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Sommernachtstraum

von muk30


„Oh my God! I can´t believe it. You are indeed a girl and all by yourself!“

Ja, bin ich. Wieso auch nicht, dachte Kim. Als sie aus dem Zelt schaute, wandelte sich der erste Unmut auf diesen Weckruf sofort. Eine schlanke Frau stand gebückt vor dem Eingang und schaute zurück. Was für tolle grüne Augen, war der erste Gedanke, den Kim fassen konnte. Noch ganz verschlafen bis vor einem Augenblick. Jetzt auf einen Schlag fast hellwach. Wo war nur gleich ihr Englisch geblieben? Bloß nicht rumstammeln. Nachher läuft sie weg.
„Well“ – ein echt überzeugender Anfang! Nur weiter so, dann ist sie echt beeindruckt von dir.„Yes, ja, ich bin ein Mädchen und alleine unterwegs.“ Na bitte, der erste Satz war doch schon gar nicht so schlimm gewesen. Wenn sie nur wacher wäre.
„Ich habe vorhin das Fahrrad gesehen und das Zelt. Das hat mich gleich interessiert, wer hier radelt. Aber ich hätte geschworen, daß nur ein junger Däne verrückt genug ist, um so etwas zu machen.“
„Da muß ich Sie leider enttäuschen, weder männlich noch aus Dänemark.“ Hurra, endlich Frau ihrer Sinne. Allmählich konnte Kim außer den faszinierenden Augen auch noch mehr von der Frau vor ihr wahrnehmen. Sehr sympathisch, viele Lachfalten. Aber bestimmt zwanzig Jahre älter als sie selbst. Blonde, kurze Haare, die erzählten, daß auch sie heute schon einiges an Anstrengungen hinter sich hatten. Passend zu den Wanderstiefeln, die vielleicht vor Jahren mal in der Farbe definierbar gewesen waren. Auch der Rest der Kleidung sprach von einer längeren Tour.
„Sie sind heute gewandert?“„Ja. Ich habe hier auf dem Campingplatz eine Hütte gemietet und mache von hier aus Tagestouren. Ich hatte heute Nachmittag das Zelt schon gesehen. Da bin ich gleich neugierig geworden. Weil so ein kleines Zelt kannte ich noch gar nicht. Darf ich da mal näher reinschauen?“
„Wenn Sie vor lauter Gepäck was erkennen – bitte sehr.“
Die Stimme und die Ausstrahlung der Frau faszinierten Kim. Trotz ihrer etwa fünfzig Jahre und der – wahrscheinlich anstrengenden – Wanderung, die hinter ihr lag, ließ sich die Frau geschmeidig in die Knie und schaute herein.
„So viel Gepäck noch dabei. Ich kriege immer mehr Hochachtung vor dir. Und das Zelt ist ja das reinste Raumwunder.“Hochachtung! Kim kriegte rote Ohren. „Na ja“, stammelte sie, „ist alles halb so wild. Ich muß ja nicht im Tour de France-Tempo die Berge hoch.“Amüsiertes Grinsen auf der Gegenseite. Was für ein Blitzen in den Augen. Ziemlich unelegant hievte sich Kim aus dem Schlafsack, über zwei Packtaschen hinweg aus dem Zelt. Wer ist denn nun hier die Oma? Mit einem nur fast verkniffenen Stöhnen richtete sie sich auf. War nach der Anstrengung der letzten Tage für sie zwar nachvollziehbar, aber peinlich war es ihr trotzdem, als die Frau ihr helfend die Hand reichte. Und wieder rote Ohren. Na klasse, du solltest dich mal als Verkehrsampel bewerben. Wenn das so weitergeht, für den Stadtverkehr. Die sind auch immer alle hochrot.

