von bloodyheart
„Oh nein, jetzt fängt es schon wieder an zu regnen!“, jammerten Emilie und Mary. Schnell stellten sie sich unter das kleine Dach an der Mauer, dass sie selbst gebaut hatten. „Das geht jetzt schon ein paar Tage so und das beinahe überall in Belgien. Wenn sich nicht bald etwas ändert, wird wohl nichts aus unserem Lager“, sagte Emilie seufzend während sie sich trockenrieb. „Wird schon schief gehen“, meinte Mary grinsend.
Es war eine ziemlich verregnete Woche gewesen, doch das hielt die beiden Freundinnen nicht davon ab, sich – wie fast jeden Tag – auf ihren Lieblingsplatz vor dem Haus der Groths, Emilies Familie, zu setzen. Sie gaben Kommentare zu den Passanten ab und amüsierten sich jeden Tag aufs Neue, obwohl es eigentlich immer das Gleiche war. Ihre Eltern hatten sich schon oft gewundert, dass sich ihre Töchter immer etwas zu erzählen hatten, obwohl sie sich so oft in der Woche sahen und das schon viele Jahre lang. Die beiden gingen einfach durch Dick und Dünn.
So saßen sie auch heute wieder auf der Mauer und warteten darauf, dass Sven Bergs, einer aus den höheren Klassen ihrer Schule, vorbeikam. Es war alles Routine geworden. Sie wussten genau, wann er ungefähr seinen Heimweg antrat und schon eine halbe Stunde davor warteten sie auf ihn. Sie hatten noch nie wirklich mit ihm gesprochen, sich nur gegenseitig gegrüßt, doch das sollte sich bald ändern.
Pünktlich um fünf Uhr schlenderte Sven wieder einmal die Straße hoch und die beiden wurden immer aufgeregter, je näher er auf sie zukam. Als er vor den beiden stand, drehte er sich plötzlich zu ihnen um und grüßte sie. Mary konnte ihr Glück kaum fassen. Sie mochte ihn schon eine ganze Weile und wünschte sich nichts sehnlicher als mit ihm zusammen sein zu können. Emilie fand ihn zwar auch toll, war aber nicht so verrückt nach ihm wie ihre Freundin. Sie dachte, es würde sowieso nur zu Problemen kommen und war froh darüber.
„Hallo ihr beiden!“
„Hi“, brachte Mary durch geschlossene Lippen hervor. Sie war noch immer etwas neben sich.
Emilie musste lächeln über das rote Gesicht ihrer Freundin und begrüßte Sven ebenfalls.
„Wie geht es euch? Ist euch denn nicht kalt, wenn ihr bei solch einem Wetter hier draußen sitzt?“, fragte er mitfühlend. Da Mary noch immer außerstande war, etwas Vernünftiges zu sagen antwortete Emilie für sie mit.
„Uns geht es soweit ganz gut und keine Angst, wir werden auch hier ausharren, wenn es schneit. Was sollten wir ansonsten machen? Außerdem... meinst du, dass wir es einen Tag ohne dich aushalten könnten?“, fragte Emilie und fing laut an zu lachen. Sven stimmte mit in das Lachen ein, nur Mary war es etwas peinlich.
„Na, das ist doch schon mal etwas, aber passt wirklich auf, es ist schnell etwas passiert. War schön mit euch zu reden, aber nun muss ich leider wieder los. Bis nächste Woche!“ Sven drehte sich um und ging weiter Richtung Stadtpark. Langsam kam Marys Stimme wieder.„Er ist wirklich toll. Aber ich habe sowieso keine Chancen bei ihm“, stellte Mary traurig fest.„Sag so etwas doch nicht, wieso solltest du denn keine Chancen haben? Hast du denn nicht gesehen, wie er dich angeschaut hat?“
„Danke, dass du mich aufbauen willst, aber er hat wohl eher dich angeschaut als mich. Ich war rot wie eine Tomate. Ich habe das Glühen förmlich gespürt. Der hat bestimmt gedacht ‚Was ist das denn für eine?’ oder so.“ Mary seufzte und Emilie legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm.
