von Gwendoline90
Es fühlt sich seltsam an, wieder dort zu sein, wo so vieles angefangen hatte. Zwei Wochen zu Besuch im ehemaligen Zuhause. Anlass war die Hochzeit eines Schulfreundes, und ein Kurzurlaub bei ihren Eltern, die sie selten so lange sah. Die Einladung zur Hochzeit war eine Überraschung für sie gewesen, sie verstand nicht, warum Menschen so früh heirateten.
Schon als sie am Bahnhof ausstieg, kamen ihr die Luft zu frisch, die Bäume zu grün und die Straßen zu sauber vor. Sie schmunzelte über sich und ihre Gedanken, schulterte ihren Rucksack, und schlenderte in Richtung Taxistand.
Es hatte sich nichts, rein gar nichts verändert in den Jahren, in denen sie dieser lebendigen Kleinstadt entflohen war.
Während sie auf der kurzen Fahrt das Rathaus, die alte Post, den berüchtigten Stadtpark (der eher nur eine Ansammlung von 5 Bäumen und wenigen Quadratmetern Rasen war) an sich vorüberziehen ließ, fiel ihr Blick auf eine junge Frau und ihr Herz schien kurz stillzustehen. Caro. Es gibt diese wenigen Momente im Leben, in denen man sich sicher ist, dass die Welt aufhört sich zu drehen, die Zeit stillsteht und Straßenlärm und Gesprächsfetzen in den Hintergrund treten.
Sie schüttelte ungläubig den Kopf, und drehte sich auf der Rückbank des Taxis sitzend nach hinten um. Caros Haare waren länger geworden und fielen noch immer in hellbraunen Wellen über ihre Schultern. Sie sprach mit ihrem Vater, und lachte. Das Lachen war auch nach all den Jahren noch ansteckend, selbst in diesem auf stumm gestellten Zustand. Kopfschüttelnd blickte sie wieder nach vorne, das Taxi fuhr zu schnell um noch einen Blick auf Caro zu erhaschen.
Leicht benommen stieg sie aus dem Auto, bezahlte den Fahrer und betrat das Haus, das sich fremd anfühlte. Sie stellte den Rucksack ab, und ließ sich auf das dunkle Ledersofa plumpsen. Caro… sie hatte noch oft an sie gedacht, wenn auch immer seltener in den letzten Jahren.
Sie waren damals beide in der 8. Klasse gewesen, beste Freundinnen natürlich, die händchenhaltend-kichernd über den Schulhof liefen und über Jungs tratschten. Die jedes Wochenende miteinander verbrachten, Videoabende machten und heimlich die erste Zigarette gemeinsam rauchten und für eklig befanden. Im Unterricht hatten sie sich immer Zettel geschrieben, Fragen zu Dingen die man über die andere wissen wollte, jede Stunde, denn über manche Dinge kann man besser schreiben als sprechen. Als alle Fragen bis auf eine gestellt waren, wollten sie beide die alles entscheidende Frage nicht so recht stellen, vielleicht… hatte man selber ja alles überinterpretiert und die beste Freundin sah das alles ganz anders und lachte einen aus. Es war die pure Neugier und Vorfreude, die beide letztendlich doch auf jeweils einen Zettel loskritzeln ließ, der dann in der großen Pause gleichzeitig ausgetauscht werden sollte. So musste sich nicht eine offenbaren während die andere nur kommentierte.
Mit zittrigen Händen wurden die beiden Zettel in der Pausenhalle ausgetauscht und hastig aufgeblättert. „Ich… ich mag dich, mehr als nur gern. Wir haben doch über Dinge gesprochen, die wir gerne ausprobieren würden, mit einer Frau… und ich würde gerne mit dir.“ „Ich würde gerne mehr mit dir machen als nur Händchen zu halten.“
Welch eine Erleichterung, kein Missverständnis, sondern klare Einigkeit. Kichernd liefen sie also wieder über den Schulhof, tratschten über Jungs, und harrten der Dinge die da kommen sollten.
Das Mädchen von damals und die heutige junge Frau strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie lächelte beim Gedanken an Caro. Es fand eine Klassenparty statt, und da Caro nicht sehr nah an der Schule wohnte, sollte sie bei ihr übernachten. Überdreht und aufgeregt war es nicht die Klassenparty, auf die die beiden sich fiebrig freuten, sondern die Zeit danach. Erst schien es etwas kompliziert zu werden, weil niemand sich so recht traute, und die Matratze auf dem Boden so viel niedriger war als das Bett, doch nachdem man sich über den Abstand hinweg anschaute und sich vorsichtig die Hände reichte und es zu einem zögerlichen, fragenden ersten Kuss kam, fasste Caro sich pragmatisch denkend ein Herz. „Entweder kommst du zu mir runter, oder ich zu dir rauf.“ Die Entscheidung war allerdings schon getroffen, denn Caro zog sie zu sich herunter, wo schüchterne Hände einander betasteten und streichelten.
