von EimoH
Eine Woche war vergangen, und Luzi hatte nichts von Lola gehört, außer zwei Nachrichten, die sie noch in derselben Nacht gewechselt hatten, in denen Luzi erklärt hatte, dass es spät geworden und sie ohne Verabschiedung gegangen war, weil sie Lola nicht hatte finden können, und Lola sich für den schönen Abend bedankt und ihr eine gute Nacht gewünscht hatte. Luzi wusste nicht, ob die Anderen Lola erzählt hatten, was passiert war, aber sie selbst hatte keine Lust mit Lola darüber zu sprechen. Sie hatte ihren Freund*innen von dem Abend berichtet und diese waren sich nicht sicher, wie sie die Geschehnisse interpretieren sollten und Luzi selbst wusste es auch nicht. Als Luzi und Lola zu zweit gewesen waren, hatte es Spaß gemacht, unter Lolas Freund*innen war es schrecklich gewesen. Es war, als wäre der Abend zweigeteilt. Am Tag danach war Luzi ihr fluchtartiger Abgang aus der Bar peinlich gewesen, aber Inaya und Karla hatten ihr immer wieder versichert, dass es das Beste gewesen war, das sie hätte tun können. Die beiden waren sofort solidarisch wütend auf alle Leute, mit denen sich Luzi an dem Abend unwohl gefühlt hatte und fanden, dass Lola sich auch blöd verhalten hatte. Nun war wieder Samstagabend und Luzi und ihre Freund*innen trafen sich, um sich für eine Party im SC schick zu machen. „Na, fragst du dich gerade, ob Lola auch da sein wird?“, fragte Marcus dreist. Luzi hatte Gedanken versunken ins Leere gestarrt. „Oh bitte, nur weil ich ein Date hatte, drehen sich meine Gedanken nicht nur um diese eine Sache, Marcus!“ Sie schnalzte mit der Zunge. „Ich habe darüber nachgedacht, ob ich mal wieder meine Haare färben sollte.“ „Für heute Abend fang erstmal mit deinen Fingernägeln an, Schätzchen.“, lautete Marcus‘ Erwiderung und er drückte betont Luzis Hand. „War das gerade ein Ruf nach Nagellack?“, rief Inaya und kam mit einem Tablett voller Nagellackfläschchen zu Luzi. „Welche Farben möchtest du?“ Sie wählte grünschimmernden blauen Nagellack, der gut zu ihrem blauen Hemd passte und ließ sich die Nägel lackieren. Dabei erzählte Inaya von ihrem Date, das sie ebenfalls letzten Samstag gehabt hatte. Es war weniger aufregend als Luzis gewesen, aber hatte sich dafür auch wesentlich entspannter über Abend hinweg entwickelt. Inaya hatte eine Frau getroffen, die sie über OkCupid kennengelernt hatte. Sie waren zusammen spazieren gegangen, hatten Cocktails in einer Bar getrunken, und zwar zu zweit, und waren schließlich miteinander im Bett gelandet. Luzi hatte die Frau, Marie, am Morgen bei sich in der Küche der WG kennengelernt und sie wirkte sehr sympathisch. Seitdem schrieben sich Inaya und Marie ununterbrochen Textnachrichten und wollten sich heute bei der Party wiedertreffen. Inaya war dementsprechend aufgedreht. Nun fragte sich Luzi auch, ob Lola da sein würde. Verdammter Marcus. Am Dienstag hatte Luzi von Franz eine Mail erhalten, in der sie erklärt hatte, dass sich ein paar Leute gefunden hatten, die eine Adbusting-Aktion planten und Inaya und Luzi hatten sich entschieden, sich gemeinsam für das Planungstreffen anzumelden. Es ging darum, Werbeplakate der Polizei und der Bundeswehr in der Stadt so umzugestalten, dass die Werbung in ihr Gegenteil verkehrt und Macht- und Gewaltstrukturen der Polizei intelligent und gern auch mit einer gewissen Komik offengelegt wurden. Derartiges hatten beide noch nie gemacht, aber sie hatten beschlossen, zum Treffen hinzugehen und so mitzumachen, wie sie sich wohlfühlten. Luzi hatte aus der Fembib das Buch ‚Unerhört! – Adbusting gegen die Gesamtscheiße‘ mitgebracht und hatte den anderen bereits ein bisschen daraus vorgelesen. Anscheinend konnte man Werbung als Spiegel der Gesellschaft verstehen, in dem sich dementsprechend die vorherrschenden Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse erkennen ließen. Die Auffassung der Autor*innen des Buches war weniger, dass Werbung diese Verhältnisse produzierte, denn das Bild einer durch Werbung manipulierten Gesellschaft schienen sie begründeter Weise abzulehnen, sondern vielmehr, dass Werbung, wenn auch nicht immer vollkommen offensichtlich, das zu verkaufen versuchte, was die Herrschaftsverhältnisse mit ihren Unterdrückungs-, Ausgrenzungs- und Ausbeutungsstrukturen festigte. Allerdings gab es immer wieder Aktionen, bei denen die Werbung mit Bemalungen und Spruchpostern so verändert wurde, dass ungerechte Strukturen aufgezeigt und genau das gesagt wurde, was die Firmen hinter der Werbung lieber nicht zu offen äußern wollten. Luzi gefiel diese Form des Protests, denn sie war kreativ, tat niemandem weh und konnte Menschen zum Nachdenken anregen. Karla drehte die Musik lauter und sie fingen an, in der Küche zu tanzen. Dann war es Zeit, sich zum Losgehen bereit zu machen. „Hey Luzi, hast du genug Katheter dabei?