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Stories » Detail

Mo

von mick_knight


Ich sah sie gleich, als ich in die Kneipe kam. Sie fiel eigentlich kaum auf und doch hatte sie etwas, was mich sofort faszinierte. Ihre Augen waren von unendlich tiefem grün und als sie mich jetzt ansah, schimmerten sie in einem atemberaubenden jadegrün. Dieser Blick elektrisierte. Gelassen ging ich zu meinem Lieblingstisch in der Ecke am Fenster. Ich mochte diesen Platz, weil ich so einerseits die vorbeieilenden Passanten beobachten konnte und auch in der Kneipe fast jeden Winkel beobachten konnte. Ich spürte dieses vertraute kribbeln im Nacken. Wie jedes mal, wenn ich mich beobachtet fühlte. Hinterm Tresen war ein Spiegel und von dort kam auch ihr Blick. Unsere Blicke begegneten sich im Spiegel. Ihrer tiefgrün und unergründlich. Woher kam sie wohl? Ich hatte sie noch nie hier gesehen. Sie stand mit ein paar Frauen am Tresen. Ihr Lachen gefiel mir. Wenn sie redete gestikulierte sie, erzählte mit vollem Körpereinsatz. Temperamentvoll, dachte ich und lächelte. Ich muß sie direkt angelächelt haben, denn plötzlich lächelte sie und prostete mir mit ihrem Bier zu. Ich erwiderte, fast mechanisch. Sie hatte mich doch angelächelt, oder?

Meine Kneipe gab es schon seit ewigen Zeiten. Selbst Violetta, die Inhaberin, konnte sich nicht erinnern, wie lange sie die Kneipe schon in Betrieb hatte. Violetta stand hinterm dem Tresen und beobachtete wie immer ihre Gäste. Ihr Blick war oft undurchdringlich, ein ironisches Lächeln umspielte immer wieder ihre Lippen. Wenn frau Violetta nach ihrem Alter fragt, beginnt sie immer zu lachen und behauptet, das wüsste sie selbst nicht mehr so genau. Sie war schwer zu schätzen, irgendwo Mitte 40, vielleicht auch älter. Sie war von kräftiger Statur ohne dick zu sein. Ihr Haar war kurz geschnitten und an den Seiten begann sie leicht zu ergrauen. Ihr Gesicht hatte immer einen ausgesprochen freundlichen Ausdruck. Um die Augen herum zeichneten sich erste Fältchen. Als wir uns kennen lernten, spürten wir beide sofort eine Art Seelenverwandschaft.

Der Tresen sah schon sehr alt aus. Er war aus dunklem Teakholz und war an einigen Stellen schon ramponiert. Violetta hatte mal erzählt, das sie ihn bei einer Versteigerung gekauft hätte. Er stamme angeblich aus einem Westernsaloon. Als sie den Tresen kaufte bestimmte sie damit das gesamte Flair der Kneipe. Ein wenig Südstaaten, ein wenig wilder Westen und sehr viel Herzlichkeit. Ich fand diese Umgebung sehr tröstlich, wann immer es mir nicht so gut ging, kam ich hier her und Violetta nahm mich immer herzlich unter ihre Fittiche. Wenn sie doch meine Mutter wäre, vieles wäre einfacher gewesen.

Ich sah mich um und entdeckte in der Ecke mir gegenüber ein frisch verliebtes Paar. Himmel, wie lange war es eigentlich bei mir schon her, das ich so verliebt ausgesehen habe wie die zwei? Sie sahen sich unentwegt in die Augen, lächelten und redeten sehr leise miteinander. Wäre ich im Lippenlesen geübt gewesen hätte ich ihr Gespräch mühelos verfolgen können. Ich fragte mich, wie gut man das Gesicht des Gegenübers denn noch sehen konnte, wenn die Köpfe so dicht zusammensteckten. Aber ich konnte mich vage daran erinnern, wie es ist verliebt zu sein. Im Grunde war es egal wie gut man sah, die Nähe war wichtig. Das Gefühl, der anderen so nah zu sein wie es irgend möglich war.

In der anderen Ecke stand ein Klavier. Sowas sah ich sonst nur in alten Clint-Eastwood-Schinken, wo ein hoffnungslos betrunkener Barmann Klavier spielte und die Tasten nicht wirklich gut traf. Dieses Klavier wurde nur selten genutzt und wenn dann nur von Violetta selbst. Sie hatte mal beiläufig erwähnt, das sie eine klassische Ausbildung am Klavier hatte. Auf dem Klavier stand ein alter messingfarbener dreiarmiger Leuchter. Sämtliche Westernsaloon-Klischees waren hier vorhanden. Es fehlten lediglich die Can-Can-Tänzerinnen. Nur sollte das Violetta nicht erfahren, sie würde glatt dafür sorgen.

