von brasi_89
Ich sitze auf meiner Couch und weiß nicht so recht mit mir anzufangen. Tanja sprach kein Wort mehr mit mir seit dem besagten Abend. Ich hatte versucht sie darauf anzusprechen, aber sie gab vor etwas erledigen zu müssen und war dann auch schon weg. Oder was ich eigentlich schlimmer finde als die Wegrenn- Geschichte ist, wenn sie demonstrativ kein Interesse zeigte mit mir zu reden. Sie winkte ab, drehte sich von mir weg und war einfach nur still. So etwas finde ich nicht richtig. Mir war die Sache wichtig geworden und wollte es mit ihr besprechen. Ich wusste nicht mal, ob sie eine feste Freundin zur Zeit hatte und durch den Kuss in Verlegenheit geraten ist, aber da sie nicht mehr mit mir redet, werde ich das so schnell nicht heraus finden.
Es ist mir wirklich unbegreiflich wie sie sich so verhalten konnte. Ich verstehe es einfach nicht. Ich sollte wirklich zum Psycho- Doktor gehen und ihn dieses Mal fragen, warum Tanja mich nicht mehr beachtete. Auf diese Frage hätte Mr. Psycho auch keine Antwort und Geld für sinnloses Gerede auszugeben, sehe ich nicht ein, obwohl mich sein Fach sehr interessiert. Das Phänomen des Gehirns oder des Verstandes finde ich unglaublich. Der Mensch wird schon von klein auf erzogen und gebildet. Die äußeren Einflüsse der Welt bilden zuerst eine Person, die sich im Laufe der Zeit selbst bildet und eigenes Denken entwickelt. Allein das Aufwachsen in einer Familie ist sehr wichtig für ein Kind. Dort verbringt es die wichtigste Zeit seines Lebens. Wenn man diese Zeit nicht erkennt und vernachlässigt, ich rede von der Elternposition, wird das Kind nicht viel davon haben und sich nicht richtig entwickeln können. Die Psyche ist der Verstand des Menschen von dem soviel abhängt. Im Kindesalter vermitteln die Eltern ihren Kindern was richtig ist und was falsch. Sie lernen (daraus) und entwickeln ein Gespür für richtig oder falsch. Später in der Zeit der Pubertät, die Zeit in der man sich häufig mit den Eltern streitet, wird man als junger Erwachsener gefordert, das Richtige zu tun und zu zeigen, was man für richtig hält. Die Jugendlichen sammeln Erfahrungen in vielen Dingen, egal ob beim Musikgeschmack, den neuen Klamotten oder dem ersten Liebeskummer. Je älter man wird, desto mehr bekommt man zu Gesicht. Man darf dann schon alleine mit Freunden in die Stadt gehen und auch bis um 22 Uhr weg bleiben. Die Erfahrungen und somit Einflüsse sind für das spätere Leben genauso wichtig wie die Anfangsjahre der Erziehung. Man streitet sich mit Eltern über die Ausgeh- Zeit und fühlt sich wie so oft ungerecht behandelt, weil man nicht mehr die Meinung der Eltern vertritt. Es gibt dann häufige Diskussionen über die tatsächliche Reife oder dem richtigen Umgang mit der Außenwelt. Eltern geben ganz deutlich zu erkennen, was sie von der ganzen Entwicklung ihres Kindes halten und nutzen somit ihre Macht als Eltern aus. Ich finde es in Ordnung seinem Kind nicht gleich von Anfang an zu viel Freiraum zu lassen, denn oft verschlechtert es meist die Beziehungen und beide Seiten distanzieren sich. Was machen Eltern aber, wenn ihr Kind auf die schiefe Bahn gerät? Eine Sache, die nicht leicht zu bewerkstelligen ist und ich mir auch gar nicht ausdenken möchte. Man macht als Mensch Fehler, die Einen mehr, die Anderen weniger. Fehler tragen ebenso zur Persönlichkeit bei, wie die richtige Erziehung. Jeder kennt das Gefühl des Mies- fühlens aus welchem Grund auch immer. Ein bekanntes Sprichwort besagt: Aus Fehlern lernt man! Man weiß meistens erst danach, dass es ein Fehler war und versucht es beim nächsten Mal besser zu machen.
