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Leuchtende Menschen (10)

von EimoH


(Content Note: Polizeigewalt)

Nukas fluchte. Luzi griff nach dem Rucksack und rannte los. Sie hörte quietschende Reifen und ohne zu wissen, was sie tat, rannte sie so schnell wie möglich auf einen Weg zwischen zwei Häusern am Rand des Platzes zu. Die anderen mussten andere Wege gewählt haben, denn sie hörte sie nicht neben sich. Allerdings schien sie gar nichts zu hören, so laut rauschte das Blut in ihren Ohren. Sie rannte, ohne sich umzuschauen, doch plötzlich war es, als hätte sich ein Scheinwerfer auf sie gerichtet. Sie verstand sofort, dass es die Scheinwerfer des Polizeiwagens waren und damit feststand, wen die Polizist*innen beschlossen hatten zu verfolgen, nämlich sie. Sie rannte weiter, in der Hoffnung, den Weg zwischen den Häusern rechtzeitig zu erreichen, denn dort würde das Auto sie nicht verfolgen können. Sie hörte den Motor aufheulen und das Auto raste an ihr vorbei und versperrte ihr bremsend den Weg. Sie versuchte schlitternd die Richtung zu wechseln, da sprangen die Türen des Autos auf und zwei Polizisten rannten laut brüllend auf sie zu. Es hatte keinen Zweck. Sie blieb stehen und wollte sich wieder zu den Polizisten umdrehen, als sie mit voller Wucht umgerissen und zu Boden gedrückt wurde. „Hab ich dich, du Scheißkerl!“ Es fühlte sich an, als würde sämtliche Luft aus ihren Lungen gepresst und sie schnappte verzweifelt nach Luft. „Hör auf dich zu wehren, dann lass ich dich los.“ Luzi wehrte sich nicht, sie hatte sich ergeben. Sie verstand nicht, wovon der Polizist sprach und versuchte immer noch verzweifelt zu Atem zu kommen. Alles ging unheimlich schnell und ihre Sinne waren wie betäubt. So fixiert wie sie war, hatte sie überhaupt nicht die Möglichkeit sich zu bewegen und ihr Körper schmerzte, doch sie versuchte zu nicken, was der Polizist als gutes Zeichen zu nehmen schien, und von ihr runterging. Mühsam rappelte sie sich auf, wobei der zweite Polizist sie grob am Arm hochzog. Der Polizist, der sie umgetackelt hatte, rief überrascht mit Blick in ihr Gesicht: „Das ist ja gar kein Typ.“ Der andere hielt sie weiterhin am Arm fest und der Polizist schnauzte sie abfällig an, dass sie sich gefälligst wie `ne Frau anziehen solle. Es heißt immer, man solle gegenüber der Polizei nichts sagen, sich auch nicht rechtfertigen, nichts, einfach schweigen. Luzi hatte sich das immer schwierig vorgestellt, nur zu schweigen, wenn jemand mit ihr redete. Aber der Schock über die Gewalt und den Schmerz hatte sie erstarren lassen und so ließ sie sich wortlos Handschellen anlegen und beobachtete, wie der eine Polizist im Auto Verstärkung rief, während der andere anscheinend vollkommen ahnungslos fragte, was sie angestellt hatte, dass sie geflohen war. „Sie haben uns nur verfolgt, weil wir weggerannt sind.“, schoss es ihr durch den Kopf, aber sie konnte mit dieser Erkenntnis auch nicht viel anfangen, denn der Polizist, der sie festhielt, redete ununterbrochen auf sie ein, dass Widerstand gegen Polizeibeamte eine Straftat war. Sie hatte sich nicht gewehrt und war sich bewusst, dass hier bereits die Rechtfertigungsargumentation für die Gewalt gegen sie vorbereitet wurde. All das machte es leicht zu schweigen. Und das Schweigen verlieh ihr eine innere Sicherheit und Ruhe, obwohl sie sich verletzt und gedemütigt fühlte. Die Angst wich der Wut und der Scham und sie würde kein Wort sagen. Sie wurde aufgefordert, sich auf die Rückbank des Polizeiautos zu setzen und befolgte die Anweisungen wie in Betäubung, leicht eingeschränkt durch die Handschellen. Das Auto setzte sich in Bewegung und die Polizisten wurden per Funk benachrichtigt, dass zwei weitere Personen aufgegriffen wurden. Sie fluchte innerlich. Sie fuhren ein paar Straßen weiter, wo ein weiteres Polizeiauto stand und eine Polizistin und ein Polizist Nukas und Lydia festhielten, die widerwillig aber ansonsten unversehrt wirkten. Sie hielten daneben an und beide Polizisten stiegen aus und ließen sie im Auto zurück, von wo aus sie das Geschehen beobachtete. Anscheinend hatte sie den anderen beiden ohne es zu wissen genug Zeit verschafft, den Kleister und die Pinsel wegzuschmeißen, denn sie konnte davon nichts bei ihnen sehen, während die Polizist*innen sie durchsuchten. Das war Glück gewesen, denn nun gab es vielleicht keine Beweise mehr bei ihnen, die belegten, dass sie die Plakate angebracht hatten. Beide schienen ebenso zu schweigen wie sie und die Polizisten brüllten sie an. „Wenn ihr nichts Falsches getan habt, warum seid ihr dann weggerannt, he?