von atayari
Sirion, sagte sie mir, mein Name ist Sirion. Ich wusste schon da, dass sie nicht bleiben, niemals ein Teil meines Lebens werden würde. Niemand heißt Sirion.
Doch ich erinnere mich an das prickelnde Gefühl, das ich hatte in diesem Moment. Ich wusste, was es werden würde, aber es störte mich nicht. Ich ignorierte den vernünftigen Teil meines Verstandes und ließ einfach zu, dass passierte, was auch immer da käme. Ein Teil von mir wollte es so. Genau so.
Und doch ist das leere Bett neben mir eine Sache, die ich nicht ignorieren kann. Mein Herz klopft schwer vor Enttäuschung, und eine Mischung aus Wut und Enttäuschung macht mir das Atmen schwer. Meine Hände streifen über das kalte Kissen, wandern dann weiter, berühren sachte die nackte Haut an meinen Armen. Ein Schauer rinnt mir über den Rücken. Es war so schön.
Mein Name ist Sirion.
Ich habe sie nie zuvor gesehen, und doch war es wie ein stilles Erkennen, als unsere Blicke sich das erste Mal trafen. Mein Herz schlug schneller, und ich wusste, dieses Gefühl in diesem Moment würde ich nicht vergessen. Wie ein elektrischer Schlag. Sie sah mir in die Augen, erst eher zufällig, aber dann hielt sie meinen Blick für eine ganze Weile fest. Ohne zu lächeln, ohne zu blinzeln. Sie sah mich nur an. Dann drehte sie sich um. Ich folgte ihr mit den Augen, bemüht, sie in dem Gewimmel nicht zu verlieren. Veränderte meine Position, um sie besser sehen zu können. Sog ihren Anblick in mich auf. Den schlanken Körper, die muskulösen Arme und Schultern, die von ihrem schwarzen Top mit Ringerrücken schön zur Geltung gebracht wurden. Die abgewetzte Baggy-Jeans, die an jeder anderen albern gewirkt hätte. Die kurzen schwarzen Haare, sehr lesbisch zum Iro gestylt. Ganz die Macho-Lesbe. Und doch… Ich konnte meine Blicke nicht von ihr losreißen. Sie schien alleine da zu sein.
Sie sprach mit niemandem, aber sie tanzte auch nicht. Stand einfach da.
Irgendwann bin ich zu ihr rüber gegangen. Wieso ich mich das getraut habe, weiß ich bis jetzt nicht so genau, aber irgendwie stand ich plötzlich vor ihr. Sie bemerkte mich, wandte mir den Kopf zu, guckte mich wieder an mit diesem reglosen Blick. Erst dachte ich, sie erkennt mich nicht wieder oder will nichts mit mir zu tun haben, aber dann entdeckte ich eine Spur des Wiedererkennens in ihren Zügen. Ein angedeutetes Nicken und ein Wimpernschlag nahmen mich zur Kenntnis. „Na?“, hörte ich mich fragen, „so ganz alleine hier?“ Sehr geistreich. Sie zog die Augenbrauen hoch, musterte mich einen Moment und grinste dann breit. „Nö, ich glaub, jetzt grad nicht mehr.“ Sehr direkt. Ich fühlte mich rot werden und war froh, dass sie das in dem flackernden, düsteren Licht hier vermutlich nicht sehen konnte. Ich sagte nichts, denn ich wusste nicht was. Sie grinste noch breiter. „Willst du tanzen?“, fragte sie dann. Ich wollte. Zu allem Elend tanzte sie wundervoll, und wir ergänzten uns wortlos und wunderbar. Einmal berührte sie mich mit den Händen an der Hüfte, und ein loderndes Zucken durchzog meinen ganzen Körper. Erst hoffte ich, sie hätte nichts bemerkt, aber dann gewann dieser andere Teil von mir die Oberhand, der mich auch schon dazu gebracht hatte, sie überhaupt erst anzusprechen. Ich genoss es. Sie berührte mich erneut, diesmal mit Absicht, und sah mir dabei provozierend ins Gesicht. Der Schauer, der durch meinen Körper rann, ließ mich die Augen schließen und leise stöhnen. Sie griff nach meiner Hand und strich mir mit dem Zeigefinger ganz leicht über den Handrücken, von den Fingerknöcheln zum Handgelenk. Ihre Fingerspitzen waren kühl, erstaunlich bei der Hitze hier drin, und hinterließen ein unbeschreibliches Gefühl auf meiner Haut. Sie sah mir weiter fest in die Augen, ließ ihre Finger ein winziges Stückchen weiter meinen Arm hinaufwandern. Der neue, andere Teil von mir machte, dass ich sie an mich zog, meinen Körper gegen ihren presste, eine Hand in ihren Nacken legte, sie zu mir heranzog und auf den Mund küsste.
Sie schien für einen Moment überrascht, dann erwiderte sie den Kuss, etwas zaghaft zuerst, dann fester. Plötzlich lag ihre eine Hand auf meinem Schulterblatt, die andere an meinem Po, sie zog mich fester an sich und ich sie, ich verlor den Überblick, wo ich aufhörte und sie anfing, mein ganzer Körper stand in Flammen.
Und ich wollte sie so sehr.
Ich erinnere mich an die Kühle einer Wand in meinem Rücken, die in krassem Gegensatz stand zur Hitze in meinem Körper, an ihre Zunge in meinem Mund, ihre Hand unter meinem T-Shirt, ihr Bein zwischen meinen Schenkeln. Ihr Körper roch nach Sommer.
Irgendwie sind wir dann in diesem Bett gelandet, in dem ich jetzt aufgewacht bin. Wessen es ist, weiß ich nicht.