Ich war noch bis vor drei Jahren sehr sportlich und habe meinen Sport sehr geliebt. Sport war für mich immer ein Ausgleich für all das Andere in meinem Leben. Ich war sehr ausgeglichen und eine ruhige Person. Mir hat der Sport alles bedeutet, denn es machte so viel Spaß. Ich konnte es und freute mich jedes Wochenende auf das bevorstehende Spiel. Es war Adrenalin pur. Egal, welchen Sport man macht, es hilft einem durch das Leben und ganz besonders Stress abzubauen. Es war aber dennoch anstrengend 2- 3 mal die Woche ins Training zu gehen und zu trainieren. Es gab Zeiten, in denen es viel Spaß machte zu trainieren und dann auch mal nicht. Es ist sehr unterschiedlich gewesen, je nachdem ob wir Erfolg hatten oder ein Spiel nach dem Anderen verloren. In Mannschaftssportarten lernt man als Team zu gewinnen und zu verlieren. Für mich war der Mannschaftssport genau das Richtige, denn es gab Halt, Kraft und Stärke. Ich war keine Einzelkämpferin und immer froh mit der Mannschaft unterwegs zu sein. In Mannschaften streitet man genauso oft, wie in anderen Gruppen. Man war wütend auf den Trainer und die neue Spielweise, die er plötzlich entwickelte. Man durfte nicht auf der Position spielen, auf der man spielen wollte usw. Es gab immer Stacheleien und sogar Eifersüchteleien zwischen den Spielern, aber das gehört dazu. Man streitet und versöhnt sich wieder. Einzelsportarten fordern eine Person viel mehr als in einer Mannschaft. Man hat nur sich selber und muss viel Selbstbewusstsein und Ehrgeiz aufbauen, um dem ganzen Druck stand zuhalten. Ich habe Erfahrungen damit gesammelt, dass Einzelgänger in einer Mannschaft gespielt haben und offensichtlich nicht gemerkt haben, dass man als Mannschaft kämpft. In einer Mannschaft spielt es keine Rolle der Beste zu sein, solange man nicht als Teamplayer auftritt. Solche Leute muss man erst darauf aufmerksam machen, dass Teamarbeit gefragt ist. Die Meisten akzeptierten dies und besserten sich, Andere sind beleidigt abgedampft und haben sich in andere Mannschaften eingefügt, in der Hoffnung, man würde dort ihr Können mehr schätzen als wir das taten. Es ist schade, dass sie nicht damit klar kamen nicht der einzige Star in der Mannschaft gewesen zu sein, egal wie gut sie waren. Sicher hätte man gerne eine Mannschaft aus nur guten Spielern, aber das macht die Mannschaft nicht aus. Man muss zusammen halten und sich gegenseitig respektieren. Es wäre so leicht gewesen eine gute Mannschaft zusammen zu bekommen, wenn man nicht immer versucht hätte auf eigene Faust ein Spiel zu gewinnen, sondern die Mitspieler mit ein zu beziehen. Sobald man seinen Ehrgeiz auf die anderen übertrug, hätte man einen so großen Zusammenhalt in der Mannschaft, dass die Gegner vor Neid erblassen. Wenn aber dieser Jemand seinen Ruhm für sich haben wollte, kann man ihn in einer Mannschaft nicht gebrauchen. In solchen Fällen wäre der Einzelsport die bessere Wahl gewesen. Für mich kam der Einzelsport nie in Frage, denn so stark war oder bin ich nicht, um mich selbst an zu feuern. Selbst wenn die Familie einen sehr unterstützt und das tat meine Familie immer, wollte ich nie alleine verlieren. Ich will über Einzelsportarten nicht urteilen, denn dies steht mir nicht zu und es fehlt mir an Erfahrung. Ich kann nur für mich sprechen und meine Erfahrungen in einer Mannschaft weiter geben. Mein Vater wirft mir immer noch vor, dass es ein Fehler war aufzuhören und nichts sportliches mehr zumachen. Ich gebe ihm da recht, denn Sport ist wichtig und ich merke ganz stark, dass es mir fehlt. Nicht nur meine körperliche Fähigkeiten geben nach, sondern auch psychisch ist man anfälliger. Ich bin nicht mehr ausgeglichen und ruhig, sondern temperamentvoller und ungeduldiger. Der Stress häuft sicher innerlich immer mehr auf und kann durch Sport nicht mehr aus geschwitzt oder abgebaut werden. Damit muss man lernen umzugehen und eine Lösung finden, wie man den Stress ausgleicht und verringert. Ich habe mich aber damals so entschieden und wusste schon, dass es anders werden würde, aber mein Leben geht weiter und irgendwann werde ich einen Ersatz finden.
