von cappuccino007
Fortsetzung zu Part 1...
Charly kämpfte sich durch die tanzende Menge und bekam hier und da ausversehen einen Ellbogen ab. Sie erkannte schon aus der Ferne, dass Verena sie ansah, aber dann immer wieder schüchtern wegblickte. Mit ein paar blauen Flecken kam Charly schließlich bei ihrer Chatbekanntschaft an, „Hi!“
„Hallo!“, sagte Verena schüchtern. Verenas Freundinnen blickten sie vielsagend an und sagten dann, „Wir müssen mal eben aufs Klo!“
Keinen Augenblick später, waren sie dann auch schon weg und die zwei Chatfreundinnen standen sich das erste Mal in Echt gegenüber. Verena war ein paar Zentimeter größer als Charly. Ihr Haar glänzte in einem kräftigen Schokoladenbraun und der kleine Leberfleck, den sie unterhalb ihres Mundes hatte, verzauberte Charly in Echt noch mehr, als auf ihren Fotos.
„Und…“, begann Charly schüchtern, „Wie geht es dir so?“
„Gut gut und dir?“, fragte Verena ebenfalls verschüchtert zurück. Beide grinsten sich eine Zeitlang schüchtern und schweigend an, dann sagte Charly „Man, in einem Chat ist das irgendwie einfacher!“
Verena lachte, „Haha, ja das habe ich mir auch gerade gedacht!“
Hanna lehnte an der Bar, den Blick dem Eingang zugewandt, doch von dort kam keine ihr bekannte Person herein. War Vanny ins Klo gefallen oder was? Und wo waren eigentlich Becky und Milli? Das haben wohl die meisten Clubs so an sich: Irgendwann verliert man sich aus den Augen und alles läuft drunter und drüber. Sie verlagerte ihren Blick auf die Tanzflache, auf der man kein freies Stück Boden mehr sehen konnte. Hanna fand es irgendwie lustig, dass man hier fast überall maskuline Personen sah, die aber tatsächlich alles Frauen waren! Femmes oder gar Lipsticks Lesbians hatte sie unter der Partymeute kaum welche ausgemacht.
Sie hielt nach ein paar von dieser Spezies Ausschau, doch die einzigen speziellen Individuen, die sie sah waren Lulu, Julia, Sandra und Chiara, die mit ein paar anderen Gästen freudig in einer Polonaise durch die Partymeute trampelten. Da entdeckte Hanna plötzlich erneut Madame Nimmersatt. Diese schaute wieder äußert auffällig zu ihr herüber, während sie sich wie eine hungrige Python durch die Menschenmenge schlängelte. Erneut drehte Hanna sich schnell weg. Die sollte aufhören sie so blöd anzuglotzen! Langsam spähte Hanna an die Stelle, an der sie Madame Nimmersatt das letzte Mal hatte stehen sehen. Zu ihrem Schreck stand diese immer noch dort und nickte Hanna grinsend zu, als sie merkte, dass diese offenbar nach ihr Ausschau hielt. Obwohl sie von ein paar Damen angetanzt wurde, ließ sie ihren Blick nicht von dem Mädchen mit dem halben Dutt. Nach ein paar Minuten verließ Madame Nimmersatt schließlich ihren Bekanntenkreis und Hanna sah mit Entsetzen, wie das weiße Basketballtrikot mit der Nummer 89 in ihre Richtung kam.
„Hey!“, sagte der weibliche Casanova, als er vor Hanna zum stehen kam.
„Hallo…“
„Tut mir Leid wenn ich dich so blöd anquatsche, aber du bist mir aufgefallen also dachte ich, ich sage mal Hallo!“, sagte Madame Nimmersatt lässig und lehnte sich an die Bar. Hanna zwang sich zu einem Lächeln. Wenn die Anderen jetzt hier wären, würde sie sie wahrscheinlich lauthals auslachen. Das erste Mal auf Giselle und die Erste die sie anspricht, ist Madame Nimmersatt. Sowas konnte auch nur ihr passieren! Plötzlich streckte ihr diese die Hand hin, „Ich bin Tina.“
„Hanna!“, sagte sie und schüttelte ihre Hand. So aus der Nähe wirkte Tina noch einen Ticken befremdlicher. Ihr langes kantiges Gesicht wurde von gut einem Dutzend Piercings verziert und der weißblonde Pony, der waagerecht nach links gekämmt war, wirkte so stahlhart, dass wohl nicht einmal ein Hurrikan Stärke zehn ihn aus der Form hätte bringen können. Damit die Frisur diesen Halt hatte, musste sie bestimmt eine ganze Flasche Haargel verwendet haben. So roch es zumindest. Ihre silbernen Augen machten den seltsamen Eindruck, als wäre sie entweder betrunken, High oder Beides zusammen. Alles in allem war sie jemand, mit der man nicht unbedingt ins Gespräch kommen wollte.
