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Regen oder Traufe

von Capricot


Ich weiß nicht, weshalb in meinem Leben immer alles anders kommt als ich mir das so vorstelle. Vielleicht liegt es daran, daß ich nie so richtig weiß, was ich eigentlich will. Ich dachte, ich wüßte es, als ich zu Vanessa zog. Mein Freund dachte das auch. Vier Jahre waren wir zusammen gewesen, aber ein Schock war es für ihn nicht. Wäre es das doch nur gewesen! Das hätte mir bestimmt vieles erleichtert. Aber nein, sie sei keine Kokurrenz für ihn, sagt er, als ich meinen Fehltritt gestehe. Er habe überhaupt kein Problem damit, und er fände Vanessa auch noch total sympathisch! Ja weißte, also manchmal, da kann man sich doch nur an den Kopf fassen! Verstanden habe ich ihn jedenfalls nicht. Aber das war damals. Die Situation heute war, nun ja, so ganz anders war sie eigentlich auch wieder nicht. Immerhin ging es darum, jemanden für jemand anderen zu verlassen. Es war also zumindest ähnlich, auch wenn Vanessa das – wie überhaupt alles – natürlich wieder völlig anders sieht. Für verrückt gehalten hat sie mich, und wie es so ihre Art ist, konnte sie sich bei der Verdeutlichung dessen nicht auf rein verbale Argumente beschränken. Das hat Rainer nie gemacht! Angefaßt hätte der mich nie! Ich weiß nicht, warum sie es tut, aber es ist auch völlig zwecklos, mit ihr darüber zu reden. Im Entschuldigen ist sie Weltmeister, bloß was nützt das? Hinterher. Oder wem?

Das war nicht immer so, anfangs zum Beispiel überhaupt nicht. Die erste Zeit mit ihr war der Himmel auf Erden, ein Traum, der eigentlich nie hätte enden sollen oder dürfen, jedenfalls nicht, was mich angeht. Wir haben uns blind verstanden und diese Vertrautheit auch gelebt. Mehr als das, wir haben es in vollen Zügen genossen. Aber eben nur die erste Zeit. Als sie ihre Stelle verlor, wurde vieles anders. Sie hat mir nie erzählt, wie es wirklich dazu gekommen war, aber ich glaube, sie hat sich wohl so manches nicht bieten lassen, nur daß ihr Kontrahent am längeren Hebel saß. Vielleicht paßte ihm auch einfach ihre sexuelle Ausrichtung nicht. Wie auch immer, ich verdiene nicht so viel, daß es auf lange Sicht für beide gereicht hätte. Natürlich haben wir zusammengestrichen, was nur ging, zuallererst den schon gebuchten Urlaub. Ab jetzt stand selber kochen an, nicht unbedingt immer schmackhaft, dafür aber billiger und mit durchaus positiven, da sichtbaren Auswirkungen. Rund vier Kilo in zwei Monaten weniger, das sieht man. Ich habe sogar meinen Wagen verkauft, was mir wirklich schwer gefallen ist, aber so konnten wir wenigstens die Wohnung halten. Geholfen hat es nur vorübergehend, und als wir restlos pleite, endgültig an Ende waren, fand sie zum Glück einen neuen Job.

Himmel, war ich erleichtert! Ich dachte, jetzt würde es wieder aufwärts gehen, aber das tat es nicht. Sie ist seitdem irgendwie verändert, um ein Vielfaches empfindlicher, wahnsinnig leicht reizbar und auch launisch. Nichts kann ich ihr mehr recht machen. Von der früheren Vertrautheit jedenfalls ist nicht mehr viel übrig. Und dann ist sie auch noch eifersüchtig. Das ist überhaupt das Allerschlimmste! Dieses ständige Kontrollieren, diese argwöhnischen Nachfragen und Anspielungen – einfach nicht zum Aushalten! Seit Monaten geht das schon so, aber damit ist jetzt endgültig Schluß! Ich lasse mich nicht länger in der Wohnung einschließen, wenn sie Nachtschicht hat! Und dann die Sache mit dem Schloß! Erst hatte ich das für einen Witz gehalten, aber sie hat tatsächlich das Türschloß wechseln lassen und mir keinen neuen Schlüssel gegeben. Dabei zahle ich die halbe Miete! Also habe ich meinerseits das verdammte Schloß auswechseln lassen und ihr keinen Schlüssel gegeben. Da hat sie mich zum ersten Mal geschlagen.