„Das werden wir ja sehen. Aber sag mal, weißt du, was er mit ‚Bis nächste Woche!’ gemeint hat?“
„Ich denke, er weiß nicht, dass wir auf Lager fahren. Wer sollte es ihm auch schon gesagt haben?!“
„Du hast Recht. Komm, lass uns reingehen, unsere Serien fangen bald an“, schlug Emilie vor und sprang mit einem Satz auf den Bürgersteig. Mary folgte ihr und so schauten sie ihre Serien, bis Mary abends wieder zu sich nach Hause gehen musste.
Das Wochenende verlief ziemlich unspektakulär. Die Stevens, Marys Familie, und die Groths gingen gemeinsam ins Kino und schauten sich den neuesten Film an: „Bruce Allmächtig“.
Beide Familien lachten so laut durch das ganze Kino, dass so mancher sich zu ihnen umdrehte. Sie gingen noch ein Eis essen und verbrachten den Abend damit, verschiedene Gesellschaftsspiele auszuprobieren. Der Sonntag war immer der langweiligste Tag für Emilie und Mary. Das war der Familientag und meistens blieben sie an diesem Tag zu Hause und machten etwas ziemlich Belangloses wie lesen, Karten spielen oder fern sehen. Emilie ging an diesem Tag immer besonders früh ins Bett, damit sie dieser „Qual“ so früh wie überhaupt möglich entrinnen konnte. Ihre Eltern störte das nicht, denn so hatten sie auch mal etwas Zeit für sich. In der Woche war das oft unmöglich, denn da war Emilie schließlich abends zu Hause und sie waren ziemlich geschafft von ihrer Arbeit. So blieb ihnen nur der Sonntag.
Am nächsten Morgen stand Emilie schon sehr früh auf, denn sie musste noch ihre Sachen packen. Einen Teil hatte sie gestern schon gepackt, doch einige Sachen waren noch nicht fertig, so dass sie extra früher aufstehen musste. Da sie aber vor Aufregung sowieso kaum geschlafen hatte, machte ihr das ziemlich wenig aus. Sie war noch nie auf solch einem Lager gewesen und hoffte sehr, dass es interessant würde. Sie hatte schon ein paar Mal mit Mary und anderen Freunden gezeltet, aber das konnte man schließlich nicht vergleichen.Sie beeilte sich, denn sie konnte es kaum erwarten und danach verfluchte sie sich dafür, denn sie war viel zu früh fertig und musste somit noch eine Stunde warten, bis sie zum Treffpunkt fuhren, was natürlich eine Qual war. Sie lief wie eine Furie durch das Haus und suchte in jeder Ecke, ob sie nicht noch etwas finden würde, was sie unbedingt mitnehmen müsse. Ihre Suche blieb so gut wie erfolglos, sie fand lediglich noch eine Taschenlampe, ein paar gute CDs und dann ging es auch schon los.
Emilie und Mary trafen sich mit ihren Eltern auf dem Schulparkplatz und fuhren von dort nach Moresnet, einem kleinen Dorf ganz in der Nähe. Sie konnten es kaum erwarten und gaben schon Ideen zum Besten, was sie denn dort machen würden oder was ihnen bevorstünde, doch sie sollten später herausfinden, dass sie niemals damit gerechnet hätten, was sich im Lager abspielen würde.
Sie kamen auf dem Platz an, der ihnen beschrieben worden war, holten ihre Sachen aus dem Auto, verabschiedeten sich von ihren Eltern und mussten dann einen kleinen Marsch zu ihrem Zeltplatz bestreiten. Ihre Taschen hatten sie auf einen Anhänger geladen, der auf einem anderen Weg zum Lager gelangt war.
