Kamikaze (9)

von MyLullaby


...
Die Tage danach gingen ohne großartige Konsequenzen weiter, es wurde zwar getuschelt, aber irgendwann akzeptierten auch die letzten das ich mit Manu befreundet war.
Dann kam der Tag an dem wir uns, wie eigentlich so häufig, zum Kino verabredet hatten und sie mir diese Kassette schenkte ohne wirklich viel dazu zu sagen.
Im Kino war ich einfach nur gespannt was auf der Kassette drauf sein konnte und bemerkte plötzlich das Manu mich schon eine ganze Weile erwartungsvoll von der Seite anstarrte, ich sah zu ihr rüber und sie wurde rot, was man selbst in der Dunkelheit des Saales bemerkte.
Sie drehte sich schnell wieder zur Leinwand hin und ohne groß nachzudenken griff ich nach ihrer Hand, sie zuckte kurz, erwiderte den Druck dann aber sanft und lächelte mich an.
Ich war überfordert, ich meine, ich wusste nicht was ich da tat und warum so etwas simples wie das Halten ihrer Hand mich so nervös und kribbelig machte, natürlich bekam ich nun noch weniger vom Film mit als vorher.
Nicht das mir das etwas ausmachte, ich genoss ihre Nähe, aber wie sollte ich mit dieser Welle von Gefühlen umgehen, wenn ich mich bei ihr befand?
So war das also mit den Schmetterlingen im Bauch, grübelte ich und wagte es sogar ihr beim Abschied einen Kuss auf die Wange zu hauchen.

Die Tür ging auf und Jenny warf mir einen kritischen Blick zu: "Aber das Chaos hier beseitigst du wieder ja?!" Ich sah auf den Boden, überall war Papier von den Keksen und anderen Süßigkeiten verstreut und die Stelle, wo Flori gesessen hatte, war ein einziger Krümelhaufen.
Ich fluchte leise, stand aber auf und stopfte die Verpackungen in das Packet welches meine Mutter mir geschickt hatte, nun erkannte ich auch das es wohl ein Frustpaket gewesen sein musste, denn meine Mutter schwor auf Süßes bei Liebeskummer... Ich lächelte und freute mich heimlich das sie es wohl doch als Liebe gesehen haben muss, obwohl es doch so "falsch" sei.
Als ich fertig war hatte ich keine Lust mehr faul herumzuliegen und Jenny beim Bewundern ihrer zig Boyband-Typen zuzuschauen.
Ich schnappte mir meinen Walkman und beschloss vor dem Schlafengehen noch schnell ein bisschen zu Joggen, da ich die nächsten Nächte vor stiller Erwartungsfreude auf Manu eh nicht viel Schlaf finden würde.
Die Woche ging, wie erwartet, langsam vorbei und es kam mir so vor als dehne sie sich die Zeit wie ein Kaugummi, nur um immer länger und länger zu werden.
Doch schließlich war Freitag und ich stand schon eine Stunde zu früh am Bahnhof, um Manu ja nicht zu verpassen.
Ich hatte das Gefühl mich im Tag geirrt zu haben oder einfach die falsche Uhrzeit zu haben, vielleicht ging ja meine Uhr auch nicht mehr und ich hatte sie schon verpasst und sie war wieder zurück gefahren?!
Für einen Moment dachte ich sogar ich stände am falschen Gleis, doch das war absurd, denn wir hatten nur zwei Gleise und das andere führte in die falsche Richtung.
Ich grinste, machte es mir auf einer der Bahnhofsbänke gemütlich, soweit man die als "gemütlich" bezeichnen konnte und träumte vor mich hin.

Auf ihrer Kassette, war die Punkmusik die sie mir einmal versprochen hatte und an die ich erst in dem Moment wieder dachte, wo ich wieder durch die Tür in mein Zimmer trat.
Wie hatte ich nur vergessen können das sie mir diese Kassette doch schon am Vortag hatte mitbringen wollen.
Sie war doch so aufgeregt gewesen wie ich sie wohl finden würde: "Ich such dir nur das feinste raus! Ich wette es gefällt dir!" Hatte sie noch gesagt, es konnte nicht mal eine Woche hersein.
Ich legte sie direkt ein und fing an mich zu fragen ob sie wohl etwas vom Film mitbekommen hatte.
Ich zweifelte stark daran das sie vielleicht dasselbe für mich empfand wie ich für sie, aber ich wollte es mir noch erlauben zu träumen.
Es gefiel mir, es gefiel mir sogar sehr gut was sie mir dort auf Kassette überspielt hatte, ich griff nach der Hülle um nachzusehen wie das Lied wohl heiße und vor allen Dingen wer es spielte.
Doch nun merkte ich das zwischen der Kassette und der Hülle noch ein Zettel gesteckt hatte, der nun vollends herausgerutscht war.
Gespannt und mit klopfendem Herzen faltete ich ihn auseinander.
Es war kein gewöhnlicher Zettel, das merkte ich sofort, und mit Sicherheit war er auch nicht durch Zufall dort zwischen die Kassette geraten, doch ich konnte einfach nicht glauben das diese paar Zeilen an mich gerichtet waren.
Ich las sie jedoch nur einmal und steckte den Zettel in meine Hosentasche.
Die nächsten Tage waren frei und die Hälfte dieser Zeit verbrachte ich auf meinem Zimmer um mir klar darüber zu werden was ich wohl für Manu empfand.
Eigentlich war das schwachsinnig, denn jede einzelne Zelle in meinem Körper schrie nach ihr und als ich mir das Gedicht welches auf dem Zettel stand anschaute schlug mein Herz Purzelbäume allein von ihrer Schrift.
Manu hatte ein Gedicht geschrieben, für mich, über ihre Gefühle die sie für mich empfand.
Noch nie hatte irgendjemand sowas für mich getan.
Der Inhalt löste bei mir ein beinah unerträgliches Gefühl von Sehnsucht nach ihr aus, ich wollte ihr sagen wie ich es fand, oder besser das ich dasselbe für sie empfand.
Ich wollte sie, mit ihren Fehlern und allem drum und dran, ich sprang auf als das Gefühl zu stark wurde und rannte ein paar Runden auf der Ascherbahn um meinen Kopf frei zu kriegen.

Der Zug traf in diesem Moment ein und ich hielt in meiner festlichen Garderobe, die bei solchen Internatsveranstaltungen zumindest für die Schüler zwang waren, nach Manu Ausschau.

...