An dem Tag brach für mich eine Welt zusammen. Ich war so perplex, daß ich mich nicht einmal wehrte, nur die Arme hochriß und zu heulen anfing. Da aber zerrte sie mich schon ins Bad, wo ich die ganze verdammte Nacht verbrachte. Gleich am nächsten Morgen hätte ich ausziehen sollen! Ich hätte wissen müssen, daß es jetzt höchstens noch schlimmer würde kommen können. Und so war es dann auch.Da ich weder ungeschehen machen noch vergessen kann, was inzwischen immer öfter passiert ist, hielt ich es für das Klügste, die Konsequenzen zu ziehen und sie zu verlassen. Doch ganz so einfach ist das nicht. Mit unseren beiden Gehältern kommen wir gerade so rund. Große Sprünge erlauben können wir uns nicht, und deshalb haben wir auch weiterhin an allen Ecken und Enden gespart. Übernächste Woche sollte es dann endlich so weit sein. Vierzehn Tage Rhodos, lang ersehnt und bitter nötig. Mir war klar, daß sie mir den Kopf abreißt, wenn ich ihr das versaue. Andererseits ist es doch unsinnig, erst noch gemeinsam in Urlaub zu fahren, um sich dann zu trennen, sobald man wieder zurück ist. Wozu gibt es denn die Reiserücktrittsversicherung? Und das Geld kann ich ja wohl gerade jetzt für andere Dinge viel besser gebrauchen.

Ja, das liebe Geld. Jetzt weiß ich, woher der Ausdruck „blöde Kuh“ kommt. Genauso gemolken fühle ich mich jedenfalls. Rainer sagt, das wäre kein Problem. Natürlich wäre es schön, wenn ich etwas dazuverdiente, aber Bedingungen stellen wolle er nicht. Hauptsache, ich käme zu ihm zurück. Das darf doch nicht wahr sein! Ich meine, da reden wir zwei Jahre kein Wort miteinander, rein zufällig treffen wir uns im Einkaufsmarkt, ich bin total mies drauf, was er mir natürlich sofort ansieht, noch in der Kaffee-Bar vom Bäcker heule ich mich bei ihm aus, und wenn er mal wieder für alles Verständnis hat, soll die Welt schon wieder in Ordnung sein? Einfach einen Strich unter die Zeit mit Vanessa ziehen, als riesen Fehler abhaken, und das war´s dann? Das klang viel zu simpel, um schon die ganze Lösung zu sein!Katrin ging noch einen Schritt weiter. Sie kenne das. Auch sie habe das alles schon mal durchgemacht und bietet mir lächelnd die Traufe an. Humor hat sie, das muß man ihr lassen. Wer aus dem Regen komme, müsse auch durch die Traufe gegangen sein, um das Trockene erst richtig schätzen zu lernen. Was genau das sein soll, hat sie nicht gesagt. Sie ist solo. Vielleicht hat sie das gemeint.

Katrin ist toll! Wir sind Kolleginnen, arbeiten aber noch nicht lange in der selben Abteilung. Ihr Ruf ist eigentlich ein völlig anderer, ich trage auch nicht gerade meine Neigung in fünf lila Buchstaben für jeden sichtbar auf der Stirn, und trotzdem erkennt man einander irgendwie. Mir war klar, daß sie nicht mit jedem ins Bett steigt, wie behauptet wurde, und sie wußte intuitiv sofort, daß ich in einer verkorksten Beziehung mit einer anderen Frau stecke. Klar haben wir dann darüber gesprochen. Solo sein und seinen Spaß haben, das sei ihre Devise. Keine unnötigen Bindungen eingehen, keine Verpflichtungen, die einem über den Kopf wachsen können – ergo gäb´s auch keinen Ärger. Ihr Angebot, also das mit der Traufe, wunderte mich da schon ein bißchen, aber es war immer noch verlockender als meine früheren Aufgaben in Rainers Haushalt wieder aufzunehmen und aus Dankbarkeit außerdem noch das Bett mit ihm zu teilen. Abgesehen davon hatte Katrin mal beiläufig erwähnt, ihre Devise käme daher, daß sie einfach noch nicht die Richtige getroffen hätte.