„Bist du das erste Mal auf Giselle?“, fragte Tina neugierig.
„Ja.“
„Dachte ich mir. Ich kenne hier nämlich jeden, aber dein bezauberndes Gesicht habe ich hier noch nie gesehen.“, sagte Tina und blickte Hanna mit einem seltsamen Schlafzimmerblick an, der offensichtlich cool wirken sollte. Im ersten Moment fühlte sich Hanna geschmeichelt, doch dann kam ihr in den Sinn, dass Tina dies wohl zu jedem neuen und unwissendem Beuteopfer sagte.
„Bist du alleine da?“, fragte Tina.
„Nein, ich bin mit ein paar Freundinnen da, aber die sind grad alle anderswo unterwegs.“ antwortete Hanna und schon im nächsten Moment hätte sie sich dafür Ohrfreigen können. Sie hätte sagen sollen, dass sie mit ihrer Freundin hier wäre, dann hätte Tina sie vielleicht in Ruhe gelassen.
„So so, da lassen die einfach so ein bezauberndes Mädchen wie dich alleine an der Bar.“
Hanna zuckte mit den Schultern.
„Darf ich dich auf einen Drink einladen?“
„Oh nein danke, ich hatte gerade erst einen!“, antwortete Hanna schnell doch Tina wandte sich ohne ihre Antwort abzuwarten an die Barkeeperin, „Einen Touchdown für die Kleine hier!“
Eigentlich wollte Hanna so schnell wie möglich weg von der Weiberheldin, doch als ihr der Cocktail vor die Nase gestellt wurde und Tina dafür bezahlte, hinderte sie ihr guter Anstand daran, genau das zu tun.
„Danke…“, sagte Hanna nur schüchtern und nippte am Strohhalm. So viel zum Thema, mehr als zwei Cocktails trinkt sie heute Nacht nicht! Tina lehnte sich cool mit dem Rücken an die Bar, „Und Hanna, was machst du sonst so? Arbeitest du oder gehst du noch zur Schule?“
„Ich gehe noch zur Schule.“, antwortete Hanna nur ohne eine Gegenfrage zu stellen. Tina sollte begreifen, dass sie keine Lust hatte sich mit ihr zu unterhalten.
„Cool, cool.“, murmelte diese nur und ein langes Schweigen folgte. Hanna hoffte inständig, dass Vanny bald von der Toilette zurückkommen würde, damit sie dem Ganzen hier entfliehen konnte. Im Hintergrund legte der DJ ein neues Lied auf und Tina fragte, „Willst du tanzen?“
„Nein, danke.“
„Ach bitte! Nur dieses eine Lied!“, bettelte Tina und packte Hanna auf einmal an der Hand.
„Aber ich muss auf meine Freundinnen warten!“, erwiderte diese streng, doch Tina ließ nicht locker, „Komm schon! Wir bleiben auch in der Nähe von der Bar, da sehen sie dich dann schon!“
Tina nahm ihr den Cocktail aus der Hand und stellte ihn auf die Theke. Ehe sich Hanna versah, schleppte Madame Nimmersatt sie auch schon auf die Tanzfläche. Na gut, ein bisschen tanzen würde sie schon überstehen. Immerhin war Tina bis jetzt ja ganz nett gewesen und so musste sie sich auch nicht weiter mit ihr unterhalten! Außerdem hatte sie von hier einen guten Blick auf die Bar und falls jemand von ihren Freundinnen aus den endlosen Weiten dieses Clubs zurückkehren würde, würde sie ohne Umschweife abhauen. Der Tanzstil des schlaksigen, blassen Etwas war ein wenig eigensinnig, genauso wie ihr gesamtes Auftreten. Mit der Zeit tanzte sie Hanna immer aufdringlicher an, doch diese ging nicht auf diese zweideutigen Anspielungen ein. Auch wenn sie es äußert unangenehm empfand, dass Tinas vernebelter Blick gelegentlich auf ihren Brüsten hängen blieb.
Auf der Tanzfläche fühlte man sich mittlerweile wie in einer Sardinenbüchse, denn rund um einen herum bewegten sich verschwitzte Körper in Ekstase. Auch Hanna spürte nun wie schwer ihre Oberschenkel waren und wie sehr ihr Kopf aufgrund des Alkohols glühte. Man, sie war tatsächlich angetrunken! Sogar schon so sehr, dass sie sich einbildete, Tinas Hände würden sie an den Hüften packen. - Moment! Das bildete sie sich nicht ein!
