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Stories » Detail

Roof Stories - Story 8 (Part 1)

von cappuccino007


Roof Stories - Story 8
Ansehen
Prestige

Endlich waren die letzten paar Minuten des Mathe Unterrichts angebrochen und Frau Schmidt schritt an ihr Pult um die korrigierte Ex, die die Klasse Anfang der Woche über sich ergehen lassen musste, aus ihrem blauen Ordner hervor zu holen und den Notenschnitt an die Tafel zu schreiben. Frau Schmidt hatte bereits am Anfang der Stunde angemerkt, dass die Arbeit nicht gerade allzu gut ausgefallen war. Mit enttäuschtem und gleichzeitig herablassendem Blick begann die spitznasige Frau die Ex an ihre 11.Klässler zurück zu geben. Becky, die in der dritten Reihe saß wusste, dass sie wie üblich zum unteren Teil des Notenspiegels gehören würde. Immerhin hatte sie von den fünf Aufgaben gerade mal zwei bearbeitet und ob das was sie als Ergebnis herausbekommen hatte auch stimmte, daran hatte sie so ihre Zweifel. Mit einem niedergeschlagenen Seufzer trat Frau Schmidt schließlich vor das Mädchen mit der Mäuschennase und schob ihr die Ex mit der Rückseite nach oben herüber. Ein wenig ängstlich kaute Becky auf ihrem Kaugummi herum und spähte vorsichtig auf die rechte obere Ecke des Blattes. Gerade einmal zwei Punkte hatte sie erreicht.
Wenig später klingelte es zur Pause. Auf dem Weg aus dem Klassenzimmer wurde Becky allerdings noch einmal von Frau Schmidt aufgehalten, „Rebecca, hast du noch einen Moment?“
Becky drehte sich mit einem genervten Seufzer um und lächelte gespielt freundlich, „Natürlich. Was gibt es denn?“
Selbstverständlich wusste Becky über was Frau Schmidt mit ihr reden wollte. Die Mittdreißigerin setzte sich lässig auf die Ecke des Pultes und verschränkte die Arme vor ihrer Brust, „Hast dir schon einmal überlegt Nachhilfe zu nehmen? Ich habe den Eindruck, dass du bereits jetzt nicht mehr mit dem Stoff hinterherkommst und wir haben gerade mal Anfang des neuen Schuljahres. Und wenn du jetzt schon solche Probleme hast, dann wirst du im weiteren Verlauf früher oder später auf der Strecke liegen bleiben.“
Blah, Blah dachte sich Becky. Sie hatte sich die letzten Jahre auch immer durch Mathe durchgeboxt. Zwar meistens nur mit Vierern oder Fünfern im Zeugnis, aber irgendwie hatte sie es bisher immer geschafft. Deswegen würde sie das wohl auch dieses Jahr irgendwie hinbekommen. „Nein, ehrlich gesagt habe ich mir da noch keine Gedanken drüber gemacht. Aber eigentlich habe ich auch gar keine Zeit für Nachhilfe. Meine Woche ist auch so schon immer voll“, antwortete Becky mit schuldbewusster Miene.
Frau Schmidt rümpfte die Nase, blickte ihre Schülerin dann aber gutmütig an, „Aber vielleicht könntest du irgendwo ein wenig Platz frei schaufeln, das wäre wirklich wichtig. Ihr seid jetzt immerhin in der Oberstufe, nächstes Jahr steht das Abitur an. Es geht ab jetzt um deine Zukunft.“
„Ja, ich werde nochmal drüber nachdenken…“, antwortete Becky ein wenig gereizt und fuhr fort, „Darf ich jetzt gehen?“
Frau Schmidt nickte nur, "Falls du’s dir anders überlegst, melde dich einfach bei mir. Ich habe ein paar Nummer von ziemlich guten Nachhilfelehrern.“
„Alles klar! Bis Montag!“, sagte Becky eilig und stapfte erleichtert von dannen. Frau Schmidt hingegen blickte ihr mit besorgter Miene hinterher. Sie wusste, dass Becky nicht gerade viel von Mathematik hielt, aber doch wollte sie jeden ihrer Schüler durch das Abitur im nächsten Sommer bringen. Immerhin war sie eine ehrgeizige Lehrerin.

Der restliche Schultag mit Biologie und Deutsch trug auch nicht gerade zur Besserung von Beckys Laune bei. Darum war sie heilfroh, als sie nachmittags endlich nach Hause konnte. Becky wohnte mit ihren Eltern in einem der reichsten Viertel der Stadt. Dass hier die gehobene Schicht lebte, konnte man auch gar nicht übersehen: Riesige Häuser beziehungsweise kleine Villen reiten sich in dieser schnieken Gegend aneinander, jede davon natürlich mit einem riesigen Garten. Der ein oder andere davon besaß sogar einen Pool oder eine Wintergarten. Oder beides. Vor ein paar der Bauten waren teure Sportwagen oder protzige Geländewagen geparkt, die nochmal die Machtverhältnisse in der Nachbarschaft klären sollten.
Mit ihrer Gucci Sonnenbrille auf der Nase und ihrer schwarzen Handtasche unter dem Arm, schlenderte Becky den Gehweg entlang und tippte auf ihrem Smartphone herum. Ein wenig lächeln konnte sie schon wieder, immerhin hatte Patrick sich bei ihr gemeldet. Als sie letztens vom Mondschein-Festival nach Hause gegangen waren, hatte er sie zu seiner Halloweenparty eingeladen, die am Wochenende bei ihm steigen würde. Sie freute sich schon riesig auf die Party, aber noch mehr freute sie sich darauf Patrick wieder zu sehen. Wie oft hatte sie in den letzten Tagen an den romantischen Abend im Park gedacht? Und an den wunderschönen Kuss? Oh man, es hatte sie wirklich total erwischt! Und sie hatte das Gefühl, dass es mit ihr und dem blonden Schönling tatsächlich etwas Festes werden könnte. Zumindest hoffte sie das. Sie hätte wirklich gerne mal wieder einen Freund gehabt.