„Hab´ trotzdem ein paar anstrengende Tage hinter mir“, murmelte Kim in den nicht vorhandenen Bart. Das amüsierte Grinsen wurde eine Idee breiter? Nun ja, sie hatte ja auch recht. Wie einhundert oder einhundertfünf oder so.„Das kann ich glauben. Du bist sicher von Oslo aus gestartet. Mit den Massen wäre ich gar nicht erst hier angekommen. Erzähl´ doch mal! Ich finde das echt spannend.“
„Sooo spannend ist das gar nicht. Richtig hart waren nur drei Etappen. Und ich bin schon seit fast drei Wochen unterwegs. Aber die eine von den dreien hängt mir noch echt in den Knochen.“„Was hältst du denn dann davon, wenn ich dich zum Essen einlade? Ich habe hier eine gemütlich Hütte, da drüben, da sitzen wir vielleicht bequemer. Hast du Lust zu kommen?“
Und was für Lust! Aber ob wir beide unter ´Kommen´ das gleiche verstehen? Schluß jetzt, sonst verglühen deine Ohren noch.
„Ähm, klar, gerne. Wann denn?“ Heute wirklich erster Preis im Stottern und überhaupt. Kirsten schlug sieben Uhr vor. Ein gute Stunde Zeit noch. „Ach, wie heißen Sie denn eigentlich? Ich bin Kim.“
„Kirsten. Kirsten Gudmannslaug.“ Noch ein nettes Lächeln zum Abschied – und weg war sie.
Kim stand auf der Wiese und kam sich vor, als wäre sie auf einmal auf hoher See. Bei dem schwankenden Boden zog sie es vor, sich erst einmal hinzusetzen. So etwas war ihr ja noch nie passiert. Wie ein Blitz auf heiterem Himmel. Wie sollte sie bloß den Abend überleben?Vor lauter Aufregung war sie fast zu spät dran. In der einen Hand ein kümmerliches Sträußchen Gänseblümchen. Wo sollte frau denn auch so schnell noch etwas auftreiben, um sich für eine Einladung zum Essen zu bedanken? Ihre Nervosität hatte den Blumen aber gar nicht gut getan – sie sahen schon ziemlich durchgeknautscht aus. Bevor sie es sich anders überlegen und sie fallen lassen konnte, öffnete Kirsten die Tür. Der gleiche amüsierte Blick wie vorhin: erst in Kims Augen, dann auf die armen Blümchen, dann wieder in die Augen.
„Die sind aber putzig. Das ist ja echt süß von dir. Komm doch rein.“

Gemütlich war der richtige Ausdruck für die Hütte gewesen: alles aus Holz, im Naturton belassen. Ein Bett, eher eine Schlafkoje, auf jeder Seite, dazwischen eine kleine Bank. Ein Holztisch mit zwei Stühlen, ein Kühlschrank unter der Kochgelegenheit, rotweiß karierte Gardinen an den Fenstern. Stilecht nordländisch.
Kirstens Geruch paßte sehr gut zu dem Eigengeruch der Hütte. Nur die zerknautschten Gänseblümchen machten in dem kleinen Glas, das sie als Vase bekommen hatten, keinen sehr glücklichen Eindruck.
„Ich habe gedacht, wenn ich so eine nette, außergewöhnliche Frau treffe, feiern wir das ein bißchen. Ich hoffe, dir ist das nicht zu viel.“ Erst jetzt nahm Kim wahr, daß die Sachen auf dem Tisch dann wohl für sie beide bestimmt waren: Shrimps, Weißbrot, Wein. Ein köstlich aussehender Salat. Als Krönung Erdbeeren.
Während sie verzweifelt versuchte, nicht schon wieder ins Stammeln zu geraten, drehte sich Kirsten zum Herd, riß ein Streichholz an und komplettierte die Überraschung mit einer Kerze. Candle-light-dinner in einem taghellen Norwegen. Das glaube ich einfach nicht. „Die Kerze mag ich gerne – wegen des Geruches. Der paßt so gut zur Hütte. Und außerdem hilft sie gegen Mücken.“ Ich finde sie einfach nur romantisch, aber das traue ich mich nicht zu sagen. „So, und dann laß einfach dieses alberne ´Sie´. Laß uns auf uns anstoßen.“ Kirsten drehte sich um, füllte aus der Weinflasche die beiden Gläser. Nun war es an Kim zu grinsen: Wasser. Aber das war ihr sowieso lieber. Bei dem Aufruhr der Gefühle wäre Wein sicher nicht sehr sinnvoll gewesen. Als Kirsten ihr das Glas gab, sah sie ihr tief in die Augen.
„Kim. Ich trinke auf uns.“Ein leichtes Klirren. Und bevor sich Kim bewußt wurde, wie ihr geschah, beugte Kirsten sich vor und küßte sie ganz leicht auf die Lippen. Ein plötzlich auftauchendes UFO hätte sie nicht mehr verwirren können. Ein ebenso leichtes Lachen, Kirsten sah ihr noch einmal in die Augen und drehte sich um. „Komm, laß uns anfangen.“
Nein, laß uns weitermachen!
Aber natürlich, bis sie sich gesammelt hatte und wieder sprechen konnte ohne zu stottern, saß sie schon auf der anderen Seite des Tisches und hatte einen gut gefüllten Teller vor sich.„Ich hoffe, es schmeckt dir.“Anscheinend unbeeindruckt fingt Kirsten an zu essen. Und nachdem Kim die erste Gabel mit zittrigen Händen halbwegs unfallfrei in den Mund bugsiert hatte, merkte sie auch, daß sie tatsächlich Hunger hatte. Der Salat paßte aber auch zu gut zu den Shrimps.
Beim Essen schlug Kirsten einen leichten Plauderton an. Zu ihrem weiteren Erstaunen merkte Kim, daß sie völlig gelöst darauf eingehen konnte. Das Woher und das Wohin erzählen konnte. Die irrsinnige Idee, eine Radtour in Norwegen zu machen. Im Süden, wo es so schön bergig ist. Alleine! Es waren ja alle entsetzt gewesen. Und dann auch noch soooo viel Gepäck, nein, das arme Mädchen, völlig verrückt. Nein, gar nicht verrückt, sondern ein Traum seit sieben Jahren. Jetzt verwirklicht – und viel toller, als sie es sich je erträumt hätte. Die beeindruckende Landschaft, die Ruhe unterwegs. Alleine einfach das machen zu können, was und wann sie wollte. Die netten Begegnungen unterwegs, die alleine so viel einfacher zustande kamen, als wenn man zu mehreren oder auch nur zu zweit unterwegs ist. Ein riesiges Glück mit dem Wetter. Einfach toll.
Durch die Atmosphäre der Hütte, des Essens, der Kerze bekam die ganze Geschichte noch ein ganz besonderes Flair. Als Kirsten anfing zu erzählen, lehnte sich Kim zurück und genoß die Stimmung in dem Raum, die von Kirsten Stimme durchzogen war. Eine weiche, passende Stimme, die sie gefangen nahm.

