von mikash
Kalter Kaffee
Sie sitzt mir gegenüber, die Kälte des Dezembertages noch in den Haaren. Etwas von der Frische kommt herüber geweht, während sie Handschuhe und Schal über der Stuhllehne ablegt und ihre Mütze abnimmt. Eine etwas lächerliche Mütze, wie ich finde, aus Wolle, eine mit diesen Ohrenklappen, die dem Menschen, der sie trägt, etwas Schafsähnliches gibt. Sie wirkt jünger damit – wird sie denn nie zeigen, dass sie erwachsen ist? Ich registriere diese altbekannte, leise Aggression ihr gegenüber. Sie hat noch kein Wort gesagt, außer einem neutralen „Hallo“, das sehr tief aus ihrer Kehle kam, am Tonfall habe ich die Enge in ihrem Hals hören können, und ich spüre Angst. Ich weiß nicht, ob es meine oder ihre ist.
Die Kellnerin kommt, und sie bestellt einen Cappuccino. Sie wirkt grazil wie immer, schlank, und dieses Zerbrechliche ist um sie, aber ich bemerke es nur flüchtig, weil ihre Schönheit mich ablenkt. Sie hat in dieses Treffen eingewilligt, und nun bin ich aufgeregt. Was soll ich ihr sagen, und vor allem wie?
Ich habe oft Angst vor ihr. Es macht mich wahnsinnig, sie so kämpfen zu sehen in ihrem Leben, mit den Gespenstern in ihrem Kopf, die nur sie sehen kann und von denen Menschen wie sie und ich einen ganzen Stammbaum in unserem Innern unterhalten. Manchmal wollte sie diese Gespenster mit mir teilen, am Ende wollte sie das zu oft, und leider habe ich den Mund nicht aufbekommen, meine Lippen waren wie eingefroren, es konnte nicht anders sein, denn sonst hätte ich Stop gesagt, warte – behalte das für dich.
Sie wärmt ihre Hände an der weißen Tasse und sieht mich an. Wir sehen uns immer an, haben das immer getan, wenn wir miteinander geredet haben. Sie ist ein Mensch, dem man wunderbar in die Augen sehen kann. Wenn man nur in ihre Augen sieht und den Körper und das andere vergisst, sieht man dort nichts als Stärke. Und eine gewisse Kälte. Ich schätze, es ist eine, die ihr das Überleben erleichtert. Denn diese Kälte passt nicht mit ihren filigranen und unendlich sensiblen Texten zusammen. Ihr Freund ist zu beneiden um diese Frau. Er hat sie nicht verdient, finde ich. Aber ich habe nicht das Recht, ihr zu sagen, wie ihr Leben meiner Meinung nach aussehen müsste.
Ich muss nun doch aus dem Fenster sehen, für einen Moment meine Augen abschweifen lassen, weil ich ihren Blick nicht ertrage, weil ich die Frage nicht ertrage, die in ihren Augen ist. Sie selbst will nichts von dieser Frage wissen, sie maskiert sie mit der unterkühlten Temperatur ihrer Iris.
Ich sagte schon, dass sie schrieb, aber ich habe noch nicht erzählt, dass sie malte. Sehr viele ihrer Bilder waren filigrane Zeichnungen weiblicher Akte. Sie waren mit Trauer verhangen. Ich vermochte kaum hinzusehen. Und doch stand ich eine lange Weile vor den Fenstern der Galerie und ließ meinen Blick über die einzelnen Bilder gleiten. Gefangene, gequälte Körper. Ein einziger stummer Schrei.
Wie schafft sie es, damit zu leben? Ihre Augen sind so klar und von Geist erfüllt. Ihr Geist ist ihre Waffe. Er schenkt ihr Freiheit. Aber nie genug.
Sie hatte mich zu ihrem Geburtstag eingeladen. Sie schnitt den Geburtstagskuchen an und beobachtete mich, wie ich mich am schön gedeckten Tisch vor einer Ansammlung verschiedener Frauen mit gewagten, provokanten Themen produzierte. Ich stahl ihr die Show. Sie war sauer. Vielleicht bereute sie es schon, dass sie mich eingeladen hatte.
Ich beneidete sie. Sie besaß das Talent, subtile Stimmungen und die ganz und gar verspannten Energien des Körpers in Bildern festzuhalten. Sie zeichnete Frauen. Die eckigen, knochigen Schultern, die welken, verletzlichen Brüste ihrer Akte, die oft geschlossenen oder abgewandten Augen ihrer Figuren – die Frauen auf ihren Bildern blickten immer weg, wichen dem Betrachter aus – oft besaßen sie auch gar keinen Kopf, was ihre geistige Abwesenheit demonstrierte. Körper und Geist waren nicht eins.
Ihre Texte besaßen die gleiche subtile Kraft wie ihre Bilder. Mit ein, zwei Gesten beschrieb sie Menschen, oft mit einem erstaunlich zärtlichen Blick - der sich dann viel zu schnell wieder in dem Fokus auf die eigene Person verlor, in einem Kreisen um diesen unheilbaren Schmerz, den sie nicht verstehen wollte und von dem sie glaubte, dass sie ihn ihrer Familie zuliebe nun einmal zu tragen hatte. Darin unterschied ich mich von ihr. Ich glaubte - im Gegensatz zu ihr und mit großer Wut - mich von diesem Schmerz befreien zu dürfen. Das war es, was uns trennte.
Wir waren Konkurrentinnen. Es tat weh, das zu fühlen, aber noch mehr weh tat es, dass wir voreinander heuchelten, es nicht zu sein. Beide versuchten wir mit aller Kraft, unser eigenes Leben zu verwirklichen, versuchten dies gegen das erdrückende Gewicht unserer Ängste zu tun. Wenn es eine von uns nun plötzlich schaffen sollte, würde es der anderen die eigene Blockade nur noch schmerzhafter vor Augen führen. Wir waren füreinander gefährlich. Nur nach außen hin förderten wir einander scheinbar wohlwollend mit Ratschlägen und Kontakten - in Wirklichkeit jedoch war jeder Erfolg der einen schmerzvolle Niederlage für die andere.
Das Gemurmel der Leute um uns herum lullte ein. Wir atmeten das Gemisch aus Kaffeedunst, Zigarettenqualm und Feuchtigkeit, die aus den nassen Wintermänteln der Leute emporstieg. Sie wartete immer noch, zunehmend ungeduldig, wie mir schien. Sie versuchte nicht mehr, meinen Blick einzufangen. Sie hatte ihren Cappuccino kaum angerührt. Ihre Augen schienen erloschen. Sie suchte ihre Sachen zusammen und stand auf. „Ich hätte wissen müssen, dass es nichts bringt, dieses Treffen.“ Sie klang nicht einmal böse. Sie hatte etwas gesucht und nicht gefunden. Jetzt wollte sie ihre Zeit nicht weiter verschwenden.
Ich war erleichtert, als sie ging. Ich hatte nicht gewusst, dass es so viel war, was lieber nicht gesagt werden sollte.
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mikash. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.