“, rief Inaya durch den Flur. Sie benahm sich, als wären sie ein altes Ehepaar, so wie Inaya für sie mitdachte. „Jap, danke!“, rief sie zurück. Luzi brauchte wegen einer chronischen Krankheit jedes Mal einen Katheter, um auf Toilette gehen zu können, der ihr half, ihre Blase zu entleeren. Doch letztens hatte sie von einer Party früher gehen müssen, weil sie zu wenig Katheter eingesteckt hatte und dann irgendwann zu dringend pinkeln musste. Inaya wollte diese Situation ein weiteres Mal wohl vermeiden, denn es hatte allen sehr leidgetan, dass Luzi früher gehen musste. Natürlich hatten sie angeboten, mit ihr nach Hause zu gehen, aber es war zwar ärgerlich aber auch nicht so schlimm gewesen. Aber so schnell würde Luzi das nicht wieder passieren. Es war lieb, dass ihre Freundin so mitdachte und sie unterstützte. Alle freuten sich auf die laute, durchdringende Musik, deren Bässe ihre Lungen vibrieren lassen würden und krakeelten schon Bus gegeneinander an, welche DJane die besten Sounds auflegen würde. Es war voll, als sie ankamen, und die Stimmung aufgeheizt. Inaya machte sich gleich auf die Suche nach Marie und die Anderen stellten sich erstmal in die Schlange an der Bar. Marcus gab eine Runde Longdrinks aus und sie stießen voller Vorfreude auf den Abend an. Sie begrüßten bekannte Gesichter, tauschten hier ein paar Worte aus, drückten dort verschwitzte Körper und fühlten sich bereit, in das Getümmel der Party einzutauchen. Luzi ließ den Blick über die tanzende Menge schweifen und entdeckte tatsächlich ein paar Leute von Lolas Freund*innen. Sie entdeckte Lola, die sich gerade ihren Weg an ihr vorbei zu den Toiletten suchte, und ihre Blicke trafen sich. Lola nickte ihr zu und ging an ihr vorbei. Luzi wunderte sich und sie sah, wie Luk die Augenbrauen hob. Sie zuckte mit den Schultern und prostete emm zu. Langsam kam sich Luzi vor, als würde Lola mit ihr ein Nähe-Distanz-Spiel spielen, dessen Regeln sie noch nicht verstand. Sie versuchte, nicht zu viel da hineinzuinterpretieren und lieber den Spaß mit Luk und den Anderen zu genießen. Als sie allerdings wenig später Lola sehr eng mit Nukas tanzen sah, war ihr seltsam zumute. Luk hatte es auch gesehen und sie merkte, wie ey sie im Auge behielt. „Alles ok?“, rief ey ihr kurz darauf gegen die Musik anschreiend in ihr Ohr. Wieder zuckte sie mit den Schultern und beide sahen zu Lola und Nukas hinüber, die nun heftig zu knutschen begannen. Luzi versuchte sich zu erinnern, ob Lola und sie darüber geredet hatten, ob sie eigentlich single waren und meinte sich ins Gedächtnis rufen zu können, dass Lola etwas in der Art gesagt hatte. Die Situation war ihr zunehmend unangenehm, weil nun auch der Rest ihrer Freund*innen die beiden gesehen hatte und ihr verwirrte Blicke zuwarf. „Komm, wir gehen zur Bar und holen die nächste Runde Getränke!“, rief Luk und zog sie mit sich. Die Anderen zeigte Daumen nach oben und gaben sich wieder der Musik hin, die ausgesprochen gut war, aber Luzi konnte es plötzlich nicht mehr richtig genießen. Sie war zu überfordert von dieser Wendung mit Lola. An der Bar angekommen, drehte sich Luk zu ihr um und sie konnte emm nun besser verstehen. „Hey, wie fühlst du dich? Magst du drüber reden?“ Sie stellten sich in die lange Schlange und Luzi überlegte kurz. „Ach keine Ahnung, ich bin jetzt nicht schlimm verletzt oder so, eher etwas irritiert.“ Luk nickte. „Sehr irritiert.“, berichtigte sie sich. „Meinst du, ich sollte jetzt irgendwas tun?“ „Nichts, was du nicht tun möchtest. Willst du gehen? Mit ihr reden? Soll ich sie zur Rede stellen?“, fragte Luk schelmisch. Luzi lachte auf. „Bloß nicht!“ „Das hab ich mir gedacht. Obwohl Inaya wahrscheinlich auch mitmachen würde.