„Geht’s noch?!“, brüllte Hanna empört, als sie realisierte was gerade geschah und riss Tinas Hände von sich. Diese beugte sich grinsend zu ihr herunter und murmelte ihr ins Ohr, „Ach komm! Sei mal ein bisschen locker!“
Erneut packte sie Hanna begierig an den Hüften und zog sie eng an sich heran. Hanna spürte, wie Tina sich mit anzüglichen Bewegungen gegen ihren Rumpf presste und war im ersten Moment viel zu perplex um sich dagegen zu wehren. Langsam wanderte Tina mit ihren Händen den Rücken abwärts. Hanna wusste genau, wo diese ekeligen Grapscher hin wollten und sie versuchte sich aus Tinas Klammergriff zu befreien, „Hör auf mit dem Scheiß und lass mich los!“
„Stell dich nicht so an! Du bist doch auch hier um Spaß zu haben!“, zischte Madame Nimmersatt mit einem lasziven Unterton und ließ nicht von Hanna ab. Plötzlich fiel ihr Tina um den Hals, und Hanna befürchtete, dass Tinas bepiercte Lippen jeden Moment begierig an ihrem Hals hängen würden. Genauso wie die Lippen eines Vampirs, der seinem Opfer das Blut aussaugen möchte. Wie aus dem Nichts packte jemand Hanna an der Hand und zog sie von Tina weg, „Hast du nicht gehört, was sie gesagt hat? Du sollst sie los lassen!“
Hanna wandte sich leicht wankend um und es dauerte einen Moment, bis ihr Blick so scharf war, dass sie erkannte um wen es sich bei ihrer Rettung handelte. Das Mädchen mit dem saphirblauen Shirt stellte sich schützend neben sie und blickte Tina mit strenger Miene an. Madame Nimmersatt begriff allmählich wer vor ihr stand und sie begann nervös herum zu stammeln, „Oh... Hi Jess! Ich… ich dachte, sie meint das mit dem Los lassen eher so neckisch!“
„Ist klar! Wenn du sie noch einmal gegen ihren Willen anfasst, Tina, dann kannst du dich auf was gefasst machen!“, warnte Jess den Weiberhelden mit strenger Stimme.
Tina schluckte schwer, „Das wird nicht wieder vorkommen!“
„Das will ich hoffen!“, gab Jess ernst zurück, packte Hanna an der Hand und haute mit ihr ab. Wieder kribbelte es in Hannas Hand, als Jess diese fest hielt, damit sie sie ja nicht in der Menschenmenge verlor. Gemeinsam stiegen sie von der Tanzfläche hinauf und stellten sich an eine Wand in der Nähe der Bar. Hanna lehnte sich erleichtert und mit leicht zitternden Knien dort an, während Jess mit den Händen in den Hosentaschen vor ihr stehen blieb, „Ist alles okay?“
Hanna nickte beklemmt, „Ja passt schon. Danke, dass du mir geholfen hast.“
„Kein Thema. Von Tina sollte man sich fernhalten! Sie ist ein bisschen krass drauf!“
„Ja ich weiß, Madame Nimmersatt eben…“
Jess hob die Augenbrauen, „Madame Nimmersatt?“
„Ja! So haben Milli, Charly und Vanny sie getauft!“
Jess musste lachen, „Der Name ist echt gut, den merk ich mir! Wo sind Drei eigentlich? Ich hab euch doch vorhin noch als Gruppe laufen sehen?“
Trotz des leichten Schocks den Hanna aufgrund der Nimmersatt-Attacke hatte, erfüllte sie auf einmal ein Gefühl von Freude. Jess hatte die Mädchen im Laufe der Nacht also unter all den hier anwesenden Gruppen ausmachen können!
„Ja die sind irgendwie in alle Himmelsrichtungen verschwunden!“, antwortete Hanna schließlich.
„Na dann warte ich hier mal bis Jemand von ihnen zurückkommt.“
„Du musst nicht warten!“, sagte Hanna sofort, da sie nicht unbedingt wollte, dass Jess sie im betrunkenen Zustand erlebte.