Sie wurden alle Willkommen geheißen und dann in Gruppen aufgeteilt, die sich in ihre Zelte begaben, um ihre Matratzen und alles Nötige aufzubauen oder ein wenig aus- bzw. rumkramen zu können. Mary und Emilie hatten sich natürlich nebeneinander gelegt und sich schon einmal richtig breit gemacht, so dass die anderen etwas weiter weg lagen, aber sehr viel Platz dazwischen war auch nicht, denn dazu war das Zelt zu klein. Keine hatte das gestört und so konnten sie ohne Probleme so liegen bleiben. Was wollten sie mehr und somit freuten sie sich schon auf die folgenden zehn Tage. Sie waren sich sicher, dass sie tolle Tage erleben würden. Aber würden sie das wirklich? Niemand konnte es sagen, besonders nicht die beiden.
Als sie alles verstaut hatten, wurden sie aus ihren Zelten gerufen und daraufhin folgten Spiele zum Kennenlernen. Nicht alle Leiter waren dabei, denn die anderen, so wurde ihnen gesagt, bereiteten schon das Abendessen vor. Doch sie würden sie später noch alle kennen lernen, so versprach man ihnen. Sie amüsierten sich sehr gut und nach einer kurzen Zeit spiegelten sich schon die ersten Freundschaften aus der Runde heraus. Man konnte gut erkennen, wer gut zu wem passen würde und so fanden auch Mary und Emilie schnell einige Mädchen, die sie nett fanden und die zu ihren Freundinnen werden sollten im Laufe des Lagers.
Die Zeit verging wie im Flug und so wurde es schon acht Uhr. Als die Leiter das bemerkten, forderten sie alle auf, den Tisch zu decken. Einige murmelten etwas vor sich hin, aber die Leiter verkündigten direkt, dass dies nun mal dazu gehöre, genau wie das Aufräumen, Spülen, Kochen, usw.
Nachdem alles fertig gedeckt war, nahmen alle Platz und die Leiter, die sich um das Abendessen gekümmert hatten, kamen aus dem Kochzelt und verteilten das Essen. Plötzlich wurde Mary aufgeregt.
„Oh mein Gott! Ich weiß, was Sven mit ‚Bis nächste Woche’ meinte. Schau mal da rüber.“ Mary zeigte diskret auf die Leiter, unter denen sich auch Sven befand. Emilie war ganz erstaunt; damit hatte sie wirklich nicht gerechnet.
„Wow, das ist wirklich eine Überraschung. Aber umso besser, nun hast du ihn zehn Tage direkt um dich herum“, witzelte Emilie und knipste Mary ein Auge. Als sich beide wieder Sven zuwandten, bemerkte er nun auch sie beide und grinste bis über beide Ohren. Schnell drehten sie sich wieder um und Mary lief rot an.
„Na, das kann ja heiter werden“, bemerkte Mary leise. Emilie fand es ganz lustig und machte sich schon im Kopf eine Notiz, Mary und Sven zu verkuppeln. Kurz darauf wendeten sie sich dem Essen zu, doch den beiden ging eigentlich nur ein Thema durch den Kopf: Sven. Mary aß ziemlich wenig und konnte es sich einfach nicht verkneifen hier und da zu Sven rüberzuschauen, der sich mittlerweile ebenfalls an den Tisch gesetzt hatte. Die ersten paar Male passierte gar nichts, doch als sich Mary dann noch einmal zu ihm dreht schaute er sie ganz unverblümt an. Mary wurde knallrot und drehte sich schnell wieder zu ihrem Essen. Emilie hatte das ganze Schauspiel mitbekommen und musste lachen. Natürlich versuchte sie dies so diskret wie möglich, doch selbst wenn sie laut gelacht hätte, wäre es wahrscheinlich so gut wie niemandem aufgefallen.