Von ihrem Leben in Dänemark, wo sie lange Jahre unglücklich verheiratet gewesen war. Ihre einzige Motivation durchzuhalten war der Hof, den sie vom ersten Augenblick geliebt hatte. Ihre Wiese im Wald, wo sie im Frühjahr immer ein Meer von Waldmeisterblüten bewundern konnte. Wo sie einmal, als sie nach einem der nervenzerreißenden Streitgespräche mit ihrem Mann, lange so regungslos saß, daß direkt vor ihr eine Füchsin mit ihren Jungen über die Wiese spurte. In aller Seelenruhe, ohne die Frau wahrzunehmen. Der Bach mit seiner kleiner Gumpe, wo man Rehe beobachten konnte. Die Arbeit im Stall bei den Kühen, die großen Felder, das tolle alte Bauernhaus. Wenn nur nicht der furchtbare Ehemann und die klischeehaft gräßliche Schwiegermutter gewesen wäre.

Mit zwei Kinder, die sie als Besiegelung ihres Gefängnisses wahrnahm. Um derentwillen sie so lange durchhielt, bis sie, wie man so schön sagt, „aus dem Gröbsten heraus“ gewesen waren. Nach dem Tod ihres Mannes die unglaubliche Last, den Hof alleine weiterzuführen. Und feststellen zu müssen, daß eine gräßliche Schwiegermutter noch steigerbar ist durch einegräßliche traurig-zornige Schwiegermutter. Die unendliche Erleichterung, als diese Frau endlich aus ihrem Leben verschwand. Und die unendliche Trauer, als sie die Nachricht vom Tod ihres Sohnes erreichte.

„Ich konnte einfach nicht mehr. Es hat mir das Herz zerrissen. So ein junger, vielversprechender Mann. Ein toller Mensch. Mein Sohn. Einfach so, von eben auf jetzt weg. Da hat mir nicht einmal der Hof mehr geholfen.“

Kim saß da wie erstarrt. Kirstens Stimme und Geschichte hatte sie vollkommen gefangen genommen. Sie streckte impulsiv die Hand aus und legte sie auf Kirstens Finger, die krampfhaft das Glas umgriffen.

„Seitdem bin ich in Norwegen, mehr oder weniger auf der Flucht.“ Ein verzweifeltes Auflachen ließ Kim aufschauen. Kirsten hatte Tränen in den Augen. „Aber ich bin mir sicher, daß ich hier einen Ort gefunden habe, an dem ich länger bleiben werde.“