„Ich möchte aber. Auf Giselle sollte man um die Uhrzeit nicht unbedingt alleine rumlaufen. Jetzt wo der Alkoholpegel bei den Meisten steigt und die Hemmungen fallen. Und man vielleicht selbst schon nicht mehr ganz nüchtern ist!“, erklärte Jess und zwinkerte, da ihr schon längst aufgefallen war, das ihr Gegenüber ein bisschen was intus hatte. Hanna grinste verlegen. Anschließend blickte sie auf ihre schwarze Armbanduhr. Es war schon viertel vor drei! Dann blickte sie zu Jess auf und nickte. Der Rockstar lächelte sie an und in Hannas Bauch begann es zu kribbeln. Schweigend standen sie sich eine ganze Weile gegenüber. Hannas Blick fiel auf die Tätowierung an Jess linkem Handgelenk. Es interessierte sie wirklich brennend wer dieser Elias war, dessen Name sich Jess dort hatte stechen lassen. Doch um den Mut aufzubringen, diese Frage zu stellen war Hannas Alkoholpegel noch nicht hoch genug. Beide merkten, dass diese peinliche Stille ein wenig seltsam war und Jess blickte beschämt lachend zu Boden. Dann schaute sie wieder auf und sagte nach ein paar Sekunden, „Schönes Outfit!“
„Danke!“, antwortete Hanna geschmeichelt.
„Willst du tanzen?“, fragte das Mädchen mit den Saphiraugen ganz plötzlich und Hannas Herz rutschte ihr in die Hose. Sie starrte Jess einen Moment lang ungläubig an, dann sagte sie aber „Ja, gern!“
Die Zwei erkämpften sich ihren Weg zurück auf die erleuchtete Tanzfläche. Hanna musste hier und da ein paar Leute zur Seite schieben, Jess hingegen machten die Damen regelrecht den Weg frei, nachdem sie sie erkannt und glücklich begrüßt hatten versteht sich. Endlich fanden sie ein kleines Fleckchen an dem noch Platz für sie war und sie fügten sich in die tanzende Masse ein.
Obwohl Hanna eigentlich gerne tanzte, war es ihr vor Jess im ersten Moment ein wenig peinlich. Als sie jedoch sah, dass diese keinerlei Hemmung zu haben schien und sich voll und ganz dem Beat übergab, ließ auch Hanna sich fallen. Keine Ahnung ob es am Alkohol lag, aber sie fühlte sich auf einmal so frei und überglücklich. Sie tanzte hier tatsächlich mit Jess! Deren eleganten Bewegungen und der Stecker am Mund machten sie ganz kirre. Auch wenn Hanna nichts erkennen konnte, war sie überzeugt davon, dass sich unter Jess‘ blauem T-Shirt ein Six-Pack oder zumindest der Ansatz davon abzeichnete. Wenn Jess sie so angetanzt hätte wie Tina vorhin, dann hätte sie überhaupt nichts dagegen gehabt. Ganz im Gegenteil!
Die Beiden blickten sich lächelnd in die Augen und da war es wieder, dieses Gefühl, das Hanna auch am Donnerstag auf dem Dach gespürt hatte. Sie trieb weit, weit weg und verlor sich in den geheimnisvollen Tiefen des saphirblauen Ozeans, der sich in Jess Augen wiederspiegelte. Am liebsten wäre sie ihr einfach nur an den Mund gesprungen! An diese schönen perfekten Lippen, die sich zu einem charmanten Lächeln geformt hatten, das Hanna schier den Verstand raubte. Sie wollte nicht, dass dieser Tanz endete. Sie wollte nun auch nicht mehr, dass die Anderen zurückkamen. Sie wollte hier mit Jess tanzen bis in alle Ewigkeit.
Im nächsten Moment legte auf einmal eine gutaussehende Blondine ihren Arm um Jess. „Da bist du ja! Wir haben dich schon vermisst!“
Ein wenig überrascht, versuchte sich Jess aus dem halben Würgegriff zu befreien, „Tut mir leid, aber ich habe ein bisschen mit Hanna gefeiert!“
Die Blondine wandte sich an eben diese und musterte sie mit einem ähnlich vernebelten Blick wie Tina. Diese Dame war offensichtlich auch schon gut dabei was den Alkohol betraf. „Hi Hanna, ich bin Isabell!“, quiekte sie und schüttelte Hanna die Hand.