„Was hab ich dir gesagt? So wie er dich anguckt muss da ja wohl was zwischen euch sein.“
„Jetzt hör aber auf. Er war bestimmt nur genervt, dass ich ihn andauernd so angestarrt habe. Mein Gott, muss ich gestarrt haben.“ Mary vergrub ihr Gesicht in beiden Händen. „Und wieso sieht er denn jetzt noch immer rüber?“ Emilie musste lachen, als sie Marys verdutztes Gesicht sah. Sie musste sich wirklich beherrschen, nicht schon wieder zu ihm zu schauen, deshalb aß sie einfach weiter und versuchte vergebens die Röte aus ihrem Gesicht weg zu bekommen.
Mary hatte Glück, denn schon bald wurden sie erlöst und sie konnten in ihre Zelte zurück, während eine Gruppe sich ans Spülen machte. Keiner von den beiden wusste, dass ihnen Sven hinterher schaute, als sie aufstanden und zu den Zelten gingen.
„Das war ja wohl die totale Blamage“, stöhnte Mary während sie sich auf ihre Luftmatratze fallen ließ.
„Kopf hoch, das wird schon klappen!“ Emilie war sich sicher, dass zwischen den beiden etwas war, auch wenn Mary das nicht glauben wollte.
„Ja ja, du und dein Optimismus. Du meinst immer, alles wird gut, ich versteh das einfach nicht.“
„Du wirst schon sehen“, antwortete Emilie ohne weiteres Interesse und kramte weiter in ihren Sachen. Mary wollte auch nicht mehr darüber reden und träumte lieber von Sven. So verging für die beiden die Zeit sehr schnell. Hier und da wurden sie etwas von ihren Zeltgenossinnen gefragt und manchmal entwickelte sich sogar kleine Gespräche, doch diese dauerten nie sehr lange und so konnten sie ihren vorigen Tätigkeiten wieder folgen. Als es elf Uhr war, riefen die Leiter alle aus ihren Zelten, um ans Lagerfeuer zu gehen. Mary war ganz erstaunt, dass die Zeit so schnell vorbei gegangen war, doch sie bereute keine einzige Minute, einfach nur dagelegen zu haben und von Sven zu träumen.
Sie gingen also alle zum Lagerfeuer und setzten sich dann kreuz und quer hin. Und doch konnte man schon kleine Gruppen erkennen, die sich gebildet hatten. Emilie und Mary setzten sich zu den Mädchen aus ihrem Zelt und schon bald kamen auch alle Leiter hinzu. Sven setzte sich genau gegenüber von den beiden zu den anderen Leitern. Er redete mit allen, die um ihn herum saßen und bemerkte die Blicke, die auf ihm lagen. Es war kein Geheimnis, dass mehrere Mädchen ihn wirklich toll fanden, doch er hatte nur eine einzige von ihnen im Auge. Er schaute zu ihnen hinüber und sein Blick blieb auf Mary haften. Diese fühlte sich ein wenig beobachtet und blickte direkt in Svens strahlendes Lächeln, als sie aufsah. Sie spürte die Röte förmlich in ihr Gesicht steigen, doch Sven schaute sie auch weiterhin an und sein Lächeln zog sich noch mehr in die Länge.
‚Mein Gott ist er hübsch!’, dachte Mary und auch sie fing an zu lächeln. Emilie guckte von einem zum anderen und fing an zu lachen. Mary drehte sich plötzlich zu ihr um, denn es wurde ihr etwas unangenehm und dass Emilie dann auch noch zu lachen anfing, war das Ende.
„Was soll denn das? Was hat dich auf einmal gestochen?“
„Na was wohl? Du hättest euch beide sehen sollen, wie ihr euch angeschaut habt. Also, wenn da nichts läuft, dann bin ich der Weihnachtsmann!“
„Also wirklich, jetzt hör doch mal auf. Selbst wenn da etwas ist, was lachst du denn andauernd? Das ist wirklich peinlich.“
„Glaubst du etwa, das, was wir gerade machen, würde er nicht mitbekommen? Das ist genauso peinlich.“
Plötzlich stockte Mary, denn sie realisierte erst jetzt, wie Recht Emilie doch hatte. Schon wieder wurde sie rot und verfluchte sich heimlich dafür. Damit sie nicht noch mehr anrichten konnte, legte sie sich mit dem Rücken auf den Boden und schaute in den Himmel. Auch Emilie ließ sich fallen.
