von mammut
Ich höre "small town boy"von bronski beat in meinem kleinen zerfetztem Radio,während ich in der Eiseskälte draußen alleine auf dem Bahnhof stehe. Der kalteWind peitscht in mein Gesicht, immer wieder fallen die schlechtsitzendenOhrstöpsel heraus, bis ich schließlich genervt die Kapuze des nach Rauchriechenden Sweatshirts aus der Jacke pule, und sie mir über die Ohren ziehe.
Während ich auf das schlechtbelichtete Grau des Bahnhofsboden starre, auf demmeine kleinen Füße gerade halb abfrieren, denke ich darüber nach, welcher Weghierhergeführt hat.
Geistesabwesend krame ich den kleinen Flachmann Wodka aus der Tasche, und sucheden billigen Tabak. Irgendwo flattert ein Blättchen davon.Ich folge ihm mitmeinen Augen. Wir haben Dezember. Es ist Neblig. Meine Hände sind rauh undklamm. Es fällt schwer, die Kippe zu drehen. Ich fühle sie nicht. Der Wodka tutgut. Lässt vergessen, dass weder meine Arme oder die Waden vor Kälte zu spürensind. Ich spucke etwas Rotz auf die Schienen. Eine Ratte rennt zügig weg. Ichmuss grinsen. "I am still alive",lacht das rosa Mammut in meinem Kopf, hebt denRüssel.
Nein, ich bereue nichts.
Nach 9 Semestern Studium an der Uni-Bremen entschloss ich aus finanziellenGründen das Handtuch, bzw. die Staffelei zu werfen.
Da war sie in meinem Kopf. 3 Jahre lang hang ihr Lächeln wie ein Damoklesschwertüber meinem Kopf. Überall, wo ich auf dem Campus herumstreunte, wünschte ich mirdiese Begegnung. Aber da war nichts.
Das Lächeln war fort. Ich hätte ihre Poster mit seltsamen Symbolen beschriftet,wenn sie es sich gewünscht hätte.
Aber da war nichts. Leere.
In der Ferne sehe ich den Rauch eines Schornsteins. Die Kälte hat mich nun ganzeingehüllt. Die Panik des Erfrierens beiseite geschoben. Die Zigarette schmeckt.
Strahlung gelangt in meinen Körper. Fast so zäh wie ihr strahlendes Lächeln.
Besser wird es heute nicht mehr.
Ein klein wenig zeichnet sich der Rand einer hellen Scheibe ab. Dort woeigentlich die Sonne sein soll, sehe ich einen wunden milchigen Fleck. Achtlosschmeisse ich die Kippe der Ratte hinterher. "Ieeek!"
"Tja, Rattenfrau, du wärst vielleicht die letzten Jahre eine bessereProjektionsfläche für meine unerfüllten Wünsche gewesen," denke ich.
Ich lache still in mich hinein. Die Minuten sind fast um. Einige wenige Gestalten stehen mit mir auf dem Bahnhof. Mittlereile füllt ersich. Kleine Buden lassen den verführerischen Duft von Kaffee und Croissantsunverschämterweise in meine Nase steigen.Auch das ist Kapitalismus.
Aber wollen wir nicht alle von irgendwas leben? "Nein," sagte das Mammut in mir.
"Du hast dich für deinen Weg entschieden. Nicht das Geld, sondern die Liebe unddas Leben. Was bedeuten dir Zahlen, die auf Papier gedruckt sind? Blechmünzen?"
Ich nehme noch einen tiefen Schluck aus der Wodkaflasche. Die Jacke hält nur dennötigsten Wind ab. Die Kette mit der Rasierklinge um meinem Hals hängt aus derJacke. Ich stecke sie wieder rein. Lebe jeden Augenblick, denn du kennst deinEnde nicht. Meine Freundin, die Ratte, schnüffelt den Croissants hinterher.
Endlich. Das vertraute Geräusch. Der Zug fährt ein. Quietschend kommt dieMaschine zum stehen.
Nun, zieh eine Nummer.
Er bringt mich zu meinem nächten Vorstellungsgespräch. Es wurde mir wieder eineVollzeitstelle angeboten. In der Stunde bekomme ich diesmal 6,50. Dafür wird dasGesundheitszeugnis bezahlt.
Möglicherweise darf ich auch bald in der Arbeitersiedlung am Hafen wohnen.
Produktionshelferin.
Ich habe immerhin eine Seele. Nebenbei erinnere ich mich an einen Film. 1984.
Beim Einsteigen in den Zug schalte ich das Radio und mein Denken ab.
Ab hier würde es mich stören.
Nach Feierabend bleiben ja noch 2 Stunden Zeit auf dem Rückweg alles zuvergessen, und mich daran zu erinnern.
"Nein. Ich bereue nichts."
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mammut. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.