Isabell war das Mädchen, das man an einer amerikanischen High-School zur Promqueen gewählt hätte. Mit ihren Traummaßen hätte sie locker das Cover ein jeder Mode-Zeitschrift zieren können. Hanna wusste nicht genau wieso, aber ihr war Isabell unsympathisch. Das wurde auch gleich dadurch verstärkt, als sie Jess sanft eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr legte und mit quengelnder Stimme fragte, „Kommst du wieder mit zu uns?“
Jess blickte von ihr zu Hanna und zurück, „Gleich, ich warte noch bis Hannas Freundinnen wieder da sind.“
Mit halboffenem Mund wandte sich Isabell an Hanna und sagte dann in gespielt freundlichem Ton, „Sie kann doch auch mit kommen?“
„Oh nein ist schon okay! Ich denke die Anderen werden jeden Mo…“, plötzlich fiel Hanna eine beschwipste Becky um den Hals, der eine leicht angetrunkene Milli folgte.
„Wir sind wieder da!“, lallte Becky überglücklich und grinste Hanna an.
Jess hob die Augenbrauen, „Becky? Du bist doch noch gar nicht achtzehn, oder?“
„Stimmt!“, sagte Becky und hielt sich bedacht den Zeigefinger an den Mund, „aber Psst!“
Als Isabell begriff, dass die Zwei Freundinnen von Hanna waren, griff sie Jess an der Hand, „Na dann kannst du ja wieder mit mir mit!“
Ganz offensichtlich hatte Jess keine allzu große Lust ihr zu folgen, doch die bestimmerische Blondine ließ ihr keine andere Wahl und mit einem beschämten Kopfnicken verabschiedete sie sich von den Anderen „Man sieht sich bestimmt nochmal!“
„Tschüss!“, brüllte Becky ihr mit glühenden Wangen nach. Nein, Hanna mochte diese Isabell ganz und gar nicht. Es war offensichtlich, dass etwas zwischen ihr und Jess lief. Aber was?
War sie Jess‘ Freundin?
„Also Hanna!“, lallte Becky auf einmal und das Mädchen mit dem halben Dutt wurde aus ihren Gedanken gerissen, „Ich weiß wir kennen uns noch nicht lange, aber ich finde dich echt cool. Und ich hab dich echt gern!“
„Danke, ich dich auch.“, antwortete Hanna nur perplex. Danach wandte Becky ihren Kopf beschwingt zu Milli, „Und du, Milli! Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass du die beste Arbeitskollegin bist, die man sich wünschen kann?“
„So ungefähr vier Mal in der letzten halben Stunde!“, antwortete Milli gut gelaunt, „Aber ich höre es immer wieder gern!“
„Arbeitskollegin?“, fragte Hanna.
„Ja, wir arbeiten beide als Nebenjob im selben Café, daher kennen wir uns auch.“, erklärte Milli, „Wo sind eigentlich Vanny und Charly?“
„Vanny ist vor über einer halben Stunde auf der Toilette verschwunden und Charly ist zu ihrer Verena gegangen.“, berichtete Hanna nebenbei, da sie in die Ecke spähte in der Jess nun gemeinsam mit Isabell und ein paar anderen Damen tanzte. Nein, es gefiel ihr ganz und gar nicht, wie diese blonde Bohnenstange sich an sie heran schmiss.
„Wer ist Verena?“, fragte Becky verwirrt.
„Charlys Chatbekanntschaft, weißt du nicht mehr?“, antwortete Milli.
„Hey, ich bin betrunken, ich bin froh, dass ich noch weiß wer Charly ist!“, lallte Becky zurück und stützte sich wankend an Hannas Schulter.
„Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht?“, wandte sich Milli an Hanna. Diese war kurz am überlegen, ob sie von der Nimmersatt-Attacke erzählen sollte, ließ es dann aber doch sein. Ihr war das Ganze unangenehm. Bevor sie antworten konnte, fiel ihr jedoch Becky ins Wort, „Das hast du doch gesehen! Sie hat mit Jess Party gemacht!“
Becky nickte zufrieden zurück und wandte ihren Blick dann zur Bar, „Was haltet ihr davon, wenn wir uns noch eine Runde Wodka Bull gönnen?“
Natürlich taten sie das nicht. Becky war eh schon Sternhagel voll. Da die Drei auch keine große Lust hatten nach Vanny und Charly zu suchen, gingen sie wieder auf die Tanzfläche. Dort ließen es Milli und Hanna noch einmal richtig krachen. Sie warfen sich aus Spaß gegenseitig verführerische Blicke zu, tanzten fröhlich Arm in Arm und ließen auch ihre Hüften miteinander agieren. Die beiden Mädchen hatten sichtlich Spaß miteinander und hatten die ganze Zeit ein vergnügtes Lachen im Gesicht. Als sie sich nach Becky umblickten, blieb ihnen allerdings das Lachen im Halse stecke. Becky klebte an den Lippen von irgendeinem fremden Mädchen, das wohl genau so betrunken war wie sie selbst. Weder Milli noch Hanna wussten seit wann diese Dame bei ihnen stand, beziehungsweise seit wann Becky und sie so engen Kontakt pflegten. Die Beiden sahen sich nur kopfschüttelnd an, machten dann aber unbeirrt weiter.