Gut gelaunt steuerte sie auf ihr Haus zu und blickte plötzlich verdattert von ihrem Handy auf. In der Einfahrt stand ein ihr nicht bekannter schwarzer Kombi. Auf den zweiten Blick erkannte Becky, dass es sich dabei um nichts Geringeres als um einen britischen Jaguar handelte. Augenblicklich klappte ihr der Mund auf. Hatten sie gerade hochrangigen Besuch oder hatten ihre Eltern etwa ernsthaft ein neues Auto gekauft? Mit strammem Schritt eilte Becky zur Haustür.
„Mama! Papa!“, brüllte sie, kaum dass sie ihre teuren Boots ausgezogen und in das Regal mit den gut anderen zwanzig Paar gestellt hatten.
„Hallo Schatz! Wir sind im Wohnzimmer“, hallte ihr die Stimme ihrer Mutter vom Ende des Hausflures entgegen. Beckys Eltern Susanne und Richard Engelmann waren beide sehr erfolgreiche Geschäftsleute, die vor ein einigen Jahren das Reisebüro „Engelmann Reisen“ ins Leben gerufen hatte. Als Gründer und Geschäftsführer hatten die Beiden somit natürlich immer viel zu tun und waren deshalb kaum Zuhause. Lediglich freitags war die dreiköpfige Familie für ein paar Stunden am Nachmittag vereint. Und das auch nur theoretisch. Denn in der Praxis verbrachten die Geschäftsleute die freie Zeit ebenfalls in ihrem Büro oder im Golfclub. Jedenfalls nicht gemeinsam mit ihrer einzigen Tochter.
Diese betrat so eben das riesige Wohnzimmer, das mit der offenen Küche verbunden war. Dort bereitete sich ihre Mutter gerade einen Latte Macchiato zu, während ihr Vater mit Hemd und Krawatte über einem äußert wichtigen Haufen von Papier am Wohnzimmertisch grübelte.
„Wem gehört dieser obergeile Schlitten da draußen?“, fiel Becky mit der Tür ins Haus. Ihr bereits leicht ergrauter Vater blickte von seiner Arbeit auf und hielt einen Zettel in die Luft, „Laut dem Kaufvertrag uns!“
Becky fiel erneut die Kinnlade herunter und im nächsten Moment begann sie los zu kreischen „Wie cool ist das denn! Habt ihr den heute gekauft? Wie lang hattet ihr das schon geplant?“
Herr Engelmann zuckte nur mit den Schultern, „Ach, da haben deine Mutter und ich schon seit ein paar Monaten drüber nachgedacht. Aber dass wir ihn wirklich kaufen war eher eine spontane Sache.“
„Cool!“, freute sich Becky weiter über die neue Familienkutsche, „Wann darf ich mal damit fahren?“
Herr Engelmann verzog nur die Mundwinkel, „Erst einmal gar nicht.“
Seine Tochter verdrehte die Augen, „Warum nicht? Ich muss doch meine Fahrpraxis verbessern!“
„Das kannst du auch mit dem Golf. Außerdem haben Mama und ich erst einmal keine Zeit, dass sich irgendwer von uns mit dir ins Auto setzt und dir beim Fahren zuschaut“, erklärte der Geschäftsmann, der schon wieder über seine Unterlagen gebeugt war.
„Dann werde ich wohl nie damit fahren dürfen, denn ihr habt nie Zeit!“, meckerte Becky ein wenig provozierend. Ihre Mutter setzte sich mit einer Tasse zu ihrem Mann auf die Couch und verdrehte die Augen „Ach Rebecca, das stimmt doch gar nicht!“
„Und wie das stimmt!“, gab Becky zurück. Ihre Mutter ging nicht mehr auf das Thema ein, sondern sagte stattdessen, „Deinen Fahrstil zu verbessern eilt nicht. Stattdessen solltest du dich darum bemühen, dass mit deinen schulischen Leistungen alles im grünen Bereich ist. Hast du irgendwelche neuen Ergebnisse bekommen?“
Es war klar, dass ihre Mutter wieder auf das Thema zu sprechen kam. Das tat sie immer, wenn sie nicht wusste über etwas reden wollte, dass ihr unangenehm oder in ihren Augen nicht von allzu großer Bedeutung war. Becky seufzte genervt und murmelte dann kleinlaut, „Wir haben die Mathe-Ex rausbekommen…“
„Und?“, fragte ihre Mutter nach und auch ihr Vater blickte interessiert auf. Becky nestelte sich verlegen in den dunkelblonden Haaren und kratzte sich an der Nase. Dann murmelte sie höchst unverständlich, „Ich habe zwei Punkte…“
„Wie bitte?“, fragte ihr Vater mit strengem Tonfall, „Das ist ein Scherz, oder?“
„Rebecca?“, hakte auch ihre Mutter nach, da die junge Dame keinen Ton mehr herausbrachte.
„Nein, das ist kein Scherz…“, sagte diese schließlich und lehnte sich genervt gegen den Türrahmen. Sie wusste, dass nun eine Standpauke folgen würde. Ihr Vater legte den Kugelschreiber zur Seite und ergriff das Wort, „Dir ist hoffentlich bewusst, dass du nächstes Jahr dein Abitur schreibst!“
„Ja, das weiß ich doch. Macht mal keinen Stress, bis nächstes Jahr habe ich noch eine Menge Zeit um meine Noten hinzukriegen!“, versuchte Becky ihren Vater zu besänftigen.
