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Stories » Detail

Regen

von Sani1982


Klitschnass vom Dauerregen steht sie da und sieht mich an.
Wie schön sie ist und wie verwegen sie aussieht, mit ihren kurzen, nassen Haaren, die ihr wegen der schwere des Wassers über die Augen fallen. Winzige kleine Bäche bahnen sich immer wieder neue Wege durch ihr Gesicht und mit ihren dunklen Augen sieht sie mehr den je aus wie ein Gangster den nichts und niemand aufhalten kann.
Ihr forschender Blick richtet sich genau auf mein Gesicht.
Maike scheint abschätzen zu wollen, wie ich reagieren werde.
Aber auf was soll ich reagieren?
Noch immer schweigt sie und hält mich mit ihren Augen gefangen.
Allmählich bekomme ich ein komisches Gefühl in der Magengegend, hier stimmt doch was nicht.
Seit einigen Wochen treffen wir uns nun schon und sind uns immer etwas näher gekommen. Eigentlich bin ich mir sicher, dass die Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruht. Eigentlich.
Wir haben uns auf einer Party das erste mal gesehen und als wir einander von einer gemeinsamen Bekannten vorgestellt wurden, konnte ich mein Glück kaum fassen. Und das Beste an jenem Abend war, das wir uns auf Anhieb super verstanden haben und Gemeinsamkeiten entdeckten und ein paar Tage später kam unsere erste Verabredung zustande.
Das erste Date sozusagen und es war an einem Dienstag gewesen.
Seither treffen wir uns jeden Dienstag hier vor dem Cafè um 18:00 Uhr.
Aber bisher sind wir immer reingegangen.
Was ist heute los?
Was hab ich falsch gemacht? Wieder einmal überfallen mich Selbstzweifel.
Diese langsamen Annäherungen hab ich doch nicht etwa falsch verstanden?
Ruhig und vorsichtig, mit kleinen Schritten sind wir uns immer näher gekommen.
Erst ein Handschlag zur Begrüßung, dann eine Umarmung und eigentlich hoffte ich, dass der erste kleine Wangenkuss nicht mehr lange auf sich warten lässt.
Oder etwa doch nicht?
Maike hat auf mich gewartet und noch bevor ich sie umarmen und heimlich ihren Duft einsaugen konnte, war sie einen Schritt zurückgegangen mit den Worten: "Du, ich muss dir was sagen."
Und ihr Blick ruht immer noch auf mir. Worauf wartet sie? Was will sie sagen?
Ein ängstliches Flackern ist kurz in ihren Augen zu erkennen doch schnell ändert sich ihre Haltung und sie schaut herausfordernd in meine Augen.
"Ich mag dich, weißt du, aber ich bin nicht wie du."
Mein Unverständnis ist wahrscheinlich gut zu erkennen.
"Nein, sicher nicht. Mit mir selbst würde ich auch nicht ausgehen", sage ich grinsend und versuche, meine Unsicherheit hinter diesem Scherz zu verstecken.
Kurz heben sich ihre Mundwinkel, doch dann sieht sie mich schon wieder ernst an.
"Ich bin nicht wie du, weil ich keine Frau bin. Meine Brüste werde ich mir abnehmen lassen und manchmal klebe ich mir jetzt schon einen Bart an und geh als Mann auf eine Party und wenn du deswegen jetzt gehst, dann werde ich dich nicht aufhalten."
Immer lauter ist sie geworden und immer wütender.
Ich starre sie verdattert an und schlucke mühsam.
Was soll ich jetzt dazu sagen?
"Sag jetzt irgendwas!", kommt da auch schon spontan von ihr und ihre Augen funkeln bedrohlich.
"Du magst mich?" frage ich.
Jetzt ist sie verdattert. "Ich hab dich sogar sehr gern", sagt sie versöhnlich und kommt einen Schritt auf mich zu. "und ich würde dich vermissen wenn du gehst und es würde mich traurig machen, aber ich hab mich mein ganzes Leben lang verstellen müssen und kann einfach nicht mehr."
Langsam hebt sie ihre Hand und streicht eine Haarsträhne aus meinem Auge.
"Kannst du mich auch gern haben wenn ich ein Mann bin?"
Ihr fragender Blick kommt immer näher, genau wie ihre Lippen.
Ich bin nur noch zum Nicken fähig und schon begegnen sich unsere Münder zu einem kurzen Kuss.
Meine Augen noch geschlossen und schwer atmend steh ich im Regen und weiß nichts mehr.
Ich war so verliebt in sie und nun? Bin ich jetzt in IHN verliebt?
Ändert sich dadurch nicht alles? Werde ich jetzt Hetero? Oder wird sie es? Oder ist er es?
Verwirrt schüttle ich den Kopf und öffne die Augen.
Maike ist den einen Schritt wieder zurückgegangen und beobachtet mich genau.
Lächelnd streckt sie mir ihre Hand entgegen.
"Hallo, ich bin Maik und ich würde dich gern zum Essen einladen."
Durcheinander wie ich bin geb ich ihm die Hand und lächle freundlich, ganz so, wie meine Mutter es mir beigebracht hat.