“ Luzi hielt sich lachend die Hände vor's Gesicht und Luk zog sie weiter damit auf, was ey Lola gern alles fragen und die Meinung geigen würde. Sie lachten über diese Vorstellung und Luzi begann sich wieder zu entspannen. „Die Frage ist eher, ob du Bock auf sowas hast.“, sagte Luk schließlich. „Ihr habt euch ja wahrscheinlich letzte Woche nicht monogam geehelicht und sie verstößt gegen Paragraf 1 des Ehevertrags.“ „Doch, genau das haben wir letzte Woche getan. Interessant, dass du es errätst!“, erwiderte Luzi ironisch. „Achso, wenn das so ist, müssen Inaya und ich nun doch mal ein Wörtchen mit Lola wechseln.“ Ey machte Anstalten, zu Inaya zu stürmen und Luzi hielt emm prustend lachend auf. „Ich verstehe, ich verstehe.“, beruhigte sie emm. „Ich weiß nicht. Ich glaube, ich muss erstmal darüber nachdenken.“ Luk nickte und begann die Getränkekarte über der Bar zu studieren, weil sie gleich bestellen konnten. „Vielleicht holen wir ein paar Flaschen Bier und Mate?“ „Klingt gut.“, stimmte Luzi zu. Luk bestellte und reichte Luzi die Flaschen weiter. Ey bezahlte und als sie sich zum Gehen umdrehten, stand da plötzlich Lola. „Soll ich schon mal vorgehen?“, fragte Luk. Luzi nickte und Luk verschwand in der Menschenmasse hinter Lola. Sie standen überfordert voreinander und wichen ihren Blicken aus. Dann sagte Lola etwas schroff: „Tut mir leid, ich halte nichts von Monogamie.“ Luzi nickte und sah zur Tanzfläche. Sie fühlte sich komisch und stellte fest, dass ihr die Rolle, die Lola ihr gerade gab, nicht gefiel. „Ok, klar.“, sagte sie. Es bestand ein Unterschied zwischen Monogamie und Rücksichtnahme. Lola wollte sich nicht nur nicht festlegen, sie schien auch nicht daran interessiert zu sein, Rücksicht auf irgendwen nehmen zu wollen. Luzi sah Lola von der Seite an und dachte, dass sie gerade von den Gedanken an Lola eingenommen war, so eingenommen, dass sie nur sie wahrnahm. Wenn sie interessiert war und jemanden spannend fand, dann war sie an weiteren Personen nicht mehr so interessiert. Wenn Lola sie also genauso spannend fand wie Nukas, mit der sie gerade geknutscht hatte, sagte es das dann etwas aus über Lolas Interesse an Luzi? Eigentlich wollte sie solche Überlegungen lieber nicht anstellen und sah wieder weg von Lola. Es war einfach so, dass sie sich gerade nicht sehr interessant für Lola vorkam, wenn diese das Interesse noch während des Kennenlernens zu verlieren schien. Vielleicht war Luzi aber auch zu obsessiv gewesen? Sie kannten sich kaum, hatten sich einmal getroffen, ein bisschen geknutscht, das war alles. Es waren keinerlei Versprechungen ausgesprochen worden, aber wenn sie jetzt ehrlich zu sich war, hatte der Kuss für sie ein Versprechen, nein, eine Zusage bedeutet. Kein Versprechen, dass sie nun zusammen und nur mit sich zu zweit zusammen waren, denn Luzi wusste nicht, ob es das überhaupt war, was sie wollte. Der Kuss war für sie die Zusage gewesen, sich füreinander zu interessieren und sich näher zu kommen. Nun merkte Luzi, dass der Kuss das nicht bedeutet haben musste, es war ihre Interpretation gewesen, weil Luzi bereit war, Lola näher zu kommen und vor ihr mit anderen zu knutschen, würde sie nicht näher bringen, sondern sie eher voneinander entfernen. Lola ging wortlos zurück zur Tanzfläche und Luzi sah ihr nach. Luzi hatte doch schon vorher wahrgenommen, dass Lola eine gewisse Distanz wahrte. Vielleicht war das die Nähe, die sie bevorzugte und das gern mit mehreren Menschen. Luzi ärgerte sich kurz über ihre unreflektierten Annahmen über Lola und dass sie mehr darüber nachgedacht hatte, wie sie es sich wünschte, statt wahrzunehmen, wie die andere Person sich wirklich verhielt. Sie war froh über ihre Erkenntnis und konnte Lola plötzlich nicht mehr so übel nehmen, wie sie sich benahm. Und nun hatte Luzi auch wieder Lust zu tanzen und schlängelte sich mit den Flaschen im Arm zu dem kleinen, ihr vertrauten Grüppchen auf der Tanzfläche. Luk, Inaya, Marie, Karla und Marcus empfingen sie euphorisch und sie tanzten gemeinsam zu Sookee und dann zu Großstadtgeflüster und dann zu Musiker*innen, die Luzi nicht kannte und sie vergaß Lola und war bei sich.
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EimoH. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.