Unsere Blicke begegneten sich abermals im Spiegel. Sie drehte sich zu mir um und sah mich mit diesen Wahnsinnsaugen offen an. Ein Lächeln lag darin. Ich fühlte mich unsicher. Eine der anderen Frauen sprach sie an und sie wendete sich von mir ab. Sie lachte über etwas, das die andere sagte. Sie musste ungefähr einen halben Kopf kleiner sein als ich. Meine Blicke wanderten an ihrem Körper auf und ab. Ich schätzte sie um die dreißig. Blonde kurze Haare, Lachfältchen um die Augen. Ein voller Mund, wie zum küssen geschaffen. Mein Herz schlug schneller, als ich sie so dastehen sah. Normalerweise hatte ich so einen Herzschlag nur beim Joggen. Mo, benimm dich, ermahnte ich mich selbst. Ich wandte mich meinem Bierglas zu und beobachtete wie die Blume immer kleiner wurde. Es erinnerte mich an Schnee, Schnee wie ich ihn das letzte mal als Kind sah. Damals, zu Hause, war die Welt noch in Ordnung. Aber das Erwachsenwerden nimmt einem diese Unbeschwertheit und Schnee erscheint einem oft lästig.

Mein Blick wanderte zurück in die Kneipe. Heute Abend war hier nicht so viel los, wenig Leute, nur diese Clique am Tresen, wo sie mittendrin stand, eine Gruppe von fünf Frauen, dieses verliebte Paar dort drüben und ich, allein in meiner Ecke. Ich fühlte mich ausgesprochen wohl heute, fast unbehelligt.

Wieder sah ich zu ihr hin. Wie konnte ich diese Frau nur ansprechen? Sie stand in ihrer Clique, sah immer wieder herüber, lächelte, aber das war’s auch schon. Wollte sie überhaupt angesprochen werden? Vermutlich nicht, denn dann hätte sie doch sicher so etwas wie ein Zeichen gesandt. Vielleicht hat sie es ja und ich habe es wieder mal nicht bemerkt. So erging es mir immer wieder. Wenn ich mit meinen Freundinnen zusammen unterwegs war, meinten sie immer wieder, die eine oder andere würde mich beobachten und ich solle sie doch mal ansprechen. Zum einem konnte ich das immer nicht glauben und für das ansprechen, nun ja, sagen wir mal, war ich zu feige. Aber diese Frau hier faszinierte mich und ich spürte eine gewisse Unruhe in mir. Ich verwarf den Gedanken, mit ihr überhaupt ins Gespräch zu kommen.

Ich nahm mein Bierglas in die Hand und ging hinüber zu Violetta an den Tresen.
„Hallo Mo.“ Sagte sie zu mir. Ich nickte ihr nur zu und platzierte mich an der Ecke des Tresens. Violetta hatte rings um den Tresen hohe Barhocker aufgestellt. Übel, wenn frau ein Glas zuviel getrunken hatte.
„Wie geht’s dir?“ Sie ließ sich durch meine leicht mürrische Art heute nicht beirren.
„Ganz gut. Und selbst?“
„Hm.“ Violetta nickte nur und begann ihre Gläser zu polieren.
„Kann ich dir helfen?“ fragte ich leise. Sie wusste, das ich ihr gern zur Hand ging hinterm Tresen. Manchmal rief sie mich an, um zu fragen ob ich bei einer bestimmten Gelegenheit aushelfen könnte.
„Nein, laß nur, Mo. Ist ja nichts los heute.“ Sie beobachtete mich genau.
„Hast du die kleine Blonde gesehen?“ frage sie mich. Ihren Adleraugen entging keine meiner Regungen. Ich tat unschuldig und verneinte. Himmel, ich sah heute Abend gar nichts anderes!
Violetta lächelte wissend.
„Kennst du sie?“ fragte ich unvermittelt. Das wollte ich doch gar nicht fragen! Verraten. Violettas Lächeln wurde breiter.
„Ja.“ Sagte sie gedehnt, als wüsste sie genau was mich so brennend interessiert. Aber mehr wollte ich nicht fragen. Entweder Violetta teilte jetzt auf der Stelle ihr Wissen mit mir, oder sie behielt es für sich.
„Liebes, du hast schon wieder diese steile Stirnfalte. Über was grübelst du? Ob du sie mal ansprichst?“ Woher wusste sie das denn nun? Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Manchmal musste ich wirklich über Violetta staunen. Sie hatte gewiss irgendwelche geheimen Zauberkräfte, das musste es einfach sein.
Oder war ich gar so leicht zu durchschauen?
„Glaub mir, die Kleine hat nur Augen für dich heute Abend.“ Sie grinste fast diabolisch. Zauberkräfte, sag ich doch.
„Aha“ murmelte ich.