„Yo, da sind ja meine Mädels!“, brüllte auf einmal Vanny, die mit einer Flasche Bier in der einen Hand und Chrissi an der Anderen zu den Dreien stieß. „Da bist du ja! Wo warst du denn die ganze Zeit?“, fragte sie Hanna sofort. Vanny deutete mit dem Zeigefinger auf Chrissi und erzählte dann die etwas seltsame Geschichte ihres Kennenlernens. Auf einmal steckte Becky ihren Kopf zwischen Hannas und Millis Schultern und schaute Chrissi interessiert an, „Ist das jetzt diese Verena?“
„Verena?“, fragte Chrissi sofort misstrauisch und blickte Vanny an, „Wer ist Verena?“
„Verena ist die Chatbekanntschaft von unserer Freundin Charly, die hier irgendwo unterwegs ist!“, erklärte Milli sofort und wandte sich dann an Becky, „Das ist Chrissi, eine Bekannte von Vanny!“
„Achso“, nickte Becky beschwipst und fragte nach einer langen Pause, „Hey Leute! Wo ist eigentlich Charly?“
Um halb vier beschlossen Hanna und Milli die Düse zu machen. Vanny sagte, sie und Chrissi würden noch ein wenig bleiben, kämen aber kurz mit hoch an die frische Luft. Becky, die wohl am Fertigsten von allen war, leugnete trotz immer wieder zufallenden Augen vehement, dass sie müde war und so mussten die Anderen sie regelrecht aus der Party-Area zerren. Kurz bevor sie diese verließen, blickte sich Hanna noch einmal nach Jess und Isabell um, konnte die Zwei aber nicht mehr ausfindig machen. Die Einzige bekannte Person, die sie in der Menge entdeckte, war Madame Nimmersatt, die wieder bei ihren Bekannten stand. Als diese aufblickte, trafen sich ihr und Hannas Blick. Tina grinste sie verschmitzt an, bildete dann mit Zeige- und Mittelfinger ein V vor dem Mund und streckte ihre Zunge heraus. Hanna verstand diese obszöne Geste sofort und eilte mit hochglühendem Kopf davon.
Oben vor dem Club gönnten sich noch alle eine Zigarette. Alle, bis auf Milli und Becky. Diese saß fix und fertig auf dem kalten Pflasterstein und sang im Halbschlaf ein Lied vor sich her. Die Mädels wussten, dass Beckys Eltern ausflippen würden, wenn ihre Tochter so nach Hause käme, deswegen beschloss Milli, dass sie die Nacht bei ihr verbringen sollte. Das wäre ja nicht das erste Mal.
Milli zückte ihr Handy um ihrem Bruder Bescheid zu geben, wann und wo er die zwei Mädchen abholen sollte. Chrissi war fasziniert davon, dass Millis Bruder tatsächlich die ganze Nacht in Bereitschaft war und auf den Anruf seiner Schwester wartete. „In Millis Familie wird Zusammenhalt eben großgeschrieben!“, erklärte Vanny daraufhin. Hanna runzelte die Stirn, als Milli das Telefonat mit ihrem Bruder begann, denn sie sprach in irgendeiner Fremdsprache mit ihm. Einer sehr seltsam klingenden Fremdsprache.
„Welche Sprache war das denn?“, fragte Hanna als Milli das Telefonat beendet hatte. Diese blickte das Mädchen mit dem Dutt grinsend an, „Finnisch!“
„Finnisch?“, wiederholte Hanna ungläubig, „Woher kannst du Finnisch?“
„Meine Mama ist Finnin. Mein Papa ist Deutscher. Ich bin zweisprachig aufgewachsen!“, erklärte Milli, die offensichtlich amüsiert darüber war, dass Hanna und auch Chrissi so fasziniert von ihrer Muttersprache waren.
„Ich kann ihren Nachnamen bis heute nicht richtig aussprechen!“, merkte Vanny an und nahm einen weiteren Zug ihrer Zigarette. Hanna und Chrissi wandten ihre Köpfe gleichzeitig an Milli, „Der wäre?“
„Hämäläinen.“
„Häma… Hälän…“, brach sich Chrissi fast die Zunge und Vanny lachte, „Genau so geht es mir auch immer! Als ich Milli das erste Mal auf Finnisch hab reden hören, dachte ich sie wäre betrunken!“
„Ich bin nicht betrunken!“, murrte Becky auf einmal müde von unten und alle blickten verwundert zu der Schnapsdrossel hinab. „Und ich bin auch nicht müde! Ich will weiter tanzen! Oh man, warum ist mein Arsch so kalt?“
„Das Mädchen ist einfach zu krass“, war das Einzige was Vanny dazu einfiel.