Durch meinen Vater bin ich erst sportlich geworden, denn die Begabung für Ballsportarten habe ich von ihm geerbt, worüber ich mich sehr glücklich schätzen kann. Es hat mir sehr geholfen schon früh damit anzufangen, aber der eigentliche Dank gebührt meinem Vater, der mich in allem unterstützt hat und den ich kostenlos als Taxi zur Verfügung hatte. Sein Ansporn war auch meiner und irgendwann hat sich meine Mutter mitreißen lassen, zwar nicht mit so viel Begeisterung wie mein Vater, aber ihre Anteilnahme war mir genauso wichtig, wie die meines Vaters. Man könnte meinen ich wäre ein Einzelkind und hatte die Aufmerksamkeit meiner Eltern in jeder Angelegenheit. Das stimmt zwar, aber ich musste die Aufmerksamkeit mit noch zwei Geschwistern teilen. Meine Eltern sind schon fast zu schön, um wahr zu sein. Meine Geschwister haben auch Sport getrieben und wurden genauso unterstützt wie ich. Mein Bruder wagte sich in die Leichtathletik und es war eine gute Entscheidung, denn er hatte die perfekten Maße dafür und wäre in einer Mannschaft untergegangen, obwohl es auch in der Leichtathletik Mannschaftskämpfe gab. Es war spannend ihm beim Laufen zuzusehen, egal ob bei Erfolg oder Misserfolg. Auf Dauer wurde mir das aber zu langweilig und meine Eltern mussten ihn alleine anfeuern. Er hat viel gewonnen von Medaillen bis hin zu Pokalen. So viel, dass er es irgendwo verstauen musste, da kein Platz mehr war. Er besitzte die Fähigkeit über jeden Erfolg zu jubeln, auch wenn es ein sinnloser Wettkampf gewesen war. Ich fand es sehr beeindruckend, dass sich mein großer Bruder über alles freuen konnte und übernahm diese Fähigkeit von ihm. Seine Karriere ging zu Ende als er sich am Knöchel verletzte und der Arzt ihm riet sich zur Ruhe zusetzen, was den Sport anging. Er war damals gerade mal 17 und am Boden zerstört. Es war so plötzlich und unerwartet. Mein Bruder hatte seine Leidenschaft aufgeben müssen wegen einer Verletzung, die ihm alles kaputt machte, was er sich aufbaute. Man rechnete mit dem Schlimmsten. Ich wäre an seiner Stelle Amok gelaufen oder wäre depressiv geworden. Aber Christian blieb stark und war hart im nehmen. Anstatt irgendwie seine Wut raus zulassen, stürzte er sich ins lernen. Das wäre bei mir unmöglich gewesen, denn das hätte mich noch depressiver gemacht. Er steigerte sich gewaltig und machte sein Abitur. Seit 6 Monaten ist er in Frankreich und studiert dort Maschinenbau. Ich vermisse ihn, denn er gab mir immer Kraft und war so etwas wie mein bester Freund. Er kommt ja hoffentlich zurück und auf mich alleine gestellt zu sein, stärkt einen doch, oder?
Außerdem habe ich noch meine kleine Schwester, die genauso viel Zuneigung braucht wie ich. Meine Mutter kümmert sich viel um sie, da sie als Einzige noch zu Hause wohnt und als Nesthäckchen ein bisschen vernachlässigt wurde. Sie ist undefinierbar. Einerseits eine süße kleine Schwester, aber dann wieder so böse, dass man sie nicht mehr wieder erkennt. Die Pubertät macht sich eben bemerkbar und da sie sportlich nicht so unterwegs war, wie Christian und ich, hat sie die Aufmerksamkeit nicht sehr auf sich ziehen können. Als sie ein Baby und dann ein Kleinkind war, konnte sie sich sehr gut bemerkbar machen, aber dann kam eines nach dem anderen und sie verlor an Aufmerksamkeit. Es tut mir schon Leid, dass ich sie vernachlässigt habe, aber ich versuche es nachzuholen. Meine Mutter ruft mich immer verzweifelt an und meint ich solle doch was mit der kleinen Jessica unternehmen, die laut meiner Mutter seltsame Freunde hatte. Meine Mutter war noch nie mit Freunden von uns einverstanden gewesen, was mich jetzt weniger beunruhigte als die Tatsache, dass es schon etwas her war, dass ich etwas mit meiner Schwester unternahm.