„Nur leider wissen wir aus der Vergangenheit, dass du nicht gerade eine von den Schülerinnen bist, die sich auch mal länger hinsetzt als nötig!“, knüpfte ihre Mutter an, „Aber ja du hast Recht, noch hast du genug Zeit um deine Noten in die richtige Richtung zu lenken. Deswegen würde ich sagen, verzichtest du in nächster Zeit erst einmal auf irgendwelche Spritztouren oder Partys, sondern kümmerst dich um deine Zukunft!“
„Meinetwegen…“, murmelte Becky nur, die das Ganze nicht wirklich ernst nahm.
„Nicht in diesem Tonfall Madame!“, entgegnete ihr Vater streng und Becky schaute ihn nur noch genervter an, „Was soll mit so einer Einstellung nur mal aus dir werden? Du hast ab Freitag das ganze Wochenende über Hausarrest!“
Zwar war Becky es gewöhnt des Öfteren Hausarrest zu bekommen, doch diesmal traf sie dieser Beschluss so hart wie wenn man einen ein Baseballschläger ins Gesicht geschmettert bekommen. Sie begann zu stammeln, „Aber, nein das geht nicht! Ich bin am Samstag auf einer Halloweenparty eingeladen! Und da habe ich schon zugesagt!“
„Tja, dann wirst du eben wieder absagen müssen!“, brüllte ihr Vater streng, „Du bleibst zuhause und lernst Mathe damit es bei der nächsten Arbeit besser wird!“
Becky spottete, „Weil es auch was bringt, wenn ich selbst versuche mir alleine Mathe beizubringen! Ihr wisst dass ich in dem Fach eine Niete bin!“
Ihre Mutter sagte herrisch, „Dann wird es wohl Zeit, dass du dir Nachhilfe suchst!“
„Wenn ihr die bezahlt!“, zischte Becky mit finsterem Blick. Ihr Vater nickte wohlwollend, „Ja das würden wir tun.“
Becky sah ein, dass sie diese Diskussion nicht gewinnen konnte. Deshalb schnappte sie sich ihre Handtasche und verschwand mit stolzem Gang die Treppe rauf in den ersten Stock. An der Wand hingen Fotos von diversen Geschäftstreffen ihrer Eltern und auch die ein oder andere Auszeichnung, die das familiäre Reisebüro bereits erhalten hatte. Zornig knallte Becky die Tür zu ihrem Reich zu und schleuderte die mit Fransen übersehene Handtasche in die Ecke. Verzweifelt ließ sie sich auf ihr riesiges Bett fallen und bemerkte erst jetzt, dass sich ihr dunkelgrauer Kater auf der Kommode zusammengekauert hatte und verwundert das Geschehen beäugte.
„Oh, tut mir Leid Leonardo, ich wollte dich nicht erschrecken!“, sagte Becky zu ihm und nuschelte dabei halb in eins ihrer vielen Kopfkissen. In solchen Momenten hasste sie ihre Eltern! Nie waren sie da und wenn sie es mal waren, gab es fast immer nur Streit wegen ihren schulischen Leistungen. Diese spielten für ihre Eltern nämlich eine sehr große Rolle, gar eine Größere als für Becky selbst. Das hatte aber auch einen Grund.
Schon seit Generationen besaß die Familie Engelmann einen angesehenen Status in der Gesellschaft und Becky hatte somit ein schweres Erbe zu tragen. Nicht nur ihre Eltern hatten es zu etwas gebracht, ein Onkel von Becky war Politiker und ihre Oma mütterlicherseits war Direktorin einer wichtigen Handelsbank. Susanne und Richard Engelmann wollten, dass auch ihre einzige Tochter später einmal etwas erreicht. Entweder, dass sie in deren Fußspuren trat und das familieneigene Imperium der Engelmann Reisebüros fortführte oder aber, dass sie etwas Eigenes auf die Beine stellte.
Becky wusste, dass ihre Eltern einen hohen Anspruch hatten und sie wollte, dass sie eines Tages stolz auf sie waren. Allerdings hatte sie immer das Gefühl sie würde ihre Eltern nur enttäuschen. Im Vergleich zu ihren Cousins oder Cousinen, die in der Schule oder auf der Universität immer zu den Besseren und Engagierteren gehörten, war Becky nun einmal nicht so leistungsstark oder motiviert. Da Beckys allerdings ein Einzelkind war, lasteten all die Hoffnungen ihrer Eltern auf ihren schmächtigen Schultern.
Oft wünschte sich Becky noch einen Bruder oder eine Schwester zu haben. Dann wäre es in dem großen Haus mit den vielen Zimmern nicht immer so ruhig und einsam. Zwar schlich Leonardo leichtfüßig durch die Gänge und miaute um Aufmerksamkeit, aber er war eben doch nur ein fauler Kater. Manchmal fragte sich Becky gar, warum ihre Eltern überhaupt ein Kind bekommen hatten, so selten wie sie zuhause waren. Wegen ihrer Arbeit blieb das Familienleben nämlich total auf der Strecke.
Auch war dies der Grund warum die Engelmanns ihre kleine Tochter schon sehr früh in die Obhut des fürsorglichen Kindermädchens Frau Krehl gegeben hatten. Die bereits etwas betagte Dame mit den süßen Hamsterbäckchen und den runden Brillengläsern war für Becky stets so etwas wie eine Ersatzmutter gewesen. Für sie war es daher schrecklich, als die ältere Dame irgendwann entlassen wurde, weil Becky auf der Grundschule in die Nachmittagsbetreuung gehen konnte. Zum Glück für ihre Eltern, versteht sich. Wenn Becky zurück an ihre Kindheit dachte, dann waren es immer nur die wichtigen Feste wie ihr Geburtstag, Weihnachten oder Ostern gewesen, an denen die Familie von morgens bis abends zu dritt vereint war.
