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Goodnight Moon

von BuntBlume


Es war ein abgegriffener Zettel, den ich in Händen hielt. Schon seit Tagen trug ich die aus einem Notizbuch herausgerissene Seite in der Jackentasche mit mir herum. Die mit Bleistift aufgekritzelten Buchstaben, waren verblasst, aber noch immer gut lesbar. Zwischen all den Menschen, die eilig an mir vorüberzogen und ihren Weg durch die grauen Gassen und Straßen vorbei an Weggeworfenem und Zertretenem zielstrebig vorangingen, suchte ich nach dem Haus, dessen Anschrift auf diesem Stückchen Papier stand. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, als ich mich auf dieses Treffen einließ. Die Trennung von meiner Freundin lag schon Monate zurück. Dennoch fühlte ich tief in mir etwas, das sich nur schwer beschreiben lässt. Mein Magen krampfte und unablässig schossen mir Gedanken getragen von Selbstzweifeln, Unsicherheit und Ängstlichkeit durch die ratternde Maschine in meinem Kopf. Vor Wochen hatte ich diese Frau im Chat kennen gelernt und nun war ich hier, in ihrer Straße zwischen all den Passanten, von denen ich mich beobachtet fühlte. In den Pfützen stand noch das Wasser vom Regen der sich in der vergangenen Nacht über die Stadt ergossen und einigen Abraum wie Schmutz, die Bordsteine hinunter, in die Kanäle gespült hatte. Ein Zurück gab es nicht. Nach Sekunden des Zögerns legte ich meinen Finger wie mechanisch auf den Knopf der Klingel. Langsam drückte meine Kuppe auf den runden, schwarzen Plastikpfropf unterhalb des von kaltprächtigem Messing eingerahmten Lautsprechers. Aufgeregt begann die Pumpe in meiner Brust zu schlagen, während die Knie sich leicht geleeartig anfühlten. Ich kam mir vor wie ein Portiönchen Glibberpuddig der getragen von der Küche ins Esszimmer munter unter jeder Bewegung vor sich hinwackelt, ehe er verzehrt wird. Das Knistern in der Sprechanlage, dem eine helle, freundliche Frauenstimme folgte, riss mich aus dem Zwiegespräch zwischen Herz und Vernunft. „Hallo! Komm einfach rauf“, wies mich die schöne Stimme an. In der Tür erklang der Summer. Rasch öffnete ich sie und stieg die weißen Treppen hinauf. Vom Geländer splitterte hier und da die dunkle Farbe ab. Das darunter liegende Metall glänzte im Licht, das durch die Fenster im Aufgang in die Korridore fiel. Mitunter nahm ich zwei Stufen zugleich, bis ich vor jener Türe stand, die sich öffnete, noch ehe ich den Aufstieg bis unters Dach ganz hinter mich gebracht hatte. Lächelnd stand Nadja mit ihren braunen Augen, die im hellen Schein, der durch die Scheiben fiel, glänzten, im Rahmen. „Wieso fällt mir das sofort auf“, fragte ich mich selbst, während ich stumm einen Fuß vor dem anderen über die Schwelle setzte. „Pünktlich wie die Maurer“, brach sie das herrschende Schweigen. „Ja, es war nicht schwer zu finden“, bestätigte ich, diejenige der für gewöhnlich stets die Worte unbeschwert über die Lippen kommen, wortkarg begleitet von einem kräftigen Nicken. Fluchs huschte sie in dem Flur, der für uns beide zu eng schien, vorüber. Für einen kurzen Augenblick, den ich wie unzählige Minuten aneinandergereiht empfand, trafen sich unsere Blicke in dem schmalen Gang. Gleich darauf verschwand sie im angrenzenden Raum. Zurückhaltend folgte ihr der Streifzug meiner Augen bei jedem Schritt den sie machte. „Du kannst ruhig reinkommen, ich beiße nicht“, rief Nadja scherzhaft, begleitet von einem sanftmütigen Lächeln, als ahne sie, was in mir vorging. „Häng deine Jacke einfach in die Garderobe.“ Aus einer kleinen Schachtel kramte sie zwei Teebeutel hervor, die sie in den Tassen, die auf dem Tisch standen, mit heißem Wasser aufgoss. Schüchtern fragte ich, wie ihre Woche gewesen sei, nur um die Stille zwanghaft zu überbrücken und nicht wie ein Pinguin zu wirken. „Hey, ich habe mich die ganze Zeit über auf Deinen Besuch gefreut“, antwortete sie ohne jegliches Zögern und sah mich an. „Nach unserer Unterhaltung am Telefon musste ich dich einfach kennen lernen.“ „Du scheinst ja einen grünen Daumen zu haben“, lenkte ich ziemlich offensichtlich von ihrer Antwort ab, von der ich nicht wusste, ob ich sie hatte hören wollen oder nicht und deutete hinüber zu der Ansammlung von Pflanzen, die das Sims zierten. Hilflos stand ich neben ihr, weil ich mir selbst weder Rat noch zu reagieren wusste. Ihre Offenheit machte mich betroffen. Und es tat mir leid für Nadja, dass ich so verstockt war. Wie beiläufig begann ich von meiner Woche zu erzählen, von meiner Arbeit, hinter der ich mich in unzähligen Sätzen versteckte. Es war ein Gefühl als hätte ich die Rasierklinge in der einen und den Hörer des Telefons in der anderen Hand. Allmählich kam das Gespräch in Gang und die Stunden, in denen wir plauderten, lachten und ich es verstand definitive Aussagen über mein emotionales Innenleben zu vermeiden, vergingen unversehens, bis mich Nadja irgendwann zur Antwort zwang: „Weshalb bist Du eigentlich hierher gekommen?“ Wie häufig hatte ich mir diese Frage in den zurückliegenden Tagen selbst gestellt und war mir die Lösung schuldig geblieben. „Und was möchtest Du“, entgegnete ich mit einem verschmitzten Lächeln. „Von mir wirst du keine Antwort bekommen. Du triffst Dich mit mir, erzählst mir von Deiner Arbeit, dem Chat und Deiner Ex, aber nichts über Dich. Also was willst du? Ich weiß was ich möchte, aber ich werde mich hier nicht zum Idioten machen“, womit sie eindeutig im Recht war. Ich tat es ebenfalls nicht, verlangte es aber von ihr um mich besser zu fühlen. Sie sah mich an, aber ich hatte die Augen von ihr weggenommen, so dass Nadja sie nicht finden konnte. Mein Kopf nickte der großen runden Uhr zu, auf deren Ziffernblatt sich die Zeiger schleichend entlang schoben, weil sie nicht anders konnten, als ich es mir in diesem Moment wünschte. „Du verarbeitest die Sache mit Deiner Ex immer noch“, konfrontierte mich Nadja erneut. „Nein, das stimmt nicht“, entfuhr es mir und strafte mich selbst gleichzeitig Lügen. Grotesk drang aus dem Radio der musikalische Fingerzeig zu den Klängen von „Goodnight Moon“ herüber:

„oh goodnight moon I want the sun
if it’s not here soon I’ll might be done
no it won’t be too soon till I say goodnight moon”

„Manchmal müssen wir schlechte Erfahrungen machen, weil wir sonst das Gute nicht erkennen würden, dem wir beim Weitergehen begegnen. Versuche das Ganze doch mal aus dieser Perspektive zu sehen.“ Verdutzt sah ich sie an. Auf der Küchenuhr war die Zeit mit einem Mal doch schneller vergangen als ich dachte. Nadjas Aussage hatte etwas unheimlich Befreiendes. „Kann ich noch was für Dich tun“, fragte sie mit ihrer klangwarmen Stimme. „Hast Du was Süßes für mich? Ich brauch jetzt unbedingt was Süßes“, sprudelte es unerwartet aus mir heraus. Nadja musste lachen: „Na du bist ja herzig.“ „Tja, bei so viel gutem Zureden von einer so charmanten Frau, kann einem einfach nur das Herz aufgehen“, strahlte ich meine schmunzelnde Gastgeberin an. Als ich ging begleitete mich Nadja noch bis zur Eingangstür des Wohnhauses. „Also du kannst Dich jederzeit bei mir melden. Ich würde mich wirklich freuen“, sagte ich, während sie ihren Kopf leicht neigte und mir tief in die Augen sah. Mit einem schüchternen Kuss den ich ihr auf die Wange gab, verabschiedete ich mich. Einen Atemzug lang war es still. Dann sagte sie leise: „Du kannst Dich übrigens auch jederzeit melden.“ Im Treppenhaus war es ganz still. So unbeschwert hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich musste lachen: „Weißt Du was, lass uns doch morgen einfach was zusammen unternehmen.“



copyright © by BuntBlume. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


Ich
sonnenschein82 - 04.03.2006 21:38
Hallo an die "Literatur"begeisterte Gemeinde!!!
Da die Geschichte Tumult in Form von Fragen in meinem Posteingang aufwarf, sei hier am unteren Ende gesagt, dass der Inhalt frei erfunden ist und Ähnlichkeiten mit lebenden oder verblichenen Personen rein zufällig!

In diesem Sinne....
OskarMaTonne - 09.01.2006 02:41

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