Mein ganzer Körper schmerzt, als ich versuche, mich zu bewegen. Ich genieße den Schmerz, heiße ihn willkommen, erinnere mich mit wohligem Schaudern an seine Herkunft. Nie zuvor habe ich so etwas erlebt. Der vernünftige Teil von mir ist besorgt, aber ich höre ihn kaum.
Ich wusste nicht, dass ich solche Lust empfinden kann. Nie zuvor bin ich so tief gefallen, um so hoch anzukommen.
Ihre Hände auf meinem Körper, zerknüllte Kleider auf dem Boden, Haut an Haut. Ihre Haut so zart, so warm und weich über festen Muskeln. Ihre Arme so stark, die mich aufs Bett drückten. Ihre heiße Zunge, die mir erst den Mund verschloss und mich anschließend doch wieder zum schreien brachte. Ihre Hände, die mich überall berührten. Ihre Finger in mir, einer nur und sanft erst, dann zwei, drei, alle. Fordernd und hart. Der Schmerz, dem ich empört entgehen wollte, aufgehalten von ihrer Stimme. „Komm, bitte komm. Lass dich fallen. Lass los… Oh bitte! Lass es zu. Komm, komm für mich!“ Und ich spürte etwas hinter dem Schmerz, und es erschreckte und schockierte mich, und doch, ich wollte es, wollte es so sehr… Ich spürte die Lust hinter dem Schmerz, spürte Haut reißen und Tränen in meine Augen schießen und krümmte mich dieser Hand doch entgegen, fester, mehr, bis ich das Denken vergaß und nur noch spürte und erlebte, und ihre Stimme hielt mich fest, zog mich, rief mich, und ich kam, heftiger als alles, und ich spürte und bebte und war einfach nur. Es war so schön.
Kein Gefühl von Zeit, kein Denken, nur Fühlen. Wie oft, wie lange, ich weiß es nicht.
Ich schlage die Decke zurück, setze mich auf. Meine Bauchmuskeln schmerzen, die Leisten, die Seiten, die Arme. Es tut weh. Es tut gut. Nackt wanke ich hinüber zum Sessel unter dem Fenster, auf dem ein Teil meiner Klamotten liegt. Den Rest finde ich unterm Bett und auf halbem Weg zur Tür. Ich ziehe mich an, lasse den Blick noch einmal durch den Raum schweifen, den ich nicht kenne. Nichts ist hier, das ich mit ihr in Verbindung bringen könnte. Ich weiß nicht, wo ich hier bin.
Leise verlasse ich den Raum, finde mich in einem kleinen Flur wieder, von dem mehrere Türen abgehen. Vorsichtig öffne ich die eine, die aussieht, als wäre sie eine Wohnungstür, und finde mich tatsächlich in einem tristen, grauen Hausflur wieder.
Ich ziehe die Tür hinter mir ins Schloss und verlasse das Haus in der Hoffnung, zumindest halbwegs herausfinden zu können, wo ich bin. Mein Unterleib tut weh.
Nach einer Weile finde ich eine U-Bahn-Haltestelle. In diesem Teil der Stadt war ich noch nie.
Ich steige in die nächste Bahn, lasse mich auf einen Sitz fallen und bin froh, mich für eine Weile nicht mehr bewegen zu müssen.
Als ich nach zweimaligem Umsteigen knapp eine Stunde später endlich bei meiner Haltestelle angekommen bin, stecke ich nach Verlassen der warmen Bahn fröstelnd meine Hände in die Jackentaschen. In der linken treffen meine Finger auf knisterndes Papier. Verwundert ziehe ich einen Zettel aus der Tasche. „Danke.“, steht darauf, und darunter in kleinerer Schrift: „Es war wunderschön mit dir. E.“
Vor Überraschung bleibe ich mitten auf der Straße einfach stehen, und jemand rempelt mich von hinten unsanft an. Ich merke es kaum. Mein Kopf braucht eine Weile, um zu verstehen, was auf dem Zettel steht. Oder eher, was das bedeuten könnte, was auf dem Zettel steht. Nach ein paar Sekunden komme ich wieder zu mir, stecke den Zettel zurück in die Tasche und gehe mit gesenktem Kopf nach Hause. Ein Teil von mir lächelt glücklich. Ein Teil von mir weint. Da ich mich nicht entscheiden kann, zu welchem Teil ich mehr gehöre, tue ich beides, kaum, dass ich zuhause bin. Ist es ein Abschied? Ein vorsichtiger Anfang? Nur eine Masche von ihr? Ich weiß es nicht.
Nach einer Weile trocknen die Tränen auf meiner Haut, und ich rappele mich auf, schleppe mich in die Küche und koche mir einen Tee. Dann schnappe ich mir noch eine Packung Schokokekse und mache es mir auf dem Sofa bequem, Tee und Kekse in Reichweite. Ich denke über die Nacht nach, und je mehr Details mir wieder einfallen, desto mehr heiße Schauer rinnen mit über die Haut. Es war so schön!
Meine Hände berühren Stellen, auf denen ich noch die zarten Berührungen ihrer Finger zu spüren glaube. Meine Lippen berühren meine Haut, wie ihre es getan haben. Mein Kopf verliert sich in Erinnerungen, mein Körper folgt. Ich höre auf zu denken.
Das Piepen meines Handys reißt mich aus meinen Träumen. Es beginnt schon zu dämmern draußen, ich muss lange geschlafen haben. Mühsam fokussiere ich das kleine Display, um mit verschlafenem Blick die Nachricht zu lesen.
„Ich würde dich gerne wieder sehen. Gruß, Elisa“, steht da.
Mein Herz tanzt.
Über den dunklen Silhouetten der Bäume vor meinem Fenster steht leuchtend der Polarstern. Ich lächle ihm zu.
ENDE
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atayari. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.