Wenn man etwas Positives in der harten Arbeit ihrer Eltern sehen konnte, dann war das wohl, dass die Engelmanns finanziell keinerlei Sorgen zu haben brauchte. Manchmal wurde Becky von ihren Freunden als Bonze bezeichnet und bis zu einem gewissen Grad hatten sie damit sogar Recht. Schon als kleines Mädchen war Becky stets im Besitz der neuen Barbie Kollektion oder auch so waren ihre Regale vollgestopft mit allmöglichem Spielzeug gewesen. Ihr Zimmer war auch heute noch vermutlich ein halbes Vermögen wert. Ab dem Gymnasium hatte Becky dann immer eins der teuersten Handys und ihre Klamotten kaufte sie ab dem zwölften Lebensjahr in den noblen Geschäften.
Urlaub machte sie mit ihren Eltern nicht wie manch anderer an der Nordsee oder Italien, nein, Kapstadt oder Sansibar waren für Familie Engelmann die gewöhnlichen Reiseziele. Unter anderem spielte sich eine der wenigen Kindheitserinnerungen in denen auch Beckys Eltern vorkamen auch an der Strandpromenade von Kapstadt ab. Sie hatte es immer noch vor ihrem inneren Auge, wie sie als kleines Mädchen mit zwei Zöpfen Hand in Hand mit ihrer Mutter und ihrem Vater dort entlang schlenderte. Eine frische Meeresbrise in der Nase, die Sonne im Rücken und ein Lächeln im Gesicht. Für Becky war dies einer der wenigen so kostbaren Momente, in denen sie einfach nur eine glückliche Familie im Urlaub waren. Keine neuen Verträge. Keine geschäftlichen Meetings. Einfach nur Mama, Papa und Tochter.
Im LLoft war an diesem Abend ein Spieleabend geplant, für den Romy und Nadine sich bereit erklärt hatten, die Leitung zu übernehmen. Wie üblich waren sie schon um halb sechs vor Ort gewesen um die besten Brettspiele aus dem Gaming-Zimmer zusammen zu suchen und für die Gäste herzurichten. Die ließen auch nicht allzu lange auf sich warten und erschienen in Form von Charly, Pia, Rosalie, dem aktuellsten Pärchen Vanny und Chrissi und zu letzt trafen Hanna und Fiona ein. Gemeinsam natürlich.
Da man sich nach gut drei Runden demokratischen Abstimmens immer noch nicht für ein Spiel entscheiden konnte, legte Nadine kurzerhand einfach fest, dass als Erstes Activity gespielt werden würde. Fiona merkte des Öfteren an, dass sie es bereute ihre Kamera nicht mitgenommen zu haben, da es doch äußert unterhaltsam war, als Hanna beispielsweise Silvester pantomimisch darstellen, oder Chrissi in einer Runde die Zentrifugalkraft zeichnen sollte.
Nach zwei weiteren Durchgängen, bei denen auch die Neueingetroffenen Becky und Milli mitmischten, hatte die Gruppe schließlich genug von Activity. Auf Tabu oder sonstige Brettspiele hatte im Anschluss auch niemand mehr wirklich Lust. Aus diesem Grund beließen es Romy und Nadine dabei und machten sich wieder hinter der Bar an die Arbeit. Die nun etwas kleinere Gruppe der Mädels hatten sich in der Chillecke des Action-Zimmers bequem gemacht.
"Hey, wisst ihr schon als was ihr euch am Samstag auf Giselle verkleidet?", fragte Vanny in die Runde. Fiona, die es sich in einem der tückischen Sitzsack gemütlich gemacht hatte, versuchte sich aufzurichten, "Man muss sich verkleiden? Davon habt ihr letztes Mal gar nichts gesagt!"
"Nein, müssen tut man nicht", begann Charly, die in dem grünen Ohrensessel saß, "Aber es ist Halloween! Und jeder, der sich verkleidet bekommt einen Cocktail umsonst!"
Fiona legte nachdenklich die Finger ans Kinn, "Hm, ja gut für einen Cocktail kann man sich das schon mal überlegen..."
"Ich glaub' ich gehe als sexy Hexe!", grinste Chrissi verschmitzt und ihre blauen Augen funkelten. Vanny zwinkerte ihr verführerisch zu, "Oh ja, so ein Kostüm fände ich gut. Besonders dann, wenn ich es dir nach der Party ausziehen darf."
Hanna und Milli verdrehten die Augen und Chrissi lachte, "Typisch du!"
Pia blickte mit finsterer Miene von ihrem Laptop auf und nörgelte, "Ich will auch mit!"
Becky grinste den Jungspund fies von der Seite an, "Du kannst dir ja ein Bettlaken überwerfen, vielleicht kommst du damit als Geist durch!"
Pia verzog die Miene und lachte höhnisch, "Höhöhö! Lustig Becky!"
Vanny nahm einen Schluck von ihrem Bier und lehnte sich elegant zu dem Mädchen mit den Knopfaugen herüber, "Als was gehst du eigentlich? Als Rich Bitch?"
Becky würdigte der Butch keines Blickes, sondern tippte stattdessen beschäftigt auf ihrem Handy herum, "Also falls ich dieses Wochenende überhaupt auf eine Halloweenparty gehe, dann wird das nicht Giselle sein."
"Wie meinst du das?", fragte Hanna verwundert. Genervt warf Becky ihren geflochtenen Zopf nach hinten und seufzte, "Meine Alten haben mir ab Freitag das ganze Wochenende über mal wieder Hausarrest aufgebrummt. Aber ich bin am Samstag auf einer Hausparty von Patrick eingeladen und da gehe ich auch hin!"