Ich hatte mich gerade aufgerafft von der Couch aufzustehen und meine Schwester anzurufen, als es plötzlich an der Tür klingelte. Ich wohnte in einem Altbau, der nicht modernisiert worden war, sodass ich abwarten musste, wer sich in meinen vierten Stock hoch wagte. Es überraschte mich, denn ich erwartete niemanden und als ich aus dem Fenster blickte war auch kein Postwagen vor dem Wohnblock gestanden. Da es dauerte bis es jemand hinauf schaffte, war ich gerade dabei die Tür zu schließen als jemand schrie: „ Nein, stopp warte. Dein Bruder ist nicht mehr so fit, wie er mal war!“ Als ich diese Worte hörte, riss ich die Tür wieder auf und Christian stand vor der Tür. Ich konnte gar nichts sagen vor Überraschung, so dass er mich mit den Worten „Na, überrascht?“ umarmte und mich in meine Wohnung trug, denn die Überraschung war mir ins Gesicht geschrieben. Er setzte mich ab und schloss die Tür. Ich stand noch ein paar Sekunden reglos da, während Christian sich in meiner Wohnung umsah und seine mitgebrachten Rosen in eine Vase stellte. Rosen? Wieso brachte mir mein Bruder Rosen mit? Ich mag Rosen, ganz besonders die Dunkelroten. Er wollte anscheinend was von mir, denn sonst würde er keine Blumen mitbringen und erst recht nicht meine Lieblingsblumen. „Hättest du nicht vorher anrufen können, dann hätte ich dich vom Bahnhof abgeholt und vorher hier aufgeräumt.“ „Dann wäre es aber keine Überraschung mehr geworden und ich wollte keine Hektik verbreiten.“ Ich war von zu Hause ausgezogen kurz nachdem er nach Frankreich ging. Er schaute sich lange um, obwohl es nur eine 2- Zimmer-Wohnung war und es nicht viel zu sehen gab. Sie schien ihm zu gefallen, denn er machte es sich gleich bequem und fing sofort an zu erzählen. Er erzählte von seinem Studium, von Paris, seinen Bekanntschaften und einer gewissen Person namens Isabelle.
„Wer ist bitte Isabelle?“, fragte ich ihn, denn mein Bruder war auf keinen Fall ein Mann für nur eine Frau. Mein Bruder war schon immer ein Aufreißer gewesen und das hatte ich in Frankreich nicht anders erwartet. Es war für mich unvorstellbar, dass er sich in eine Frau verliebte oder eine Beziehung wollte. Irgendwann erwischt es einen doch wie es scheint. Er erzählte von ihr als würde er an nichts anderes mehr denken können und war ihr völlig hilflos verfangen. „Du bist echt verändert. Wie kommt es, dass du dich verliebst? Warum hast du sie denn nicht mitgebracht? Die würde ich gerne kennen lernen, so wie sie dich angerichtet hat.“ Er errötete etwas, erzählte aber dann weiter. Er hatte gerade Semesterferien und wollte nach Hause fahren, da es ihm in Paris nicht so gut ging wie erhofft. Maschinenbau hatte ihn schon immer interessierte, aber es war anstrengender als erwartet. „Ich muss so viel lernen und dann noch auf Französisch. Das halte ich nicht mehr aus. Langsam gehe ich dort ein. Ich weiß nicht, ob ich weiter machen soll.“ Er sah wirklich müde und erschöpft aus. Es wunderte mich nicht, dass er nicht mit dem Lernen nach kam, denn das war vorherzusehen und zwei Semester im Ausland ist kein Kinderspiel. Für Erfahrungen bestimmt gut, aber es kann auch in die Hose gehen. „Weißt du, es ist sicher schwer und viel zu lernen, aber einfach so aufgeben? Das machst du nicht und was macht dann Isabelle ohne dich?“ Er errötete schon wieder, aber wollte das Thema Studium nicht mehr hören.
