von corkyy
Ich kam wie immer mit dem Motorrad. Eigentlich war es dazu schon viel zukalt, aber ich wollte es nicht wahr haben. Deshalb war ich ständigverschnupft.Ich nahm´s in Kauf.
Ich versuchte vor meiner Stammkneipe zu halten und - verdammte Bremsen -kettete mein Moped zwei Meter dahinter an.
Der Laden war in den vergangenen Monaten mein zweites Wohnzimmer geworden.Er war klein, sehr stickig und stets voller Leute.Ich trat durch die Schwingtür ein, noch der Vorhang und da war ich auchschon wieder drin.Ich schaute mich um.
Er sass wie immer am ersten Montag im Monat an demschlechtesten kleinsten Tisch in der hintersten Ecke. Das Brett mit denFiguren vor sich aufgebaut. Komisch- ich war noch nie vor ihm da gewesen.Ich trat auf ihn zu ohne auf die anderen zu achten, und begann meineKlamotten zu sortieren: Handschuhe in die linke Tasche, Jacke an dieGarderobe,Nierengurt in den Helm... Er schaute mich erst an als ich mich hinsetzte.Er war viel älter als ich, so um die 45 denk´ ich, ich habe nie gefragt.Wenn man sich besonders gut kennt spielen diese Dinge keine Rolle. Er trugentsetzliche Klamotten und sah insgesamt ziemlich ungepflegt aus. Der Typ von Mann, bei dem man sich nicht sicher sein kann, ob er nun Künstler, Werber oder Penner ist. Dünn war er - nein hager und in seinem Gesicht zeugte nur die Rasur von irgendwelcher Zivilisation.
"Hallo, da bist du ja."
"Hast du schon gewartet?"
"Nein, ich warte nie auf etwas."
"Dann lass uns mal anfangen."
Er machte den ersten Zug. Bauer g2g4 . Ich lachte.
"Du versuchst es dochimmer wieder",.sagte ich."Du siehst angestrengt aus", antwortete er.
"Ja das bin ich wohl auch. Ichhabe sie verlassen."
Er blickte- und zog die Augenbraue hoch, das war fürihn schon ein mittelmässiger Gefühlsausbruch."Warum hast du sie aufgegeben?" Ich starrte ungläubig auf meine Dame. Siewar nicht in Gefahr. Eine Sekunde der Erleichterung."Wir waren zu verschieden. Ich habe ganz andere Interessen als sie unddann die Probleme mit unseren Familien. Es war fast wie bei Romeo und Juliaundbevor ich sterbe..."
Er schaute mich an und schüttelte den Kopf. "Das soll der Grund sein?Corky- du lügst genauso schlecht wie du Schach spielst." Ich war doppeltbeleidigt, nahm es ihm aber nicht übel. Ich fing an zu schwitzen, stecktemir eineZigarette an und überlegte. Er schwieg. Ich schaute auf das Brett. Es halfnichts.
"Gut ich will es dir erzählen:
Als mein Kopf und mein Herz frei waren ging ich auf einen Spielplatz inder Nähe meiner Wohnung. Es war hell und alle Leute dort waren fröhlich,jungund turnten ausgelassen rum. Ich fühlte mich wohl und stürzte mich sofortins Getümmel. Ich lief zu einem der Geräte, es war dieses Ding woran mehrereRingehintereinander befestigt sind, und man sich affenartig von Einem zumAnderen hangelt.
Ich sprang hoch und hangelte mich unverzüglich . Es war sehr leicht und es gefiel mir. Die Ringe schienen mich zuhalten und mir kamen andauernd neue entgegen. Ich machte allerhand Übungendaran. Als ich müde wurde blieb ich an einem hängen. Ich ruhte mich aus undmerkte erst dann, dass es einer der obersten war. Ich begann nur an diesemRing zu turnen. Ich sprang hoch und die Sonne schien mich anzuziehen. Ichbewegte mich auf eine Art, die ich vorher nicht gekannt hatte. Schwerelosundtrotzdem kraftvoll. Mein Körper und mein Geist wurden eine Einheit und ichbetete darum die Welt anhalten zu können, um für immer so zu verweilen. Abertragischerweise drehte sie sich weiter und was sonst ihr grösster Trost ist,machte mir jetzt Angst.
Aus Angst bewegte ich mich nicht mehr. Ich hing einfach da und hielt michan den Ringen fest. Sie hielten mich und ich fühlte mich sicher, denn ichvertraute ihnen blind.Als ich merkte, dass mir die Arme lang wurden, versuchte ich noch einmaleine neue Übung, aber es kostete mich zuviel Kraft. Ich versuchte zu einemanderen Ring zu wechseln, aber ich blieb wo ich war. Ich fühlte michplötzlichnicht mehr wohl, sondern gefangen. Das Eisen klebte kalt an meinen Händen.Und von da aus strömte es eisig durch meinen ganzen Körper. Ich versuchtemich zu erinnern wie es zuvor gewesen war, aber auch das gelang mir nicht.Ichkonnte nichts davon zurück holen. Ich fühlte mich immer schwerer und fingan zu jammern.
Auf dem Spielplatz war niemand mehr, den ich kannte undder mich hätte hören können. Sie waren alle ohne sich zu verabschiedengegangen.
Ich war allein.
Jetzt wollte ich auch gehen, aber ich traute michnicht.
Ich traute mich nicht los zu lassen, denn ich wusste nicht wie tief ichfallen würde. Wie tief der Abgrund unter meinen Füßen war. Ich hielt weiterfest. Es fing an furchtbar weh zu tun. Meine Hände schienen nicht mehr mirzugehören, meinen Körper betrachtete ich von außen.Die Ringe und ich waren keine Einheit mehr, sondern nur noch aufeinanderangewiesen.
"Was ist dann passiert?"
"Ich habe losgelassen und bin sehr tief gefallen."
"Hast du dich verletzt?"
"Ich habe mir das Herz gebrochen."
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corkyy. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.