.2014 21:49
Gut
Lea97 - 08.03.2014 21:48
Gut
Lea97 - 08.03.2014 21:48
...
Inkasso - 03.03.2014 09:28

vivalavita: 31.10. GAYOWEEN - Quater1 Köln - 3 Floors - großer Außenbereich - 5 Topdj´s - LSBTINQ* - Kultevent seit 20 Jahren - Tickets: www.gayoween.de      +++     >>> Laufband-Message ab nur 5,95 € für 3 Tage! <<<