Vanny verdrehte bei Patricks Namen verzweifelt die Augen und Pia fragte verwundert, "Patrick? Immer noch dieser Typ aus dem Schwimmbad? Was läuft denn da zwischen euch?"
"Schon!", hakte auch Charly nach, "Wir sehen dich ja gar nicht mehr, so oft wie du in letzter Zeit mit diesem Typen abhängst! Ich kenne den noch nicht mal!"
Vanny, die offensichtlich keine allzu große Lust über den blonden Möchtegern Macho zu reden, fragte schnell, „Warum hast du eigentlich schon wieder Hausarrest?"
"Ich hatte in der letzten Mathe-Ex nur Zwei Punkte, deshalb. Meine Eltern schieben total Panik, dass ich das Abi nicht packe, wenn ich so weiter mache. Unnötiger Stress! Jetzt wollen sie, dass ich irgendwo Nachhilfe nehme. Meine Lehrerin liegt mir auch schon die ganze Zeit mit dem Thema in den Ohren! ", beschwerte sich Becky wütend. Mit strenger Miene sagte Milli, "Ich kann ihre Sorge schon verstehen. Das Schuljahr hat gerade Mal angefangen und wenn das mit den Noten so weiter geht, dann sieht es schwarz aus."
Uneinsichtig winkte Becky ab und Charly ergriff das Wort, "Wenn du willst dann kann ich dir Nachhilfe geben!"
"Pff! Genau, weil ich bei dir Nachhilfe nehme!", spottete Becky im ersten Moment, merkte aber dann, dass diese Idee gar nicht mal so blöd war und wiederholte einsichtiger, "Genau! Ich nehme bei dir Nachhilfe! Die Idee finde ich sehr gut Charly! Meine Eltern werden dir auch guten Stundenlohn bezahlen!"
Charly wirkte geschmeichelt, "Du bist eine Freundin Becky, ich würde das auch umsonst machen."
"Nein, nein!", mahnte Becky sofort und hob die Hand, "Wenn meine Eltern schon wollen, dass ich mir Nachhilfe suche, dann sollen sie auch dafür blechen. Umsonst will ich dir nämlich nicht deine Zeit stehlen."
Vanny nahm ihre Flasche Bier in die Hand und lehnte sich zu Charly, „Ich an deiner Stelle würde das Geld nehmen. Bei Beckys IQ wird das nämlich ein hartes Stück Arbeit, die nicht genug bezahlt werden kann.“
Chrissi grinste für den Bruchteil einer Sekunde und Becky zischte, „Fick dich Vanny!“
Überlegen legte die Butch ihren tätowierten Arm cool um ihre Freundin, „Ne, da habe ich wen anderen der das macht.“
Bevor noch irgendwelche Zickereien entstanden ergriff Hanna das Wort, „Okay, aber das heißt im Endeffekt, dass am Samstag alle dabei sind bis auf Becky. Falls es dir bei Patrick doch zu langweilig wird, kannst du ja noch bei Giselle vorbei schauen. Wann und wo trifft man sich?“

Am Freitagabend saß Becky an ihrem Schreibtisch und chattete mit Patrick. Auf ihrem Schoss hatte sich das graue Fellknäuel Leonardo eingerollt und schnurrte zufrieden vor sich hin. Vor einer viertel Stunde hatte ihr Vater doch tatsächlich an der Tür geklopft um nachzusehen ob sie auch ja ihren Hausarrest absaß! Das war Becky neu.
„So ziemlich alle, die ich eingeladen habe kommen auch, aber auf dich freue ich mich am meisten!“, schrieb Patrick in dem kleinen Chatfenster und Becky grinste wie ein Honigkuchenpferd, „Als was verkleidest du dich? ;) “
„Das bleibt ein Geheimnis!“, schrieb sie zurück.
„Komm schon, mir kannst du das doch sagen.“
„Kann ich, will ich aber nicht. Du wirst es morgen schon sehen!“
„Na gut, dann bin ich mal gespannt. Ich gehe jetzt mal offline, mein Bruder wollte noch Resident Evil mit mir anschauen. Bis morgen, schlaf gut Becky! :* “
„Viel Spaß euch beiden! Danke, du auch! :* “
Nur einen Moment später verschwand der grüne Kreis hinter Patricks Namen. Mit einem glücklichen Lächeln lehnte sich Becky in ihrem Schreibtischstuhl zurück und grinste einige Sekunden einfach nur vor sich her. Was hatte dieser Kerl nur mit ihr angestellt? So verknallt war sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gewesen! Es waren nicht mal mehr vierundzwanzig Stunden bis sie ihn endlich wieder sehen würde! Becky hatte Patrick nichts davon erzählt, dass sie eigentlich das gesamte Wochenende über Hausarrest hatte. Sie wollte nicht, dass er womöglich noch nach dem Grund fragte. Auch sollte er sich keine Sorgen wegen Beckys Besuch auf seiner Halloweenfete machen. Denn auf die Party würde sie auf jeden Fall gehen, so viel stand fest. Sie hatte sich auch bereits einen Plan überlegt wie sie am besten dorthin kommen würde. Allerdings bedurfte sie dabei ein wenig Hilfe und sie wusste auch schon, wen sie diesbezüglich einspannen konnte.