In der Ferne tauchte auf einmal eine gut gelaunte Charly auf, die so ein breites Grinsen im Gesicht hatte, als wären gerade all ihre Wünsche in Erfüllung gegangen, „Hi ihr alle, da bin ich wieder!“
Alle blickten sie neugierig an und mussten in Anbetracht von Charlys Freude auch grinsen. „Na? Warum strahlst du denn so wie ein Honigkuchenpferd?“, fragte Milli herausfordernd.
Obwohl es eigentlich nicht möglich war, wurde Charlys Grinsen noch breiter und sie vergrub das Gesicht in ihren Händen, „Verena ist so toll! Und… oh mein Gott… wir haben uns geküsst!“
Glückliches Gekreische brach aus und Vanny klopfte Charly stolz auf den Rücken, „Gut gemacht!“
„Aw, das freut mich total für dich!“, quietschte Milli überglücklich, „Seid ihr jetzt zusammen?“
„Nein, das nicht, aber wir treffen uns im Laufe der Woche noch mal und wer weiß wie es dann aussieht!“, berichtete Charly mit hochrotem Kopf. Die Brillenträgerin schien in diesem Moment der wohl glücklichste Mensch der Welt zu sein.
Aus dem Club kam ein neuer Schub von Mädchen raus um frische Luft zu schnappen. Zwei davon waren Jess und Isabell, die bereits gelangweilt eine Zigarette im Mund stecken hatte und nach ihrem Feuerzeug suchte. Jess nickte der Gruppe rund um Charly zu und stellte sich dann mit ihrem Anhang ein paar Meter entfernt hin. Isabell legte ihren Kopf natürlich sofort auf Jess Schulter und kuschelte sich an sie. Kurz darauf krampfte sich Hannas Magen zusammen, als sie sah, wie Isabell Jess einen Kuss auf die Wange drückte. Auch den Anderen schien das nicht zu entgehen, denn sie alle blickten gebahnt zu dem Geschehen gegenüber.
Mit Becky in den Armen eingehackt, verabschiedeten sich Hanna, Charly und Milli von Vanny und ihrer Begleitung und machten sich auf zur Tram. Während Becky fast im Gehen einschlief, hüpfte Charly regelrecht den dunklen Gehweg entlang und hätte wohl am liebsten die ganze Welt umarmt. „Na du bist aber glücklich hm?“, sagte Hanna lachend.
„Und wie! Wie würdest du dich denn fühlen, wenn du das Mädchen deiner Träume geküsst hättest?“, erwiderte Charly während sie sich an einer Straßenlaterne entlang schwang. Daraufhin wurde Hanna still.
„Und Milli, hast du heute eine gesehen, die dir gefallen hat?“, fragte Charly auf einmal neugierig. Aha! Milli stand also tatsächlich auf Mädchen! Die Blondine lächelte, „Naja, es waren schon viele hübsche Mädels da, aber keine die mich wirklich besonders angesprochen hat.“
„Du bist einfach zu wählerisch!“, tadelte sie Charly. Milli winkte ab und wechselte das Thema, „Ich habe mir das nicht eingebildet, dass sich Isabell ziemlich an Jess ran gemacht hat oder?“
Charly hakte sich unter Hannas freiem Arm ein und wurde auf einmal auch wieder ernst, „Ja das hat sie. Meiner Meinung nach ein bisschen zu sehr, dafür, dass sie ihre Ex-Freundin ist!“
„Isabell ist Jess‘ Ex?“, fragte Hanna neugierig.
Charly nickte, „Ja. Die zwei waren gut ein halbes Jahr zusammen, aber dann war es auf einmal vorbei. Wundert mich eh, dass Jess es so lange mit der ausgehalten hat!“
„Ich vermute ja nach wie vor, dass Isabell diejenige war die Schluss gemacht hat“, grübelte Milli vor sich her und Hanna hob die Augenbrauen.