Als am nächsten Morgen viel zu früh der Wecker klingelte, schien alles ein Traum gewesen zu sein, doch als Caro an sie geschmiegt in ihrem Armen aufwachte und sie anlächelte, wusste sie, nein, kein Traum, sondern traumhafte Realität. Beschwingt gingen die beiden Mädchen zur Schule, liefen händchenhaltend über den Schulhof, und tratschten über Jungs.
Einen halben Tag später wurde sie von Steinen geweckt, die gegen ihre Balkontür flogen. Schlaftrunken stand sie auf, und sah aus dem Fenster. Dort stand Caro, mit ernstem Gesicht und einer pinken Mädchenblume in der Hand. Eine dieser Blumen, die immer auf Hefte, Bücher und Etuis gemalt wurden. Verwirrt rollte sie die Strickleiter aus, und Caro kletterte vorsichtig hoch und stand schließlich schnaufend vor ihr.
„Du ich muss dir was sagen.“
„Was denn?“
„Die… die Blume ist für dich. Ich will nie wieder über gestern reden. Versprich mir das.“
„Aber… warum? War es für dich nicht schön?“
„Doch… aber… wir sind doch zwei Mädchen. Das ist krank. Die Leute würden über uns reden. Das darf nie wieder passieren. Versprich mir, dass wir nie wieder darüber ihr reden.“
Voller Hass blickte sie auf die blöde pinke Mädchenblume, die Caro ihr entgegenstreckte, und nickte.
„Ich verspreche es dir.“
Mit einem kurzen Lächeln kletterte Caro die Strickleiter herunter, während sie auf dem Balkon stand, und die Blume anstarrte, als sei sie giftig.
Sie hatte ihr Versprechen gehalten, und nie wieder mit Caro über diese Nacht geredet. Und doch hatten alle Sternschnuppenwünsche der nächsten zwei Jahre ihr gegolten. Wie das bei den meisten Schulfreundschaften so ist, hatten sich die Wege getrennt, sie hatte die Schule gewechselt, und Caro ebenfalls. Sie hatte Caro sieben Jahre nicht gesehen. Bis heute.
Schrill riss das Telefon sie aus ihren Gedanken. Sie meldete sich etwas kurz angebunden, und statt einer Begrüßung kam ein „Ist alles ok bei dir?“ ihres Schulfreundes.
„Ja, alles in Ordnung.“
„Bist du gut angekommen? Martin holt dich in einer Stunde ab.“
„Prima. Ich sollte mich dann so langsam mal umziehen.“ Sie setzte schon zu einer Verabschiedung an, als er sich deutlich räusperte.
„Caro ist übrigens auch da.“
„Oh.“
Schweigen. Das zweite Mal an einem Tag setzte ihr Herz kurz aus.
„Ist irgendwas?“
„Nein, alles in Ordnung.“
„Gut, dann bis später!“
Deswegen war sie also auch in der Stadt. Entschlossen stand sie auf, und kämmte etwas zu energisch ihre Haare. Beim zehnten schmerzhaften Ziepen stellte ihr Gehirn die Denkfähigkeit wieder her, und sie setzte sich. Leise lächelnd griff sie zu einem Stück Papier und einem Stift.
Laute Musik hallte ihr aus dem Raum entgegen, als sie gemeinsam mit Martin und seiner Freundin ankam. Nach artigen Glückwünschen für das Brautpaar, blickte sie sich suchend in der Menge um, die schwitzige Hand fest um ein Stück Papier geschlossen.
Und sah Caro, wie sie sich zielstrebig auf sie zu bewegte.
Angespannt standen die beiden jungen Frauen mit ernsten Minen voreinander.
Diesmal war sie es, die die Initiative ergriff.
„Ich habe was für dich.“ Sie streckte ihr die Hand entgegen. Zur gleichen Zeit streckte auch Caro ihr die Hand entgegen, auf der Handfläche ebenfalls ein kleiner Zettel.
Hastig falteten die beiden die Zettel auf.
„Du hast damals einen Fehler gemacht und etwas Schönes aus Angst zurückgewiesen. Ich will dass du das wiedergutmachst.“
„Ich habe damals einen Fehler gemacht, und dich aus Angst zurückgewiesen. Es tut mir Leid.“
Sie lächelte, zog Caro zu sich heran, und küsste sie, diesmal ohne Angst, sondern leidenschaftlich. Vor all den Leuten. Caro schmiegte sich an sie, verschmitzt lächelnd mit verschmiertem Lippenstift. Vor all den Leuten.
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Gwendoline90. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.