von Eiraith
Leer lief sie durch die Straßen.
„Halt mich, mein Leben halt mich..“. Lacrimosa sang in ihren Ohren.
Sie war auf der Flucht.
Vor sich, vor ihren Gedanken, vor Allen, die sie hätten halten können.
Dieses Gefühl währte nun schon seit einigen Tagen.
Wann hatte es angefangen?
Sie wollte sich nicht erinnern.
Sie wollte es nicht mehr sehen.
Nur flüchten.
Doch die Bilder schlichen sich wieder in ihre Gedanken.
Sie stellte den Diskman lauter, Lacrimosa erreichten eine ungeahnte Lautstärke, und trotzdem war da noch Platz für Gedanken, trotzdem...
Montag war es gewesen, ja, Montag Nacht.
Sie war online gewesen, und er auch. Sie waren seit einem Jahr befreundet, und sie hatte ihn auch öfters als ihren besten Freund bezeichnet. Er schien ähnlich zu empfinden.
In letzter Zeit hatten sie sich öfter getroffen, ihre Beziehung war körperlicher geworden.
Umarmen, kuscheln, sich küssen - das war viel. Verdammt viel, für eine Freundschaft.
Und genau das war seine Frage, an diesem Montag.
Eine offene Beziehung.
Zusammensein.
Alles.
Er hatte ihr gesagt, dass er sie liebe.
Sie konnte dies nicht erwidern.
Sie war erschrocken.
Liebe.
Das war viel, das war viel zuviel, mehr, als sie ihm geben konnte.
Sie schrak zurück wie ein verschrecktes Kalb und flüchtete.
Das war der Montag gewesen.
In den nächsten Tagen hatten sie nicht miteinander gesprochen.
Sie hatte sich in sich zurückgezogen, er sich in sich.
Am Sonntag sahen sie sich wieder.
Sie saßen zusammen, und er schilderte seine Gefühle.
Er wolle schlafen, nur noch schlafen, nichts mehr weiter.
Er sei am fallen und verlöre jeden Halt. Auch sie.
Sie bot ihm Freundschaft an - er war zu verzweifelt, zu verletzt, um diese annehmen zu können.
Sie wusste nicht, was sie hätte tun können.
Das erste Mal weinte sie wieder. Seit Jahren.
Sie schafften es, sich gegenseitig fast kaputtzumachen.
Dann ging er, zurück zu seiner Exfreundin, konnte nicht alleine sein.
Er ließ sich gefangen nehmen.
Und machte sich damit kaputt.
Der Diskman sprang weiter. „Allein zu Zweit“...
Ja, denn da war noch was.
Nich nur er.
Das war der Anfang gewesen.
Oder vielleicht auch erst die Mitte.
Sie kannten sich schon eine ganze Weile und hatten nun überlegt, sich zu treffen.
„Sie“, das waren 7 Mädchen, die sich im Internet begegnet waren und auf Anhieb gut verstanden.
So trafen sie sich, und es haute sie fast um als sie eine von ihnen anschaute.
Es erwischte sie wie ein Blitzschlag.
Dieses Lächeln, die Bewegungen, die Stimme....
Sie war für sich das ganze Treffen über unkontrollierbar, tat alles, versuchte, der Einen nahe zu sein, ohne sich zu sehr zu verraten.
Ja, die Eine war ein Mädchen.
Beide waren sie weiblich.
Noch etwas, womit sie nicht klarkam.
Das Treffen war das Schönste, was sie seit langem erlebt hatte.
Danach erst kam die Sache mit ihm, und vielleicht war die Eine ein Grund dafür. Nicht der Einzige, aber einer unter vielen.
Wie ein Film liefen diese Bilder an ihren Augen vorbei.
„Tanz, mein Leben Tanz...“ Auch Lacrimosa konnte dies nicht verhindern.
Die ganzen letzten Jahre hindurch hatte sie Mauern um sich gebaut, um ihr Innerstes, nachdem sie schon mal 2 Menschen verloren hatte, die ihr viel bedeutet hatten, sehr viel.
Nichts ließ sie mehr nahe an sich heran, isolierte sich von den Anderen, Berührungen ließ sie nicht zu.
Warum schien diese Mauer gerade jetzt zusammenzubrechen?
Warum fühlte sie plötzlich wieder?
Wie sollte sie soviel gerade jetzt verarbeiten können, nachdem sie fast geglaubt hatte, das Fühlen verlernt zu haben?
Sie war voll von dem Allen, zu voll.
Und trotzdem war es ein leeres Gefühl.
Ein Gefühl, vor dem sie nicht flüchten konnte.
Und doch hatte sie nicht die Kraft, sich diesem allen zu stellen.
Noch nicht.
Vielleicht irgendwann.
Wenn sie durchhielt.
Und bis dahin würde sie flüchten.
copyright © by
Eiraith. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.