Ich erzählte dann ein bisschen von mir und von der Geschichte mit Tanja. „Du hast eine Frau geküsst? Wow, du übertriffst dich immer.“ Was er damit meinte, war mir nicht klar, dennoch versuchte er sich in meine Lage zu versetzen und verstand, warum ich enttäuscht von ihr war. „Du als Aufreißer verstehst wie es mir geht? Das ist wohl ein Witz?“ „Wieso? Wenn mich Isabelle links liegen lassen würde, würde ich auch verzweifeln.“ Mein Bruder war ein ganz neuer Mensch geworden und es gefiel mir. So mitfühlend hatte ich ihn nie erlebt und freute mich umso mehr ihn vor mir zu haben. „Diese Tanja sieht bestimmt gut aus, oder? Guten Geschmack hattest du ja schon immer.“ „ Ich weiß nicht, naja vielleicht sieht sie gut aus. Kann schon sein. Ich bin aber nicht verliebt, wenn du das meinst. Ich weiß noch nicht mal, ob ich jetzt lesbisch, hetero oder bi bin. Es ist zu kompliziert für mich. Ich mag komplizierte Sachen nicht.“ Ich schmollte vor mich hin und dachte an Tanja. War ich lesbisch? „Bitte sag niemandem etwas, auch nicht deiner Herz aller liebst und außerdem will ich erst wissen, was mit mir los ist, bevor ich irgendwem anderes davon erzähle.“ Er gab mir sein Wort, was mich beruhigte. Er sah so entspannt aus und stellte keinerlei Fragen mehr zu Tanja und mir. Ich hatte mit entsetzen gerechnet, denn homosexuell zu sein, war nicht gerade beliebt. Es freute mich, dass er sich darüber nicht lustig machte oder mir es ausreden wollte. Er war ja selbst in Gedanken bei seiner Isabelle, dass er es vielleicht noch nicht wirklich realisierte. Es erleichterte mich, dass er es locker aufnahm und kein Problem damit hatte.
Hinter ihm erblickte ich die Rosen, die er mir mitbrachte und sprach ihn auch gleich darauf an. „Du bist meine Schwester. Ich werde dir doch wohl noch Rosen mitbringen dürfen.“ Mein Bruder konnte nicht gut blöffen, was mir leichter fiel heraus zu finden, ob er schwindelte. Ich schaut ihn skeptisch an und er gab es zu. „Morgen ist ja Sonntag und wir müssen doch Sonntags immer gemeinsam essen, also daheim. Kannst du alleine hingehen? Ich will noch nicht nach Hause und mir Vorwürfe machen lassen. Sag ihnen auch erst gar nicht, dass ich da bin und... kann ich vielleicht ein paar Tage bei dir wohnen?“ Ich bemerkte, dass er längere Haare als beim Abschied nach Paris hatte. Es gefiel mir, denn er wirkte älter und reifer. Ich wusste, dass ich ihm einen Gefallen tun musste und gab in der Regel viel zu schnell nach. Aber er war mein Bruder und diese schönen Rosen, wie konnte ich ihm seinen Wunsch abschlagen? „Du weißt, dass ich mich in Teufelsküche begebe, wenn ich dich hier geheim unterbringe, oder? Wenn es jemand von zu Hause mitbekommt, sind wir beide dran. Wohnen kannst du schon hier, aber bitte ruf sie nächste Woche mal an, um zu sagen, dass du wenigstens auf dem Weg hierher bist, ok?“ Er nickte nur und gab mir zu erkennen, dass er sich freute bei mir bleiben zu können.
„So wo das geklärt ist, würde ich gerne wissen was du mit deiner Tanja vorhast.“ Es interessierte ihn offenbar und endlich konnte ich mich mit jemanden darüber unterhalten. „Also, wenn sie dich nicht mehr beachtet, weil sie der Meinung war der Kuss war ein Fehler, dann verstehe ich nicht, warum sie es erst so weit hat kommen lassen. Wenn sie mit dir nur eine Nummer schieben wollte, dann wäre sie nicht plötzlich abgehauen. Meiner Meinung nach will sie womöglich mehr und hat Angst, dass eure Freundschaft in Brüche geht, wenn ihr euch darauf einlasst. Du hast ja bereits versucht mit ihr zu reden, oder? Dann würde ich weiterhin nichts mehr tun und abwarten. Ich weiß, dass tut weh und ist sehr nervig und anstrengend, aber wenn sie was für dich empfindet, wird sie es nicht mehr lange aushalten und sie kommt auf Knien gekrochen und fleht um Verzeihung.“ „Also, du hast zu viel Phantasie mein Lieber. Ich bin ja nicht verliebt, also schlage ich sie mir mal aus dem Kopf und versuche an was anderes zu denken.“ Er wusste, dass es ein Stichwort war mit dem Thema aufzuhören und respektierte es. Ich machte ihm die Couch schlaftauglich und wir gingen beide müde und erschöpft schlafen.