„Keine Angst, das wird schon. Und wenn ich nachhelfen muss“, sagte sie beruhigend und zwinkerte Mary zu.
„Wehe dir. Wenn du auch nur ein Wort darüber verlierst, dann... dann...!“ Mary hob den Finger und schaute Emile warnend an.
„Schon gut, schon gut, wie du meinst.“ Emilie hob resignierend die Hände.
Keiner sagte mehr etwas und bemerkten nicht, wie Lars, einer der Leiter, eine Gitarre holte. Erst als die anderen das erste Lied anstimmten, bemerkten sie es und setzten sich wieder auf. Mary versuchte nicht zu Sven hinüberzuschauen und war verblüfft, als sie es ganze zehn Minuten schaffte. Der Abend ging ziemlich ereignislos zu Ende und gegen ein Uhr gingen alle schlafen. Alle waren guter Laune und jeder war schon gespannt auf morgen. Niemand wusste, was passieren würde. Besonders Emilie konnte sich dies nicht vorstellen. Bald sollte sie es erfahren.
Es war gerade mal acht Uhr, als die Mädchen und Jungen geweckt wurden. Noch ziemlich verschlafen machten sie sich auf zur Waschecke und versuchten durch das eiskalte Wasser wach zu werden. Einige stöhnten rum, doch ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich an das kalte Wasser zu gewöhnen. Emilie und Mary beeilten sich mit dem Waschen und zogen sich rasch um, damit sie schnell zum Esszelt kamen, um sich ihren gestrigen Platz zu sichern. Das Frühstück verlief relativ leise im Gegensatz zum Abendessen am vorigen Tag, denn sie waren alle noch ziemlich müde. Als sich alle wieder etwas stabilisiert hatten und alles weggespült war, machten sie sich auf und gingen in den Wald, um dort ein Spiel zu beginnen. Es ging darum, gewisse Stationen im Wald zu finden, an denen Leiter saßen und ihnen eine Aufgabe stellten. Es waren keine sehr schweren Aufgaben, doch oft war es etwas peinlich, denn bei einer Station mussten sie ein Lied erfinden und es dann auch vortragen. Emilie war das ziemlich peinlich und auch Mary war nicht sehr angetan davon, aber da sie eine gute Stimme hatte, brauchte sie sich keine großen Sorgen zu machen. Nach einer Weile kamen sie dann auch an Svens Station. Mary ging ziemlich langsam auf ihn zu, als sie ihn sah und kurzerhand nahm Emilie ihren Arm und schaute sie so an, dass Mary direkt wusste, dass Emilie sie nicht allein lassen würde. Mary freute sich über diese Geste und nahm es nun etwas leichter, so nah bei Sven zu sein. Sie war wirklich froh, dass sie nur schnell ein Rätsel lösen mussten und dann wieder gehen konnten. Als sie sich auf den Weg machten, drehte sie sich jedoch noch einmal um und schaute Sven an, der ihren Blick erwiderte.
„Was wärt ihr doch ein süßes Paar!“ Emilie konnte nicht anders als ihre Freundin ein wenig zu necken. Mary hatte sich aber schon daran gewöhnt und brachte nur noch ein lautes „Tzzzzeee“ heraus, bevor sie einen schnelleren Gang einlegte und Emilie hinter sich ließ.Ihre Gruppe wurde leider nur dritte, doch sie waren ganz zufrieden und dachten danach nicht mehr daran. Nur Mary konnte Svens Blick nicht vergessen und dieser ließ sie bis nach dem Mittagessen immer noch nicht los.
Während der Siesta, die die Leiter angeordnet hatten, verlief es eigentlich nicht so ruhig, wie es hätte sein sollen. Doch die Leiter waren es gewohnt und griffen nur dann ein, wenn zu laut geschrieen wurde. Emilie überlegte schon die ganze Zeit, weshalb Mary so leise war und beschloss, sie einfach darauf anzusprechen.