Rainer war immer aufrichtig zu mir gewesen, also wollte ich ihn diesbezüglich nicht im Dunkeln lassen. Er sollte schon wissen, daß ich nicht bei ihm sondern bei Katrin einzuziehen gedachte, und ich hatte mir fest vorgenommen, ihm alles zu sagen, gleich nachdem er mich aus Vanessas Klauen befreit haben würde. Gegen ihn kann Vanessa nicht viel ausrichten, hatte ich mir so gedacht, und sie wird derart enttäuscht von mir sein, daß sie auch nicht um mich kämpfen wird. Dummerweise ließ mich Rainer unterwegs an seinen neuesten Zukunftsplänen teilhaben, die unter anderem ein Kinderzimmer vorsahen, und da konnte ich mich dann doch nicht länger zurückhalten. Meine Rechnung wäre bestimmt trotzdem aufgegangen, wenn Rainer nicht Rainer wäre, der leider mehr Verständnis als Verstand hat, und statt lieber mal die Klappe zu halten der lieben Vanessa gleich alles brühwarm auf´s Butterbrot schmiert.

Zu allem Überfluß stellt sich dann auch noch heraus, daß Katrin für Vanessa keine Unbekannte ist. Jackpot! Gehen Sie nicht über Los und ziehen Sie dafür vier Tausend hämische Bemerkungen ein! Genau das hatte ich jetzt gebraucht! Ich hätte Rainer erdolchen können, der, sich keiner Schuld bewußt, erst mich, dann Vanessa anhimmelt wie ein Honigkuchenpferd und auf dem Höhepunkt hyterisch unkontrollierter Stimmbandbelastung und mordhungriger Augensprache schließlich mit dem lässigen Winken zweier Flugtickets um Aufmerksamkeit buhlt, was ihm auch gelingt. Ursprünglich wolle er ja mit mir geflogen sein, aber fast noch lieber wäre ihm inzwischen, wenn vielleicht Vanessa Interesse habe. Das Klima wäre in dieser Jahreszeit besonders angenehm, die Strände nicht so überlaufen und das Wasser einfach herrlich. An unseren verdutzten Gesichtern vorbei weiß er noch ein paar Nebensächlichkeiten wie eigener Bungalow, Mietwagen und das Reiseziel Florida zu ergänzen. Alles auf seine Kosten, wie sich ja von selbst verstehe. So sprachlos hatte ich Vanessa lange nicht erlebt, aber ich habe sie wohl noch übertroffen, als sie plötzlich irgendwann einfach nur Ja sagte. Ich glaube, ich wäre beinahe gestorben!

Eigentlich hätte ich vor Begeisterung Luftsprünge machen müssen, denn in Null Komma Nichts schien alles geklärt, und ein gewaltiger Stein löste sich in kleine Bröckchen auf, die von meinem Herzen geräuchlos zu Boden purzelten, doch so richtig freuen konnte ich mich nicht. Auf einmal war es nicht mehr ich, die sich von Vanessa trennte, sondern sie gab mir den Laufpaß und ausgerechnet für meinen Ex, während ich mich mit einer angeblich beziehungsunfähigen, maßlosen und egoistischen Schlampe einlassen würde, wie Vanessa mich aus eigener Erfahrung mit Katrin hatte wissen lassen. Vor Jahren muß zwischen den beiden wohl mal ´was gelaufen sein.

Wenigstens ging mein Umzug reibungslos und ohne große Worte vonstatten, wofür ich sehr dankbar bin. Katrin staunte natürlich nicht schlecht, als neben Rainer auch Vanessa aufkreuzte und sogar beim Ausladen mit anpackte, damit alles noch an einem Tag über die Bühne ging. Bis zu diesem Moment hatte Katrin angeblich keine Ahnung, daß meine Ex auch ihre Ex ist. Noch weniger aber konnte sie sich das verliebte Lächeln auf den Gesichtern der beiden freundlichen Helfer erklären. Bisher bin ich nicht dazu gekommen, und jetzt bin ich einfach zu kaputt, aber gleich morgen früh werde ich ihr alles erzählen. Bei der Gelegenheit kann sie mich dann auch gleich mal aufklären, was Vanessa abfällig mit der Bemerkung über fesselnde Sexpraktiken gemeint hat. Bestimmt wollte sie mir Katrin bloß madisch machen. Das wär´s noch, wenn Katrin das mit ‚Traufe’ gemeint hätte!



copyright © by Capricot. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


humor
Ach ja, solche Beziehungskuddelmuddel sind doch immer wieder erheiternd, solange sie einem nicht selbst passieren *g* ! Aber offensichtlich hat "Das Selbst" seinen Humor dabei nicht verloren, und das ist schließlich das wichtigste !
scorpio - 11.06.2002 21:16

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