“, hörte Luzi den einen eindringlich rufen und sie wurde sich wieder bewusst, dass die Polizist*innen überhaupt nicht wussten, warum sie weggerannt waren. Sie hatten die Plakate einfach übersehen. Die zwei Polizisten kamen zurück zum Auto und auch ihr wurde immer wieder die Frage gestellt, was sie getan hatte. Der Schock saß ihr noch tief in den Knochen und sie schwieg. Sie schaute auf ihre Hände in ihrem Schoß und dachte, dass sie von nun von sich behaupten konnte, schon mal in Handschellen abgeführt worden zu sein und hätte darüber fast lachen können. Aber die Situation machte ihr Angst und so blieb sie regungslos, auch als sich die Polizisten beide wieder ins Auto setzten und sie mit ihr zurück zu dem Platz fuhren, wo sie Luzi aufgegriffen hatten. Wieder stiegen sie aus, aber diesmal holten sie Luzi auch aus dem Wagen. Schnell hatten sie ihre gemalten Poster auf den Werbeflächen entdeckt und schienen einen Augenblick überfordert zu sein von dem, was sie da lasen. Dann wurden sie wieder wütend. Das zweite Polizeiauto parkte neben ihnen und Lydia und Nukas sollten sich zu ihr stellen. Sie sah sie nicht an, sondern beobachtete, was die Polizist*innen taten, die sich nun persönlich angegriffen fühlten und schimpften. Sie machten Fotos, zwei von ihnen kamen dann zu Luzi und den anderen, trennten sie wieder ein paar Meter voneinander, um sie nochmal zu befragen. Der Polizist fragte, ob sie ihren Personalausweis dabei hatte und sagte ganz nebenbei, dass er nicht so viel Gewalt hätte anwenden müssen, wenn sie sich nicht gewehrt hätte. Luzi schnaubte und sah, dass Lydia zu ihr hinübersah. Ihre Personalien wurden aufgenommen. Lydia sah sie seltsam an, vielleicht mit einer Mischung aus Ärger und Besorgnis. Luzi sah weg. Sie war müde und fror. Außerdem machte sie sich Sorgen, wie lange sie hier festgehalten und ob sie mit zur Polizeiwache genommen werden würden, denn ihr war plötzlich eingefallen, dass sie nicht daran gedacht, viele Katheter einzustecken. Sie überlegte immer wieder, wie viele sie dabei hatte, wovon ihr nun auch noch übel wurde, denn sie war sich eigentlich sicher, dass sie nur zwei in der Hosentasche hatte. Sie hatte nicht ihren eigenen Rucksack genommen und hatte dementsprechend ihren üblichen Mini-Vorrat an Katethern in Alinas WG zurückgelassen. Sie befühlte mit gefesselten Händen ihre Hosentasche und spürte nur zwei der Röhrchen. Wie hatte sie so dumm sein können? Sie ärgerte sich über sich selbst und wusste doch auch, dass sie mit dieser Situation einfach nicht gerechnet hatte. Sie fing wieder Lydias Blick auf, die sie mahnend aber auch beruhigend ansah. Lydias Blick schien ihr sagen zu wollen, dass sie sich keine Sorgen machen sollte, doch das ging nach hinten los, denn nun schämte sich Luzi auch noch, dass sie hier wahrscheinlich am leichtesten aus der Geschichte rauskam mit ihrem ansonsten unauffälligen Lebensstil. Sie wusste von Inaya, dass Polizist*innen gern Unterschiede nach Aussehen machten und Luzi passte wahrscheinlich am besten in ihr Bild einer ordentlichen Bürgerin, die sich zu einer kleinen Dummheit hatte verleiten lassen. Luzi versuchte sich zu beruhigen und sich ins Gedächtnis zu rufen, dass es hier um Sachbeschädigung ging. Die Wut des Polizisten gleich zu Anfang, seine Gewalt und auch die Erniedrigung, die er ihr entgegengespuckt hatte, hatten sie sich augenblicklich im Unrecht und als Schwerverbrecherin fühlen lassen. Sie schloss kurz die Augen und konzentrierte sich dann wieder auf den Polizisten vor sich. Zu Lydia sah sie lieber nicht mehr herüber, sie wollte nicht weiter in ihrem Blick erahnen, für was sie sie hielt, nämlich schwach. Sie sah zu den Werbetafeln hinüber. Der Kleister war noch feucht und es war ein Leichtes für die Polizist*innen, die Sprechblasenposter einfach wieder abzuziehen, sodass die Werbeplakate plötzlich wieder aussahen wie vorher. „Das gibt mindestens eine fette Klage wegen Sachbeschädigung.“, sagte der Polizist ihr gegenüber schließlich und ging zu den anderen hinüber. Luzi überlegte, wie sie die Polizist*innen darauf hinweisen sollte, dass sie Katheter brauchte, wenn sie zur Polizeistelle fahren würden, als sie plötzlich angesprochen wurden, dass sie nun gehen konnten. Sie versuchte sich wie zuvor keine Emotion anmerken zu lassen und sah zu Lydia und Nukas hinüber, die ihr zunickten, woraus sie schloss, dass sie nicht weiter so zu tun brauchten, als ob sie sich nicht kannten und sie gingen gemeinsam los Richtung Innenstadt. Erst als sie um eine Ecke bogen und für die Polizei außer Sicht waren, sprach Nukas. „Kein Wort bis wir wieder bei Alina zuhause sind, ok?“ Luzi nickte und fühlte sich, als hätte sie auf ganzer Linie versagt. Das Adrenalin in ihrem Körper sorgte noch immer dafür, dass ihr Herz pochte und das Blut in ihren Ohren rauschte. Dann sah Nukas sie beide an und fragte: „Seid ihr ok?“ Lydia nickte und Luzi antwortete zaghaft: „Ich denke schon.“ Nukas und Lydia sahen sie beide forschend an. Nukas legte einen Arm um sie, Lydia nahm ihre Hand und sie ließ beides zu. Dann sagte Nukas: „Erzähl uns alles, was passiert ist, wenn wir dort sind, ja? Natürlich nur so wie du magst, aber es ist wichtig darüber zu reden.“



copyright © by EimoH. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





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