Er grinst fröhlich und zieht mich mit sich zu Italiener zwei Eingänge weiter.
Während wir unsere nassen Jacken über die Stuhllehnen hängen hab ich zeit, über alles nachzudenken. Ok, ein Mann. Maik. Ist das für mich tragbar? Ich liebe doch Frauen. Oder nicht? Und jetzt bin ich verliebt in einen Mann, der körperlich eine Frau ist?
Am besten wird wohl sein, den Menschen zu lieben!
Maik beobachtet mich genau.
"Bist du zu einem Ergebnis gekommen?"
Belustigt deutet er mit einem Kopfnicken auf meine Hände, die unbewusst angefangen haben, die Speisekarte hin und her zu drehen.
Beschämt sinkt mein Blick auf den Tisch und ich klappe die Karte auseinander.
Aber Maik lässt nicht locker. "Lass uns drüber reden, vielleicht kann ich dir einige deiner Fragen beantworten, dann wird es für dich einfacher sein, es zu verstehen!"
"Tja, ich weiß nicht." Sage ich und gucke ihm nun doch mal wieder ins Gesicht.
Seine Augen sind die gleichen, seine Bewegungen, seine Art das Gesicht zu verziehen, sein Humor.
"Ich weiß einfach nicht, was sich jetzt dadurch ändert." Mein Blick sinkt wieder abwärts auf die Tischplatte. Ja, das ist im Grunde die Frage. Was ändert sich dadurch?
"Eigentlich nicht viel", sagt er "nur das ich jetzt aufs Männerklo gehe, mein Körper sich ein wenig ändert und meine Stimme etwas tiefer wird, das war's im wesentlichen schon."
"Na wenn das alles ist..." langsam steh ich auf."Ich werde lieber weiterhin aufs Frauenklo gehen, falls du wissen willst was sich da drin so alles ändert, frag nur."
Grinsend wende ich mich ab und suche die Toiletten.
Im Spiegel guckt mich eine junge Frau mit kurzen Haaren an. Sie scheint Fragen zu haben, überall.
In den nassen braunen Strähnen sehe ich die Fragezeichen genauso wie in den Augen, auf ihren Lippen, mitten auf ihrer Stirn.
Ich schmeiß mir ne Ladung Wasser ins Gesicht und hoffe so, die Fragezeichen erst mal abwaschen zu können. Am besten wird sein, ich versuch es so zu machen wie immer. Einfach vorwärts laufen, ich werd schon merken, wenn was im Weg steht. Bisher hat das immer gekappt. Ich schau irgendwie nicht so gern in die Zukunft, jedenfalls nicht, wenn es mit etwas zu tun hat, was ich selbst nicht beeinflussen kann. Und was interessiert mich schon, was andere dazu sagen, ich muss nicht jedem erklären, wer der Mensch an meiner Seite ist.
Frisch gestärkt in Meinung und Sicherheit schlendere ich zurück zu ihr. Nein, IHM.
Und schon ist meine Sicherheit wieder dahin.
Maik scheint den Stimmungswechsel bemerkt zu haben.
"Also als du aus der Tür kamst, sahst du wieder so fröhlich aus wie immer und nun schaust du wieder ganz betrübt, was ist los?" Seine fragenden Augen bleiben an meinen Wimpern hängen.
"Ich fürchte, ich brauch ne Weile um mich an diese Änderung zu gewöhnen", lächle ich ihn unsicher an. "Eben wollt ich dich Maike nennen."
"Na wenn's weiter nix ist, ich fresse dich deswegen nicht auf. Viele werden eine ganze Weile damit zu schaffen haben. Das nehme ich nicht übel, ich muss mich ja selbst daran gewöhnen. Mir ist es nur wichtig, dass du es akzeptierst und wenigstens immer wieder versuchst"
Er lacht mich an, als wäre es das einfachste auf der Welt.
"Ok, das mach ich, " grinse ich, "aber nur wenn wir jetzt bald was zu Essen bestellen, sonst verhungere ich noch bei meinem ersten Date mit einem Mann."

Nach dem Essen wollen wir noch ein Stück laufen.
"Macht dir der Regen was aus?" Fragt er.
Aussagekräftig schüttle ich den Kopf. "Nein, gar nicht, ich finde Regen wunderbar wenn es trotzdem warm ist, es fühlt sich gut an."
Langsam wandern wir die Strasse runter und allmählich nähert er sich, gleicht seinen Schritt den meinem an. Seine Hand schlenkert neben ihm hin und her, streift meine Hand, gleitet sanft dran vorbei. Mutig greife ich danach und halte sie fest.
Als unsere Wege sich für heute trennen, bleiben wir stehen und drehen uns einander zu. Noch immer sind unsere Hände miteinander verflochten, wollen nicht loslassen.
Wieder sind wir Klitschnass vom Dauerregen und stehen nur da um uns anzusehen.
"Nun Küss mich doch endlich!" Fordere ich ihn flüstern auf und umgeben von einem Schleier aus Wassertropfen küssen wir uns sanft, als wäre es ein sonniger Frühlingstag.



copyright © by Sani1982. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


Hammer!
wow!! sau schön geschrieben!!!
homosapienNO5 - 07.04.2007 16:23
...
raquel17 - 02.04.2007 21:38

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