Langsam wurde ich ärgerlich. Es ist ein wesentlicher Charakterzug von Violetta, einen so schmoren zu lassen. Am liebsten hätte ich sie mir geschnappt, wäre mit ihr in die Küche, hätte auf einen Stuhl festbinden mögen, bis sie mir jede Einzelheit dieser Frau erzählt hatte die sie wusste. Aber das ging ja wohl entschieden zu weit, dachte ich. Aber andererseits hatte diese Idee durchaus ihre Reize. Ich schaute wieder in diese jadefarbenen Augen. Diese Augen gehören verboten, dachte ich, man könnte glatt darin ertrinken.

„Ach du“, sagte Violetta und wuschelte mir mit ihrer Linken durch meine dunklen kurzen Haare. Ich rang mir ein Lächeln ab, das jadegrüne Lächeln war erstarrt. Nein, sagte ich in Gedanken zu ihr, wir sind nicht zusammen! Lächel, bitte! Aber der Jadestern wandte sich nun endgültig ab. Klasse, dachte ich niedergeschlagen. Mordlust begann sich in mir zu regen. Ich könnte Violetta erwürgen. Aber so war nun mal unser normaler Umgang miteinander und wie, bitteschön, hätte ich ihr erklären sollen, das es heute Abend ganz und gar unpassend war?

Ich schluffte erstmal zur Toilette, ließ das kalte Wasser über meine Hände laufen und dachte nur an das Wesen mit den jadefarbenen Augen. Ich schloß die Augen und schon wollte meine Phantasie mit mir durchgehen. Eine ganze Flugzeugarmada begann in meiner Magengrube mit der Flugschule. Ich musste hier raus! Ich war offenbar mehr auf Entzug als ich mir eingestehen wollte. Oder hatte diese Frau einen magischen Bann um mich gelegt, ohne das ich es bemerkt hatte?

Als ich wieder rein ging, sah ich Violetta in einem Gespräch mit dem Jadestern. Was war das denn jetzt?

Ich schnaubte ein wenig ärgerlich, schnappte mir mein Glas und ließ mich betont lässig in meiner Ecke nieder, schlug die Beine übereinander und starrte aus dem Fenster. Es war mittlerweile dunkel geworden. Im Fenster spiegelte sich der Innenraum der Kneipe wider. Sie redeten immer noch, ich spürte ihre Blicke, die sich auf meinen Hinterkopf hefteten, als würden sie so meine Gedanken lesen können. Violetta konnte es sicher. Nein, ich musste nach Hause. Von wollen konnte keine Rede sein. Ich wusste noch immer ihren Namen nicht.

Es war schon spät, morgen hatte ich einen wichtigen Kunden und ich musste einen klaren Kopf haben. Allerdings bezweifelte ich ernsthaft, heute oder morgen noch einen klaren Kopf zu bekommen. Immer wieder schob sich dieses Gesicht mit den jadegrünen Augen und diesem vollen sinnlichen Mund vor mein inneres Auge. Ich seufzte auf, setzte mich in Bewegung Kurs Violetta und wollte zahlen.
„Jetzt schon?“ fragte Violetta ungläubig.
„Du gehst nie so früh.“
„Hab morgen nen wichtigen Termin.“ murmelte ich. Eingehend betrachtete ich mir die Platte des Tresens.
„Na, wenn du meinst.“ Entgegnete sie. Ich seufzte innerlich auf.

Als ich dem Ausgang zustrebte, spürte ich eine ganz leichte Berührung am Arm. Ich drehte mich um und sah in diese wunderbaren grünen Augen. Sie war wirklich nur einen halben Kopf kleiner als ich.
"Bleib." sagte sie. Ihre Stimme war ein wenig rau, tief und verdammt sinnlich.
„Öhm… das geht nicht. Mein Hamster muß gefüttert werden.“ Stotterte ich hilflos rum und stürmte auf die Straße.

Toll gemacht Mo, schimpfte ich. Super. So dämlich kannst auch nur Du Dich anstellen. Wieder eine Nacht allein. Und nun?



copyright © by mick_knight. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


schöne Namen :-)
Du bist richtig gut im schöne Namen finden. Die Story ist auch toll. Sogar mit Hamster :-)
BeatrixKiddo - 15.10.2004 21:23
*Grins*
Smudo - 20.01.2003 02:21
hui.....
coco-md - 06.01.2003 23:41
WOW!!!
perhapsss - 27.12.2002 20:29
Super!!
- 20.12.2002 11:31

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