Anders als sie ihm geschrieben hatte, hatte sie in Wirklichkeit jedoch keinen blassen Schimmer, als was sie sich verkleiden sollte. Sie wippte nachdenklich auf ihrem Stuhl hin und her, wobei Leonardo wach wurde und missmutig miaute. Seine Besitzerin nahm ihn daraufhin fest in den Arm und knuddelte ihn fest, "Oh, tut mir Leid mein kleiner Schatz, ich wollte dich nicht wecken!" Nach wenigen Sekunden hörte Becky damit auf ihren Kater halb zu erdrücken worüber dieser sehr dankbar schien und sie wurde nachdenklich, "Aber als was könnte ich mich verkleiden...", ihr Blick fiel auf das Tier in ihrem Schoss und sie hatte einen Geistesblitz, "Leonardo, du Schmusekater, du bist meine Rettung!"

Obwohl Becky ihre Eltern stolz machen und eines Tages eine erfolgreiche Geschäftsfrau sein wollte, war sie im Moment doch eben jung und wollte ihr Leben leben. Anstatt sich an den Wochenenden also mit dem Schulstoff zu beschäftigen, feierte sie daher lieber die Nächte durch. Becky kannte alle bekannten Clubs der Stadt und obwohl sie noch nicht volljährig war, kam sie aufgrund von guten Kontakten auch fast immer in einen hinein, wenn sie wollte. Allerdings ließ es das Mädchen mit der Mäuschennase manchmal ein bisschen zu sehr krachen: Des Öfteren war es schon vorgekommen, dass sie vollkommen betrunken in einem Club unterwegs war oder sogar rausgeschmissen wurde. Wenn ihre Eltern von so einem Vorfall Wind bekamen, brummten sie ihrer einzigen Tochter kurzerhand eine knallharte Strafe auf. So war die Tradition mit dem Hausarrest entstanden.
Bei einem dieser Clubbesuche hatte Becky auch für sich festgestellt, dass sie auch einen gewissen Reiz bei Mädchen verspürte. Dass sie auf Jungs stand, daran bestand kein Zweifel. Sie hatte bereits zwei feste Freunde und einige flüchtige Romanzen gehabt. Hätte man ihr einen Channing Tatum oder Ryan Reynolds vor die Nase gestellt, hätte sie sich vermutlich gierig auf ihn gestürzt.
Mit dem Thema Homosexualität war sie nicht allzu vertraut. Auch kannte sie keine Lesben oder Schwule. Allerdings wollte sie schon immer gerne einen schwulen besten Kumpel haben. Die Vorstellung mit einem modebewussten jungen Mann shoppen zu gehen, der ihr kritisch bei der Klamottenwahl zur Seite steht und ihr nicht die ganze Zeit auf die Oberweite starrte, fand sie traumhaft. Aus Spaß und mit nicht gerade wenig Alkohol intus machte Becky in dem hippen „Dawntown“ einmal mit einer guten Freundin rum. Das war das erste Mal, dass sie ein Mädchen küsste. Im ersten Moment genoss sie hauptsächlich die Aufmerksamkeit, die die Männer den Mädels deshalb schenkten. Becky kam es so vor, als hätten einige der Typen bei dieser homoerotischen Show augenblicklich mitgemischt, wenn man sie dazu gebeten hätte. Sie sah wie sie vor Begierde förmlich sabberten wie die Hunde.
Dann aber genoss Becky Situation an sich. Zuerst dachte sie, das läge vielleicht am Alkohol, doch das tat es nicht. Im Laufe des Abends lief Becky immer wieder zu ihrer Freundin um erneut ein wenig mit ihr rumknutschen zu können.
Nach dieser Nacht saß Becky ein kleiner Schock in den Knochen. Solche Gefühle kannte sie nicht von sich und sie war entsetzt darüber, dass sie diese empfand. Was hatte das zu bedeuten? War sie nun lesbisch, weil es ihr gefallen hatte ein Mädchen zu küssen? Mit irgendjemandem darüber zu reden, traute sie sich nicht. Sie wollte nicht, dass ihre Freundinnen sie gleich als Lesbe abgestempelt hätten. Doch dann bekam sie bei ihrem Nebenjob im Café Mozart eine neue Kollegin, Milli.
Becky verstand sich von Anfang an sehr gut mit der kleinen Halbfinnin, auch wenn sie fand, dass Milli ihre Arbeit gelegentlich ein bisschen zu perfektionistisch und übereifrig ausführte.
Besonders an sonnigen Tagen, wenn die Brav’Arcaden etwas leerer waren als sonst, kamen die zwei fast gleichaltrigen Mädchen ins Gespräch und lernten sich so besser kennen. Natürlich fragte Becky Milli irgendwann ob diese nicht einen Freund hatte.
„Nein, ich habe keinen Freund!“, antwortete Milli nur lächelnd während sie ein paar Tassen in die Spülmaschine räumte.
„Warum nicht?“, fragte Becky neugierig wie sie war und blickte die Blondine interessiert an.
Milli schloss die Spülmaschine und lächelte „Ich bin lesbisch.“
Im ersten Moment dachte Becky, Milli hätte das als Scherz gemeint. Doch dann verstand sie, dass die Blondine das ernst meinte. Noch nie zuvor hatte Becky jemanden kennengelernt der einfach so gerade heraus sagt, was Sache ist. Nicht, dass sie das schlecht fand, ganz im Gegenteil! Sie war von Millis Selbstbewusstsein beeindruckt!“
„Oh, das ist ja cool!“, brachte Becky schließlich nach ein paar Sekunden hervor und versuchte so unbeeindruckt wie möglich zu wirken, „Hast du dann eine Freundin?“
„Nein, momentan nicht. Ich bin glücklicher Single!“, lachte Milli und Becky entgegnete, „Ja ich auch!“
Aufgrund der neu gewonnen Erkenntnis über Milli, kam Becky natürlich relativ schnell die Idee, dieser von ihren Erfahrungen aus dem Club und den daraus entstandenen verwirrenden Empfindungen zu erzählen, doch zunächst traute sie sich nicht. Erst zwei Wochen nach dieser Schicht, vertraute Becky sich ihrer liebenswürdigen Arbeitskollegin schließlich doch an und erzählte ihr von dem seltsamen Gefühlschaos, das sie seit einiger Zeit beschäftigte. Milli hörte ihr sehr aufmerksam und genau zu. Eine wirkliche Antwort darauf, wie Becky denn nun gepolt war, konnte Milli ihr allerdings auch nicht geben. Das müsste Becky selbst herausfinden. Um ihr dabei zu helfen, erzählte Milli Becky von einem Treff für junge lesbische und bisexuelle Mädchen, zu dem sie wöchentlich ging und bot ihr an, dass sie sie mal dorthin begleiten könnte. Zunächst war das Mädchen mit der Mäuschennase sehr skeptisch und lehnte dankend ab. Doch relativ schnell änderte sie ihre Meinung, immerhin hatte sie nichts zu verlieren.