„Sag mal, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“
„Ach, nichts weiter. Ich überlege einfach nur.“
„Und dieses Überlegen hat nicht zufällig etwas mit Sven zu tun?“, hakte Emilie nach.„Kann schon sein.“ Mary hatte wirklich keine Lust, schon wieder alles erklären zu müssen.„Hmm ... na gut, wenn du nicht darüber reden möchtest, akzeptiere ich das, doch du weißt, wenn irgendetwas ist, ich bin immer für dich da. O.k.?“
„Vielen Dank.“ Mary war zu sehr in ihren Gedanken versunken, um Emilie richtig zuzuhören, doch sie wusste, was Emilie gerade gemeint hatte und sie war sehr froh darüber.
Emilie drehte sich wieder um und versuchte ein wenig zu schlafen. Doch als sie gerade ein wenig schläfrig wurde, kamen die Leiter und weckten sie. Sie wollte sich umdrehen und die Leiter beschimpfen, als sie sah, dass Mary sowie die Leiter schon weg waren. Sie stand direkt auf und ging zum Zelteingang, als sie Mary auch schon von der Toilette kommen sah.„Ich habe gar nicht bemerkt, dass du weggegangen bist.“
„Habe mich auch ziemlich leise weggeschlichen, die anderen waren aber auch zu laut, als dass du mich hättest hören können. Ich dachte, du hättest geschlafen.“
„Nein, leider nicht. Als ich gerade leicht eingeschlafen war, kamen diese verdammten Leiter!“
„Ja ja, so kann es gehen. Das Problem habe ich immer mit meiner Mutter. Mein Gott, kann die nerven.“
‚Kindchen, schläfst du etwa schon wieder? Treib doch mal was Sport, anstatt andauernd hier zu liegen und zu schlafen!’ Mary machte ihrer Mutter wirklich Konkurrenz, denn sie verstellte ihre Stimme und fuchtelte mit ihren Händen als wäre sie ihre eigene Mutter. Emilie konnte sich nicht mehr halten vor Lachen und fiel zurück auf ihre Luftmatratze. Nun fing auch Mary an zu lachen und keiner der beiden bemerkte, dass schon alle anderen aus dem Zelt fort waren.
„Darf ich bitten, meine Damen?“ 0lli war in ihr Zelt gekommen und wartete schon darauf, dass die beiden ihren Lachkrampf beenden würden, doch er kannte Emilie und Mary nicht.„Huch, seit wann stehst du denn da?“, fragte Emilie noch immer lachend.
„Lang genug, um zu wissen, dass ihr ein Rad abhabt!“, witzelte er.
„Na vielen Dank. Und mit dir sollen wir also mitkommen?“
„Die Frage ist wohl, ob ich euch mitnehme. Die Armen, die euch gleich ertragen müssen.“
„Na gut, überredet. Dann bleiben wir halt hier. Was meinst du, Mary?“ Mary nickte und musste wieder lachen.
„Los jetzt, raus mit euch, die anderen warten schon auf euch!“ Mit diesen Worten scheuchte er die beiden raus und da sahen sie auch schon die anderen, die wirklich schon auf sie warteten. Die beiden mussten noch immer lachen, auch wenn es ihnen etwas peinlich war.
‚Zum Glück ist Sven im Moment nicht in Sichtweite, sonst wäre wohl alles aus’, dachte Emilie und schaute zu Mary, die anscheinend das Gleiche gedacht hatte, denn diese schaute sich schon suchend nach Sven um, wie sie bemerkte.
„Also gut, hört ihr mir mal bitte alle zu?“, versuchte Olli, der „Oberleiter“, die Meute zu beruhigen, die schon heftige Diskussionen führte, was denn jetzt wohl gemacht würde. Dies schien zu wirken. Obwohl er nicht gerade der Attraktivste war, hatten doch fast alle ziemlichen Respekt vor ihm.