Den Sonntag bei meinen Eltern hatte ich überstanden und geschafft Christian in keinsterweise zu erwähnen. Irgendwie fand ich es schade, dass er sie nicht sofort sehen wollte, denn sie würden sich genauso freuen, wie ich mich freute, aber anderseits würde mein Vater ihm sicher eine Moralpredigt halten wollen wegen seinem mangelndem Engagement und dass nichts im Leben leicht zu bewerkstelligen sei. Christian wird schon wissen, was er will und was richtig für ihn ist. Ich brachte Jessica dazu mit mir ins Kino zu gehen. Ich lies ihr die Wahl des Filmes und des Tages. Hoffentlich liefen nicht nur Horror- Filme, denn das würde ich auf keinen Fall ertragen. Jessica liebt Horror, je mehr Blut und Gewalt zu sehen war, desto besser. Mir läuft es kalt den Rücken runter, wenn ich daran denke. Jetzt hatte ich ihr meine Einladung schon angeboten, also musste ich es ertragen. Vielleicht ist sie ja gnädig und sucht sich einen halbwegs interessanten Film aus. Sie ist schon eine wirklich interessante Persönlichkeit. Meistens verstand ich mich gut mit ihr, aber manchmal hatte sie so Tage an denen sie vorlaut, frech und oberflächlich war. An diesen Tagen ist es besser einen großen Bogen um sie zu machen, um sich nicht unnötig aufzuregen. Ich war ja gespannt, wann sie sich meldete und freute mich bereits auf diesen Kinoabend.
Als ich in die Arbeit ging hinter lies ich Christian eine Nachricht, damit er sich nicht wunderte, warum er plötzlich alleine in der Wohnung war. Er kann nämlich sehr durcheinander kommen, wenn etwas nicht nach seinen Plänen geschah. Ich machte mir aber keine Sorgen, denn er kam auch ganz gut allein zurecht. Auf dem Weg zur Arbeit kam es mir vor als würde ich nur Pärchen begegnen. Ein Paar da, das nächste Paar dort und so ging es den ganzen weiten Weg. Es waren zwar gerade mal zehn Minuten zu Fuß, aber er war eindeutig unangenehmer als sonst. Das ich mit meinem Bruder über Herzensangelegenheiten sprach, war sehr seltsam, aber es machte mich neugierig auf seine neue französische Freundin. Wenn er sie wirklich liebte, müsste er fast wieder nach Paris zurück gehen und sich dort ein Leben aufbauen oder sie lebt bei ihm hier in Deutschland. Sie kann unmöglich alles aufgeben, nur um ihrem Herzen zu folgen. Christian traue ich so etwas zu. Das wäre für ihn ein Abenteuer und da Liebe sowieso Neuland für ihn ist, wird er es ohne sie nicht aushalten. Ich sehe es schon kommen, dass mein Bruder sich in Frankreich nieder lässt in der Hoffnung für immer mit seiner großen Liebe zusammen zu sein. Ich wünsche es ihm von ganzem Herzen, denn Liebe ist schön und hat jeder verdient. Leider konnte ich nicht glücklich in der Welt herum spazieren und verkünden, wie verliebt ich war, denn jedes Liebespaar, das ich sah, würde ich am liebsten auseinander reißen. War ich eifersüchtig auf deren Liebe? Habe ich es nicht auch verdient verliebt zu sein? Habe ich mich in Tanja verliebt? Fragen über Fragen beschäftigten mich heute morgen und ich wusste nicht wohin damit. Im Revier angekommen, begebe ich mich sofort in mein Büro und erledige den typischen Papierkram. Dann kam auch schon meine nette Kollegin. Sie macht die Tür auf und sieht mich an. Ich schaue erst weg, um stark zu wirken, da ich aber merkte, dass es mir nicht gelang, erwiderte ich ihren Blick. Sie sagte aber nichts und ich schaute wieder weg und drehte mich um. Tanja kam in der zwischen Zeit in mein Büro und schloss die Tür. Ich war aufgeregt. Was wollte sie denn bloß von mir? Wollte sie sich entschuldigen oder vielleicht reden? „Vanessa, ich...