So lernte Becky schließlich das LLoft hoch über den Dächern der Stadt kennen. Anfangs fühlte sie sich unter den ganzen Mädchen, von denen die meisten eine Kurzhaarfrisur trugen und einfach gar nicht so waren wie sie ziemlich unwohl. Sie hatte ein wenig Angst, dass sie negativ auffallen könnte, immerhin wussten diese Mädchen im Gegensatz zu Becky anscheinend alle ganz genau auf wen oder was sie standen. Beckys Begründung war aber vollkommen unbegründet. Welche sexuelle Orientierung man nun genau hatte interessierte bei diesem Treff niemanden. Becky, die sich nie mit Lesben oder Bisexuellen beschäftigt hatte, lernte im LLoft so viel Neues und mit der Zeit schloss sie all die Mädchen, die sie dort kennenlernte richtig ins Herz.
Ihren Eltern irgendetwas von diesem Treff zu erzählen, kam erst einmal gar nicht in Frage. Da diese aber sowieso so selten zuhause waren, bekamen sie es kaum mit, dass Becky Donnerstagabends nun immer unterwegs war. Auch dachte Becky erst einmal überhaupt nicht darüber nach, sich bei ihnen zu outen. Als was auch? Vielleicht irgendwann wenn sie das für sich selbst herausgefunden hätte. Vielleicht aber auch nicht.

Um halb elf klappte Becky am Samstagabend ihren Laptop zu und griff nach ihrer kleinen Chanel-Handtasche. Mit einem letzten prüfenden Blick betrachtete sie sich im Spiegel. Sie trug ein schwarzes Minikleid, dessen Rock aufgebauscht war. Lediglich die aufgemalten Schnurrhaare auf ihren Wangen ließen erahnen, als was sie sich verkleidet hatte.
Leise schlich sie im ersten Stock den Flur entlang, bis sie das letzte Zimmer auf der linken Seite erreichte. Vorsichtig horchte sie an der Tür und vernahm das ruhige Schnarchen ihres Vaters. Ihre Eltern schliefen also bereits. Zufrieden eilte Becky die Treppe herunter zur Haustür. Aus der obersten Schublade der Eichenholzkommode griff sie nach dem Autoschlüssel. Zum Glück hatte sie gestern gesehen, wie ihr Vater diesen dort verstaut hatte. Hastig schlüpfte Becky in ihre schwarzen Ballerinas und zog leise die Haustür hinter sich zu. Sie eilte vor bis zur Straße und blickte bedacht nach links und nach rechts in die Dunkelheit. Dann holte sie ihr Handy aus der kleinen Handtasche und schrieb, „Komm zum Haus“.
Erneut spähte das Mädchen bedacht den Gehweg entlang. Es durfte sie ja niemand sehen, denn die so redseligen Nachbarn hätten ihren Eltern bestimmt erzählt, dass sie ihre Tochter nachts noch draußen gesehen hätten. Von einer Seitenstraße schräg gegenüber kam schließlich eine etwas kleinere Person und schritt zielstrebig auf Becky zu. Durch die Körpergröße und dem wehenden blonden Haar war für Becky sofort klar, dass es sich um Milli handelte und sie ging ihr entgegen. Als Becky einen genaueren Blick auf Millis Gesicht bekam, versteinte sich ihre Miene und sie bekam einen riesigen Schock. Millis komplette rechte Gesichtshälfte war blutüberströmt und einzelne Hautfetzen hingen ihr von der Wange.
„Hi!“, begrüßte die Blondine ihre Freundin glücklich und nahm sie in den Arm. Erst jetzt erkannte Becky, dass diese monströsen Verletzungen lediglich aufgemalt waren.