„Schön, vielen Dank. Ihr fragt euch bestimmt schon, was wir jetzt machen, oder?“
Ein lautes Ja war zu vernehmen und deshalb wollte Olli sie nicht länger auf die Folter spannen.
„Nun gut, diesen Nachmittag bieten wir verschiedene sportliche Aktivitäten an. Mehrere Nachmittage werden damit verbracht, damit ihr auch mal alles ausprobieren könnt und wir unsere Ruhe haben.“ Die Leiter mussten lachen, doch die anderen waren nicht so begeistert.
„Nein nein, das war nur ein Witz, beruhigt euch. Also, angeboten werden Frisbee, Fußball, Baseball, Volleyball und Wandern. Wenn ihr euch entschieden habt, dann stellt ihr euch für Frisbee hinter Sven, Fußball hinter Daniel, Baseball hinter Anne, Volleyball hinter Sandra und Wandern hinter Jörg. Haben das alle soweit verstanden?“
Als Antwort bekam er lediglich ein Raunen und alle stellten sich zu ihren Leitern. Mary und Emilie waren sich nicht ganz einig. Emilie wollte unbedingt Frisbee spielen, doch Mary war ganz und gar nicht davon angetan, da schließlich Sven der Gruppenleiter war. Sie wollte sich nicht blamieren und wollte deswegen Volleyball spielen, doch sie hatte nicht mit Emilie gerechnet. Diese zog sie brüsk am Arm mit zu der Frisbeegruppe.
„Sag mal, spinnst du?“
„Wieso denn? Dich muss man halt zu deinem Glück zwingen. Anders geht es nicht und damit basta!“
Mary wollte gerade etwas erwidern, als Philippes Stimme sie übertönte. Er war neben Olli der zweite Oberleiter und war ebenfalls so beliebt wie Sven, jedoch nicht wegen seines Aussehens sondern wegen seines Humors und seiner besonderen Art.„Ihr geht jetzt also mit euren Leitern mit und gegen fünf Uhr treffen wir uns alle im Gemeinschaftszelt, einverstanden?“
Er erwartete gar keine Antwort, denn wer sollte schon etwas dagegen sagen, es war nun mal so und deshalb ging er auch ohne auf eine Antwort zu warten.
„Auf zum Frisbee“, rief Emilie voller Enthusiasmus. Mary ging nur widerwillig mit ihr, doch nun konnte sie auch nichts mehr dran ändern. Wenn sie daran dachte, dass sie nun fast drei Stunden mit Sven „zusammen“ war ...
So spielte sie also ziemlich lustlos mit, konnte sich aber nicht von Sven losreißen, so dass sie ziemlich oft nicht aufpasste und den Frisbee verpasste. Sie verfluchte sich innerlich für ihre Dummheit, doch konnte auch nichts dagegen machen. Sie wollte nur so schnell wie möglich weg und dieser Wunsch sollte ihr erfüllt werden. Als bereits anderthalb Stunden vorüber waren, riefen die Leiter zum Wechsel auf und Mary verschwand zu den Volleyballspielenden. Emilie ging hinter ihr her, obwohl sie lieber beim Frisbee geblieben wäre.
„Na komm schon, so schlimm war es doch gar nicht, oder?“
„Wenn du meinst.“
„O.k., entschuldige bitte, dass ich dich da mit reingezogen habe. Ich werde es mir merken.“
„Hmmm.“ Mary ging zielstrebig voran ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Emilie machte sich schwere Vorwürfe und nahm sich vor, solche Aktionen in nächster Zeit ein wenig zurückzustecken. Doch ganz aufgeben wollte sie nicht.