“ Ich drehte mich nicht um, sondern wollte ihr nur zuhören. „ Hör zu, ich habe mich falsch verhalten. Ich wollte dir aus dem Weg gehen und nicht mit dir reden, bevor ich nicht weiß, was dieser Abend zu bedeuten hatte. Ich muss zugeben, dass es dumm war zu glauben, alleine würde man eine Lösung finden. Ich weiß nicht, was dieser Abend zu bedeuten hat und weiß auch nicht, wie es mit uns weiter geht, aber ich möchte mich für mein unmögliches Verhalten entschuldigen und dir sagen, dass es mir Leid tut. Ich mag dich, sehr sogar, aber ich wusste nicht, wie ich mit dir umgehen sollte, da du ja eigentlich auf Männer stehst und mich dieser Abend aus der Bahn warf. Es tut mir Leid. Ich würde es verstehen, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest und Partner wechselst, aber ich wollte dies noch loswerden, bevor es zu spät sein könnte.“ Mir war klar, dass sie auf eine Reaktion wartete und die Stille schlimmer empfand als einen womöglichen Wutausbruch. „ Tanja, ich bin sehr überrascht jetzt plötzlich von dir eine Erklärung zu hören.“ Ich drehte mich um und sah ihr in die Augen. Ihr Anblick lies mich innerlich beben vor Aufregung, fast so wie das Gefühl vor der Klasse ein Referat halten zu müssen. Wie konnte dies sein? <Vanessa, du musst hart bleiben und nicht gleich Erleichterung zeigen. Lass sie zappeln, wie sie dich hat zappeln lassen.> „Du hast mich so sehr enttäuscht Tanja. Du ranntest weg als wäre ein Feuer ausgebrochen und hast mich einfach so stehen lassen. Glaubst du, dass es ein schönes Gefühl war? Die Versuche mit dir ein Gespräch zu führen scheiterten ja, aber wieso nur? Ich bin dir doch entgegen gekommen. Ich verstehe nicht, warum du es verweigert hast. Ich kam mir richtig blöd und hilflos vor. Mir kam es genauso komisch vor, wie dir, aber ich wollte kein Drama daraus machen, sondern eine Geschichte. Glaubst du, ich nehme es einfach so hin, dass du dich kurzerhand entschuldigst? Ich habe mich mies gefühlt, wirklich mies Tanja. Mir gingen Gedanken durch den Kopf, die ich in diesem Ausmaß noch nicht kannte. Für mich ist es weniger einfach als für dich. Ich habe eine Frau geküsst.“ Wie konnte das passieren? Wieso fühlte ich mich jetzt schlimmer als vorher? Warf ich ihr gerade vor, dass sie kein Mann war? Tanja blickte beschämt auf den Boden, um den Augenkontakt mit mir zu meiden. „Ich fand den Abend sehr schön und wollte nicht, dass er so verwirrt endet. Ich weiß doch auch nicht weiter.“ Sie sah mich an und ging auf mich zu. „Deine Augenfarbe ist eine Mischung aus Braun und Grün. Blau passt nicht hinein, denn das würde bedeuten, dass du nicht sehr nachdenklich wärst und leichtfertig durch das Leben gingst. Ich bin froh, dass du dir darüber Gedanken machst und es nicht einfach abhackst.“ Ich war gefangen und konnte nicht fliehen. Sie küsste und berührte mich ganz sanft. Ich war wie in Trance. Wie konnte ich mich so hilflos und geborgen zugleich fühlen? Ich löste mich von ihren Lippen und begann hin und her zugehen. „Nein, Tanja so läuft das nicht. Das geht nicht. Ich weiß gar nichts mehr, wieso distanzierst du dich und küsst mich jetzt? Denkst du, dies macht alles wieder gut? So läuft das nicht. Ich muss hier weg!“ Total durcheinander und verstört, lies ich Tanja in meinem Büro zurück und nahm mir den Rest des Tages frei.
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brasi_89. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.