von kalliope
Letztes Geleit
Angekommen. Endlich angekommen. Nach monatelangem, nächtelangem Gewaltmarsch ist sie endlich angekommen. Sie ist gezeichnet vom Weg, der hinter ihr liegt.
Die Füße sind offen vom ätzenden Salz des Tränenmeeres, an dessen Strand sie solange entlang musste. Bei jeder Flut reichte ihr das Wasser bis zum Knie. Nur mit größter Anstrengung schaffte sie es dann gegen die Strömung weiterzugehen. Aber die Ebbe brachte keine Erleichterung. Dann hieß es gegen den Sog anzukämpfen der sie weit hinausziehen wollte.
Der ganze Körper ist übersät von Hautabschürfungen und Hämatomen, die durch die herabfallenden Gesteinsbrocken im kalten, menschenleeren Hochgebirge verursacht worden sind. Keine Schutzmöglichkeit, kein Unterstellen. Sondern immer höher mußte sie. Raus und weg vom Sumpf, der sie verschlingen wollte. Höher. Der Sauerstoff wurde knapp. Wenn sie tief atmet schmerzen die Lungen immer noch.
Die Haut ist verbrannt von der sengenden Sonne der unbarmherzigen Wüste, die Tagsüber ihr Blut gekocht hat, um es nachts schockzugefrieren. Weit und breit kein Schatten. Keine Oase. Nur einmal: Wasser! Mit einem resignierenden Grinsen schmeckt sie dem Sand nach. Eine Fata Morgana!
Aber alles das liegt hinter ihr. Sie ist angekommen. Angekommen am Friedhof der Illusionen. Ihr trüber Blick senkt sich zu dem Gefäß, das ihre Hände, den ganzen Weg lang völlig verkrampft festgehalten haben.
Es ist ein Schraubglas auf dessen verwittertem Deckel sich noch mit viel Phantasie das Firmenlogo „Hengstenberg“ entziffern lässt. Aber sie muss es ja nicht lesen. Sie weiss ja. Es ist das leere Glas von den Knax-Gurken, die sie in alter Gewohnheit gekauft hat, weil sie im Angebot waren. Wie sie es immer getan hat. Schliesslich waren es IHRE Lieblingsgurken.
Jetzt war es mit grauer Asche gefüllt. Eine Urne, eben.
Ein passenderes Gefäß gab es wirklich nicht, um das was ihr von der letzten Dekade geblieben ist, zu transportieren. Fort, raus, weit weg von ihrem Keller, in dem sie schon lange keine Leichen mehr lagert, hierher zum Friedhof.
Nicht dass sie sich das ausgedacht hat mit der Einäscherung. Nein, nein, da ist sie eigentlich prinzipiell dagegen. Was sie im Glas mit sich trägt, passiert, wenn eine manische Brandstifterin ohne Aufsicht bleibt.
Wie oft musste sie löschen. Bei fast jeden zwischenmenschlichen Kontakt entstand bei IHR ein Brand. An der Uni, in der Clique. In den Familien. Immer musste sie Feuerwehr spielen. Manches mal zu spät dann bleib nur Asche und oft genug darunter auch noch Glut.
Ach, Sch...., und leider war auch sie nicht feuerfest, wurde oft genug angekokelt. Aber sie hielt das Feuer für kontrollierbar. Zündeln war einfach überhaupt eine Aktivität ein Lebenszeichen. Eine Form von Selbstbehauptung. Das musste sie sich doch zurücknehmen mit ihren ganzen Dominanz und ihrer Besserwisserei. Oder war es einfach nur Lebenserfahrung? Und sie hätte ihre eigenen Grenzen verteidigen dürfen?
Ja, ja. Die Antwort auf diese Fragen kennt sie heute selbst. Zurück zur Asche. Es brannte eben, als sie von ihrer Reise zwischen Leben und Tod zurückkam. Lichterloh und SIE hatte noch eine gefunden, die das Feuer schürte. So konnte sie nur noch hilflos zu sehen, wie alles bis auf die Grundmauern niederbrannte und ihren Arsch retten.
Mit dem konnte sie dann erst mal nichts anfangen, als sich stundenlang und fest hineinzutreten, bis sie langsam merkte, dass alles andere, dass da gewöhnlich dran fest gewachsen ist auch noch existiert.
Dann weinte sie das Meer. Unendliche, dunkle Untiefen. Eine wohlgefällige Welle hat sie dann irgend wie an den Strand gespült. Dort hatte sie dann zwar wieder Boden unter den Füßen, aber fest war der nicht.
Im Gegenteil. Die Tränen flossen weiter. Nicht mehr in Strömen, aber genug um den Boden in einen Sumpf zu verwandeln. Aber sie war schon wieder stark genug, sich dem Saugen der pampigen, zähen Masse zu entziehen. Sie schaffte sich raus und fing an blindlings bergauf zu rennen.
An das Gebirge kann sie sich kaum erinnern. Es hinterließ keine wirklichen Eindruck auf ihrer Seele. Sie hat es geschafft diese vor der Kälte und der Unmenschlichkeit zu schützen. Mit einem Eispanzer.
Der ist aber dann geschmolzen, als sie nach dem Überschreiten des Zenits des Gebirges wieder in die Vegetation zurückstieg. Das Grün des Grases. Das Blau des Wassers. Das Zwitschern der Vögel. Der Duft der Rosen. Alles rief ihr ein willkommen zurück zu. Die Frühlingssonne tat ihr Übriges und schmolz das Eis.Endlich konnte die ihre Heimat, ihre Mitte, ihr zu Hause wieder finden.
Es war eigentlich noch alles so, wie sie es vor ihrem Feuerwehrdasein verlassen hatte. Alles außer eben diesem Häuflein Asche im Keller.
So und jetzt? Jetzt ist es also ihre Aufgabe, dieses Häuflein angemessen zu bestatten.
Sie hat schon an Im-Klo-Runter-Spülen gedacht. Nee, schadet der Umwelt. Verstreuen? Nee, das würde IHR gefallen. Gone with the wind, nee.
Dann war dieses Gurkenglas da. Und die Lösung. Urnenbeisetzung auf dem Friedhof der Illusionen. Allerdings war ihr nicht klar, dass sie dazu noch mal zurück muss. Dass der am Ende vom Strand des Tränenmeeres liegt.
Aber jetzt ist sie ja hier.
Jetzt müßte sie sich überlegen, wo die Urne hin soll. Welcher Platz ist angemessen? Und welche Zeremonie soll sein.
Sie schaut das Glas an. Die graue Asche lässt sie kalt. Kein Gedanke, keine Gefühlsregung. Nichts.
Mit einem erleichterten Schulterzucken und einem zögerlichen Grinsen stellt sie das Glas neben dem Eingang ab, dreht sich um und geht.
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kalliope. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.