Kim drückte Kirstens Hand. Langsam lösten sich die verkrampften Finger von dem Glas. Kirstens Finger griffen nach Kim. Kim merkte, wie sie wie von selbst aufstand. Ganz in Kirstens Augen versunken. In der Dämmerung, die nur durch die Kerze erhellt wurde, wirkten diese fast violett. Dämmerung? Das kann nicht sein! Doch, tatsächlich, es ist wirklich schon so spät, daß es draußen fast duster ist. Sie trat von hinten an Kirsten heran. Legte ihre Hände auf Kirstens Schultern. Knallhart gespannt. Langsam und vorsichtig begann sie, die Muskeln entlang zu fahren. Nach einer Schrecksekunde ließ Kirsten es geschehen. Kim ließ die Hände allmählich weiter nach unten fahren, dehnte ihre Bewegungen immer weiter aus. Als sie merkte, wie Kirstens Anspannung nachließ, sie sich gegen sie fallen ließ, wanderten ihre Hände wieder an Kirstens Hals. In den offen Hemdkragen hinein. Ganz vorsichtig nach vorne. Kim merkte, wie Kirsten die Luft anhielt. Leicht, fast flüchtig strichen ihre Finger an Kirstens Hals entlang. Mit jedem Streicheln ein winziges Stückchen mehr nach vorne unten. Als sie durch das Hemd nicht mehr weiterkommen konnte, arbeiteten ihre Finger sich langsam an den Knopf heran. Immer wieder am Hals hoch und runter. Wie mit einer Feder. Kirsten atmete flach. Aber ließ sich den oberen Knopf öffnen. Kim lehnte sich vorsichtig an sie, beugte sich so weit nach vorne, daß ihr Kinn auf Kirstens Kopf zu liegen kam. Ihre Finger strichen weiter leicht über Kirstens Hals. Der offene Knopf erlaubte ihr eine größere Bewegungsfreiheit.
Ganz vorsichtig kamen Kirstens Hände hoch, legten sich auf Kims Handrücken. „Ich glaube nicht, daß wir jetzt etwas weitermachen sollten, was die ganze Sache zu einer `Sache´ macht und es verkompliziert.“ Der rauhe Tonfall ließ Kim zusammenzucken. Sie fühlte sich ertappt. „Würdest du denn wollen?“
„Ja. Aber im Moment, in dieser Situation hier geht es einfach nicht.“ Eine Stimme wie Sandpapier. Langsam richtete Kim sich auf. Kirsten drehte sich auf dem Stuhl leicht nach hinten um. Die Tränen liefen über ihr Gesicht. Bevor Kim wußte, was sie tat, berührten ihre Fingerspitzen sanft Kirstens Wangen.
„Du mußt nicht. Es ist ok, wenn du nicht kannst.“ Ist es zwar nicht, aber ... wie sollte auch aus so einer Situation etwas werden. „Ich mache dir einen Vorschlag, ganz ohne Hintergedanken: Lege dich aufs Bett, auf den Bauch und laß´ dich überraschen.“ Ob sie wohl schon so viel Vertrauen in mich hat, sich überraschen zu lassen? Zu Kims großem Erstaunen stand Kirsten langsam auf, grinste schon wieder vielsagend, wenn auch noch etwas zerknautscht, legte sich tatsächlich aufs Bett.
Einen Moment zögerte Kim, dann kniete sie sich neben das Bett und fing langsam an, Kirsten zu massieren. Als sie ihre Hände unter Kirstens Hemd schob, merkte sie ein kurzes Zucken, doch dann entspannte sich Kirsten wieder. Kim fühlte sich wie elektrisiert. Trotz des Alters ein muskulöser, fester Rücken. Weiche Haut. Das Darüberfahren mit ihren Fingern und Handflächen so angenehm. Erst durch die langsamen, gleichmäßigen Bewegungen kam auch sie selber allmählich zur Ruhe.

Kirstens Atemzüge wurden immer gleichmäßiger und tiefer. Ganz sanft glitt sie in den Schlaf. Kim beobachtete sie noch einen Augenblick, küßte sie leicht auf die Wange und stand auf. Was hätte alles sein können – und doch war es ein so unglaublich toller Abend gewesen. So nah, obwohl wir uns doch gar nicht gekannt haben. Leise zog sie Tür hinter sich zu.

Der Zeltabbau ging trotz der Dämmerung schnell und leise vonstatten. Als es gegen 2.00 Uhr morgens so weit war, daß die Sonne schon wieder hinter den Bergen zu ahnen war, schwang sich Kim auf ihr Fahrrad. Sie blickte noch einmal zu der Hütte, wo sie einen so wundervollen Abend hatte genießen können. Der nächste Strauß Gänseblümchen lag unglücklich auf der obersten Treppenstufe. Kim seufzte noch einmal tief, stieg auf ihr Rad und setzte sich in Bewegung. Kirsten, ich wünsche dir alles Gute in deiner Traumhütte in Norwegen!





copyright © by muk30. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


wow
sehr schön geschrieben,super!
BlueRose87 - 27.02.2008 23:58
Sommer
Chiron - 10.01.2003 01:25

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