von Zachary
"Chips."
"Hä?"
"Die grüne Packung. Die, mit dem komischen Knoblauchnachgeschmack."
"Ahso."
Träge streckte ich meinen rechten Arm aus um die Chipstüte zu erreichen, befreite sie von einigen Grashalmen und einer Ameise, ehe ich sie ihm reichte.
"Die schmecken fürchterlich.", addierte ich, während ich sie ihm gegen die Schulter warf.
"Ich weiß, ich weiß..."
Kurz nur schweifte mein Blick zu ihm, dann sogleich wieder zum Teich, vor dem wir uns niedergelassen hatten, nur um Sekunden später wieder zu meinem Gegenüber zu wandern. Tatsächlich hatte er die Packung aufgerissen, selbstverständlich dabei sogleich die Hälfte des Inhalts über die Wiese verstreut, doch die andere versuchte er vergebens, den Krähen und Wasservögeln anzudrehen. Bei diesem Anblick entglitt mir ein Schmunzeln.
"Leicht zu begeistern heute?", wendete er sich an mich und warf mir einen Chipskrümel ins Gesicht.
"Hä? Was? Nein. Ich hab nur soeben die Nebelkrähe dort angesehen. Sie hat einige Schwungfedern verloren."
"Nebelkrähe? Lass mich raten... Das graue Federbällchen dort?"
Sein knappes Nicken deutete mir die Richtung und meines wiederum bestätigte sogleich seinen Verdacht.
"Und?"
Wieder wanderten meine Augen zu ihm. Seine Haare waren von einer seltsamen Farbe, das war mir bislang nie aufgefallen. Benommen fing ich an, an einer seiner vielen Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht hingen, zu zupfen, hielt sie einmal gegen die Sonne und strich sie ihm wieder hinters Ohr. Mattes schwarz, leichter Graustich.
"H-Hey! Lass das!"
Er schüttelte verwirrt und genervt seinen Kopf. Ich wusste schon, der Typ hasste es, wenn man an ihm herumzupfte, vorallem an den Haaren. Ich musste abermals grinsen.
"Edward."
"Ja?", fragend wanderten seine mahagonifarbenen Augen zu meinem Gesicht.
"Nicht du. Die Krähe."
"Was redest du schon wieder?"
Ich seufzte einmal tief. Schwerbegriffig war er, das war unglaublich. Ich war entrüstet.
"Die Krähe heißt auch so wie du. Gibt nicht nur einen Edward auf der Welt, weißt du?"
"Natürlich. Das hätte ich selbstverständlich wissen müssen, verzeih.", sein Sarkasmus war unüberhörbar.
"Irgendwann verlange ich ein Patent für diesen Namen...", seufzend rollte er einmal mit den Augen und suchte sogleich wieder den Blickkontakt zu mir.
Und plötzlich schien Gräserrupfen äußerst interessant zu sein, zumindest, wenn man Menschen nicht lange in die Augen sehen konnte und irgendwohin anders blicken musste, wie ich es leider stets tat.
"Und wie komme ich zu dieser umstrittenen Ehre, nach einem zerrupften Aasgeier genannt zu werden?... Au!"
Mit einem bösen Blick starrte Mensch-Edward das Haar an, welches ich ihm herausgerissen hatte. Langsam verstand ich doch glatt seine Angst vor meinem Herumgezupfe. Stolz hielt ich es Richtung Krähe.
"Selbe Farbe.", meinte ich nur knapp.
"Aha..."
Scheinbar erstaunte ihn eine so banale Antwort meinerseits, doch ich ließ mich davon nicht irritieren und legte mich hin, wobei ich den Kopf auf seinen Schoß bettete.
"Du bist schwer!", hörte ich sogleich das Gemecker, kaum, dass ich die Augen schloss.
"Und du charmant wie immer."
Seufzend ergab er sich und blickte abwesend auf den Teich, oder besser gesagt eher kleinen Tümpel, hinaus. Die Wiese hinter uns war übersäht mit etlichem Wildkraut und Gräsern und der sanfte, leichte Duft, der in der Luft hing, betäubte einem glatt die Sinne. Edward grinste wie ein kleines Kind. Hier draußen war es ruhig, hier war es friedlich und fröhlich. Das schien auch auf jeden Menschen abzufärben, der sich in dieses Miniaturuniversum begab und in solch einer Idylle landete.