„Ja, das könnte ich mir auch gut vorstellen! Die wusste ja nie wirklich was sie wollte!“, bestätigte Charly, „Naja und wenn sie wirklich diejenige war, die es beendet hat, dann scheint ihr erst jetzt klar zu werden, wen sie eigentlich in den Wind geschossen hat. Ein wenig zu spät, würde ich sagen!“
„Nein es ist nicht zu spät! Zum Tanzen ist es nie zu spät!“, plapperte Becky auf einmal schlaftrunken dazwischen und Charly, Hanna und Milli mussten herzhaft lachen.
Die vier fuhren ein ganzes Stück zusammen ehe Hanna zur U-Bahn umsteigen musste.
„Schlaf gut Hanna, schreib wenn du Zuhause bist!“, verabschiedete sich Milli, auf deren Schoss Becky mittlerweile eingeschlafen war.
„Danke ihr auch und ja mach ich! Und passt noch gut auf Becky auf!“, zwinkerte Hanna und stieg aus der Straßenbahn.
Der Bahnsteig war so voll, wie ein Bahnsteig um halb fünf morgens eben voll ist: Bis auf einen einzigen Nachtschwärmer war Hanna alleine. Gleiches galt für den U-Bahn Waggon in den sie einstieg. Sie lehnte ihren Kopf müde ans Fenster und musste dagegen ankämpfen, dass ihre Augen nicht zu fielen, denn ansonsten wäre sie eingeschlafen und wahrscheinlich erst an der Endhaltestelle wieder aufgewacht, wenn überhaupt. Ihre Füße schmerzten und in ihren Ohren hörte sie ein gedämpftes Pfeifen, was wohl auf die stundenlange laute Musik aus den Boxen zurückzuführen war.
Während sie aus dem Fenster blickte, schweiften ihre Gedanken zu Jess. Was war das vorhin auf der Tanzfläche wieder für ein Gefühl gewesen? Nach dieser Nacht wusste Hanna nicht genau, ob sie etwas für Jess empfand. Wenn ja, was war es? Stand sie auf Jess? Sie hätte nicht behauptet verliebt zu sein, dieses hier Gefühl war irgendwie ein anderes. Aber andererseits wusste sie doch gar nicht, wie es sich anfühlte verliebt zu sein. Wenn Hanna jetzt daran dachte, wie sie vorhin miteinander getanzt hatten, dann durchströmte ein unglaubliches körperliches Verlangen ihren Körper. So ein Gefühl hatte sie davor noch nie gehabt. Wenn sie an Jess dachte, war sie glücklich. Einfach glücklich. Eine seltsame Art von Wut stieg in ihr auf, als sie sich daran erinnerte, wie Isabell sich vorhin an den Rockstar ran gemacht hatte und ihr einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte. Konnte man diese Wut vielleicht sogar schon als Eifersucht bezeichnen? Aber warum sollte sie eifersüchtig sein? Immerhin war nichts zwischen ihr und Jess. Hätte sie gern gewollt, dass es anders war? In ihrem Kopf schwirrten viel zu viele Fragen umher, die sie in ihrem immer noch leicht betrunkenen Zustand nicht beantworten konnte.
„Kommst du noch mit rein?“, fragte Isabell und kramte im frühen Morgengrauen in ihrer kleinen Handtasche nach dem Hausschlüssel.
„Nein, ich denke nicht, dass das eine gute Idee wäre.“, antwortete Jess, die mit den Händen in den Hosentaschen hinter ihr stand. Isabell trat auf sie zu und blieb keinen Meter von ihr entfernt stehen, „Ach komm schon, bitte!“, bettelte die Blondine und nestelte an Jess silbernem Amulett.
„Isabell, du weißt, dass wir seit etwa einem Monat nicht mehr zusammen sind oder?“, fragte Jess streng, doch Isabell entwich ihrem Blick, „Ja…“
„Und du weißt auch, dass du mit mir Schluss gemacht hast, oder?“
„Ja, das weiß ich auch“, antwortete Isabell und hauchte Jess ins Ohr, „Und das war ein Fehler. Komm mit rein und ich versuch es wieder gut zu machen.“
Jess spürte wie ihr Herz klopfte und sie schluckte schwer, „Du hast viel getrunken und ich bin auch nicht ganz nüchtern. Das wäre eine dumme Sache.“
Isabell blickte Jess mit einem verführerischen Lächeln in die Augen, „Es ist die Nacht von Giselle. Da macht man schon mal dumme Sachen…“
Die langbeinige Blondine drehte sich um und schritt ohne ein weiteres Wort auf die Eingangstür der Reihenhäuser zu. Jess biss sich auf die Unterlippe und blickte unentschlossen den Gehweg entlang. Dann seufzte sie und folgte Isabell hinein.
Ende Story 3
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cappuccino007. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.