„Hey!“, sagte Becky erleichtert, „Man, du hast mir mit deinem Gesicht total den Schreck eingejagt!“
Die Blondine kicherte, „Dann hat meine Verkleidung wohl ihren Zweck erfüllt!“
Die Mädchen setzten sich in Bewegung und Milli fragte Becky neugierig, „Als was bist du verkleidet?“
Diese hatte bereits den Autoschlüssel gezückt und grinste, „Ich gehe als schwarzes Kätzchen! Das Highlight des Kostüms setze ich im Wagen auf!“
Becky drückte den automatischen Türöffner und ein paar Meter vor den Beiden blinkte der schwarze Jaguar auf. Milli bekam große Augen, „Ihr habt ein neues Auto?“
„Richtig!“, merkte Becky an und grinste zufrieden, „Das ist die Überraschung die ich meinte! Dass du mit unserem neuen Jaguar mitfahren darfst!“
„Moment Becky…“, begann Milli verunsichert, „Deine Eltern wissen nicht mal, dass du auf Patricks Party bist, ich nehme also an, dass sie erst recht nicht wissen, dass du mit dem Auto dahin fahren willst, oder?“
Das Mädchen mit der Mäuschennase grinste nur über das Autodach hinweg, „Sie haben nicht den leisesten Schimmer! Und jetzt steig ein!“
Ein wenig widerwillig setzte sich Milli in den Kombi und schnallte sich an. Während Becky den Motor startete und im Navi die Route berechnen ließ, schaute sich Milli nach wie vor beeindruckt in der Luxuskarosse um, „Nicht übel! Und du bist sicher, dass du das durchziehen willst?“
„Ja, bin ich!“, antwortete Becky entschlossen, „Meine Eltern schlafen schon! Solange wir vor Sonnenaufgang wieder zurückkommen ist alles in Ordnung!“
Die Blondine wirkte nach wie vor nicht vollständig überzeugt, legte aber ihre Hände auf die Knie und schaute aus der Windschutzscheibe, „Okay, auf deine Verantwortung!“
„Das ist die richtige Einstellung!“, grinste Becky, „Ah bevor ich es vergesse!“
Sie holte ihre Handtasche aus dem Fußraum und kramte nach einem Haarreif mit schwarzen Katzenohren und setzte sich ihn aufs Haupt.
„Na?“, grinste sie begeistert und machte mit ihrer Hand eine ähnliche Bewegung wie eine Katze mit der Pfote. Milli musste lachen, „Ja gut, jetzt erkennt man, was du darstellen sollst!“
Gut gelaunt schaltete das Mädchen mit den Katzenohren das Radio ein und fuhr mit dem mächtigen Kombi von dannen.

Wie immer wenn Giselle zur Party rief, stand bereits um kurz nach elf eine gewaltige Schlange vor dem Club. Nur diesmal bestand diese nicht aus hübschen Frauen, sondern aus Vampiren, Geistern, Werwölfen und sonstige blutrünstige Monstern. Vor allem aber standen viele Hexen an. Die meisten der Gäste wollten allem Anschein nach unbedingt einen von den kostenlosen Cocktails abstauben. Ein paar Meter von der Menschentraube entfernt, standen Charly, Chrissi und Vanny. Die Drei hatten sich wie üblich bereits im LLoft zum Vorglühen getroffen und warteten nun wie vereinbart auf Hanna und Fiona. Chrissi hatte ihre Versprechung wahr gemacht und sich in ein ziemlich freizügiges Hexenkostüm geschmissen. Ihre Freundin hingegen sah im Gesicht ziemlich bleich aus, aber das mit Absicht, denn Vanny hatte sich als rockigen Vampir verkleidet. Als die beiden vorhin im LLoft Charly an der Bar hatten sitzen sehen, trauten sie zunächst ihren Augen nicht. Im Kopf der Brillenträgerin steckte ein gewaltiger Nagel, der sich von der einen Schläfe hinein und auf der anderen Seite wieder heraus bohrte. Natürlich war das nur ein billiger Kopfschmuck, doch der optische Effekt hatte es in sich. Mit dem weißen Kittel und den Plastikspritzen, die aus der Brusttasche schauten wurde Charlys Kostüm einer verrückten Wissenschaftlerin abgerundet.
Passend für die Nacht der lebenden Toten zogen leichte Nebelschwaden durch die Straßen und ein kühler Wind blies das bunte Herbstlaub in die Höhe. Um viertel nach elf stießen Hanna und Fiona zu dem kleinen Dreiergespann. Die zwei Mädchen waren nicht zum Vorglühen im LLoft dabei gewesen, da sie sich bereits am frühen Abend bei Fiona zuhause getroffen und sich gemeinsam in Schale geschmissen hatten. Für Vanny, Charly und Chrissi war es keine Überraschung gewesen, dass die Zwei sich gemeinsam aufgebrezelt hatten. Die beiden traf man momentan fast nur noch zu zweit an.
Hanna hatte Fiona mit ihrer weißen und schwarzen Theaterschminke im Gesicht wie einen Totenkopf bemalt. Sie selbst ging als Zombiebraut mit verfilzt aussehendem Haar und blutigen Striemen im Gesicht.
"Ihr seht ja zum Fürchten aus!", sagte Chrissi als die beiden vor ihnen zum stehen kamen.
"Das wollen wir doch hoffen, so lange wie wir gebraucht haben!", grinste Fiona mit ihren vielen aufgemalten Zähnen. Hanna, die gerade Vanny umarmte fragte, "Nur noch Milli fehlt oder?"
"Die kommt nicht", antwortete ihr die Butch, die aufgrund des Vampirgebisses mit den riesigen Eckzähnen ein wenig nuschelte.
"Wie die kommt nicht?", fragte Fiona verwundert.
"Die hat mir heut morgen Bescheid gegeben, dass Becky anscheinend mentale Unterstützung für die Party bei Patrick braucht und sie Milli gebeten hat, mitzukommen", erklärte Charly Schulterzuckend.
"Oh okay...", machte Hanna nur und blickte verwundert in die Runde. Vanny lachte spöttisch, "Schon ein wenig peinlich, dass Becky sich nicht alleine auf die Party von ihrem Prinz Charming traut. Und dass Milli sich da auch noch mit reinziehen lässt und lieber dorthin geht anstatt mit uns auf Giselle, finde ich auch irgendwie scheiße."
"Ach, für gute Freunde bringt man schon mal Opfer!", lächelte Fiona und nickte dann zum Club herüber, "Wollen wir uns trotzdem anstellen? Ich will endlich sehen ob diese Party wirklich so toll ist, wie immer alle behaupten! Und vor allem will ich den Cocktail, für den ich mich so herrichten musste!"

Fortsetzung Part 2...



copyright © by cappuccino007. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





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