Seit einer halben Dekade kannte ich Edward. Erst heute erkannte ich, dass seine Augen, die zu meiner Überraschung mahagonifarbend waren, einen bizarren Kontrast zu seinen matten, kinnlangen, schwarzgrauen Haaren bildeten und herausstachen. Vielleicht war auch das der Grund, weswegen ich ihn nie lange ansehen konnte.
Die andere, viel wahrscheinlichere Variante wäre gewesen, dass ich es einfach nicht verkraftete, auf seine Seele zu blicken.
Doch das würde ich mir so schnell nicht eingestehen.
Edward stach niemals aus der Masse heraus, äußerlich nicht. Schlichte und lockere Kleidung verdeckte seine blasse Haut, der Ausschlag auf seinem Rücken, den ich so selten zu Gesicht bekam wie die Aussicht, in Mathematik eine positive Note zu schreiben, zog sich bis zu seinen Schultern, die ebenfalls meist verdeckt waren. Über die Brandwunde, die ich ihm damals bei unserem ersten Kochversuch zugefügt hatte, hatte er sorgsam ein schwarzes, altes Leinentuch gebunden. Sein Gesicht selbst war zart, doch nur bei genauerer Betrachtung. Das Piercing an der Unterlippe ließ ihn manchmal richtig gruselig aussehen und der Zylinder, den er selten trug, wirkte auch nicht sonderlich gewöhnlich, das war es allerdings auch schon. Er war weder besonders ansehnlich, eher ein Durchschnittsjunge und seine Manieren ließen nicht nur zu wünschen übrig, sie waren einfach schlichweg nicht vorhanden. Manchmal hatte ich auch die leise Ahnung, dass er einfach keine Veranlagung dazu hatte, etwas der Norm entsprechend zu tun, wenn es denn nicht gerade darum ging, sich unauffällig zu kleiden.
Sogesehen war Edward der seltsamste Mensch, der mir bisher je begegnet war. Auch das fiel mir erst heute auf.
Wir hatten niemals normale Gespräche geführt. Er war nicht gesprächig - und dennoch redete er mit mir. Auch hatten wir, während wir gemeinsam unterwegs waren, selten viel Spaß, was uns nicht daran hinderte, uns viel zu oft zu ertragen. Es war mehr.... es waren Aneinanderreihungen von seltsamen Momenten. Ja, das war unsere gemeinsame Zeit. Wir waren beide der Ansicht, dass wir es locker nehmen, das Leben. Komme, was wolle. Das hatte er gesagt. >>Take it easy, but take it.<< Ich versuchte seit damals, mich daran zu halten.
"Edward?"
Keine Reaktion.
"Ed...?"
"Ich hoffe für dich, dass du die Krähe meintest. Denn wenn du wirklich diese zwei Buchstaben aneinandergereiht hast, mit der Absicht, es als ein Namenskürzel für mich zu gebrauchen, dann wird dir gleich der Kopf gewaschen - im Tümpel."
"Immerhin reagierst du!"
"Verzeih, ich dachte, du meintest die Krähe."
Sarkasmusmodus war wieder in vollem Gange.
"Du dachtest? Das allein ist schon ein Paradoxon."
Nein, wir hassten uns nicht. Wir hatten lediglich eine seltsame Art, miteinander umzugehen.
"Ed?"
"Die Krähe... sie meint die Krähe..."
.
"...Liebst du mich eigentlich?"
Stille.
"Ich.. dich nämlich schon..."
Er blickte zu mir hinab. Was zum...? Wieso um Goethes Willen hatte ich das eben gesagt? Er reagierte. Es war Realität...
Scheiße.
Nur einen Sekundenbruchteil lang konnte ich in seine Augen blicken, ehe er mir wortlos einen sachten Kuss auf die Lippen hauchte. Mehr war es nicht. Kaum, dass es vorbei war, blickte er wieder weg und wandte sich wieder den toxischen Chips und der Krähe zu, als wäre nichts gewesen.
"Gib deinen Kopf runter von mir, der ist wirklich schwer.", hörte ich noch von ihm, ehe ich mich aufrichtete, ihm einen Schubs gab, der ihn ins taufrische Gras beförderte und wir beide schallend anfingen zu lachen.
Ich sagte es ja bereits.
Wir hatten lediglich eine seltsame Art, miteinander umzugehen...
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Zachary. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.