Bis nach dem Abendessen verlief alles normal, es war schon irgendwie Routine geworden, auch wenn sie erst einen Tag dort waren. Nach dem Abendessen hatten sich die Leiter etwas ganz Spezielles einfallen lassen. Sie kramten eine Unterlage und eine leere Flasche aus und ersuchten alle, dass diese bitte einen Kreis bilden sollten. Alle wussten, was jetzt kam, doch sie wussten nicht, weshalb. Sie konnten doch jetzt nicht anfangen Flaschendrehen zu spielen. Das war ihnen klar; aber was dann?
„Ihr macht Gesichter, als hättet ihr einen Geist gesehen!“, meinte Lars lachend zu den Mädchen. Im Gegensatz zu den Mädchen waren die meisten Jungs natürlich hellauf begeistert, was aber auch auf ein paar Mädchen zutraf.
„Keine Angst. Hier wird nicht geknutscht, sondern gefragt und geantwortet. Also gut, die Regeln sind die gleichen. Derjenige, zu dem der Flaschenboden zeigt darf seinem Gegenüber, d.h. derjenige, zu dem die Flaschenöffnung zeigt, eine Frage stellen und der andere muss diese dann beantworten. Natürlich werden keine zu persönlichen Fragen gestellt, habt ihr verstanden, Jungs?“ Es war nun mal immer der Fall gewesen, dass die Jungen die blödsten Fragen stellen.
Ein tiefes Stöhnen kam von diesen und Lars wiederholte sich noch einmal, nun aber auch an die Mädchen gerichtet.
„Also gut, dann mal los.“
Was folgte waren hitzige Diskussionen über die Glaubhaftigkeit der Antworten, doch trotzdem hatten alle großen Spaß und erfuhren umso mehr von den anderen. Keiner bemerkte, dass draußen zwei Leute zu dem Leiterzelt gingen.
„Das ist wirklich eine tolle Idee, findest du nicht?“, fragte Mary Emilie.
„Ja, da hast du Recht. Viel besser als das normale Flaschendrehen. Und hättest du gedacht, dass Sven einmal Schach gespielt hat?“ Emilie konnte es nicht lassen.
„Nein, absolut nicht. Ich meine...“ Jetzt wurde Mary bewusst, dass Emilie sie nur wieder ein wenig necken wollte und verdrehte nur noch die Augen.
Die Zeit verging äußerst schnell und so wurde es schnell elf Uhr.
„Also, ihr habt jetzt zwei Möglichkeiten. Die erste: Wir spielen weiter und lassen das Lagerfeuer heute sausen. Und die zweite: Wir gehen jetzt zum Lagerfeuer und wenn ihr wollt, wiederholen wir das hier mal. Also, wer für die erste Möglichkeit ist, der hebe bitte die Hand.“
Nur wenige Hände gingen in die Höhe und somit hatte er schon seine Antwort.
„Na gut, dann ab mit euch zum Feuer!“ Es war den anderen schnell klar geworden, dass ‚Also’ oder ‚Na gut’ zu Lars’ Lieblingswörtern gehörte. Anfangs war es etwas nervig, doch mittlerweile hatten sich fast alle dran gewöhnt.
„Ich freue mich schon auf das nächste Mal, wenn wir das spielen“, meinte Mary aufgeregt.„Ja, ich auch. Hätte nicht gedacht, dass...“ Weiter kam Emilie nicht, denn sie prallte mit irgendjemanden zusammen, als sie sich gerade zu Mary gedreht hatte. Sie fiel zu Boden und wusste gar nicht, was passiert war.
Als sie wieder ein wenig klar im Kopf war, sah sie verschwommen, wie sich eine Person zu ihr runter kniete und sie verzeihend anschaute.
„Es tut mir wirklich leid, ich habe nicht aufgepasst. Ich hoffe, ich habe dir nicht weh getan.“
Es war mehr eine Frage als eine Hoffnung.
„Nein, es ist nichts passiert. Es tut mir leid, ich habe doch auch nicht darauf geachtet, wer mir entgegen kommt. Ich war wohl die Schuldige hierbei.“
„Naja, dann waren wir es halt beide. Aber komm, stell dich mal lieber, oder möchtest du ewig dort unten am Boden bleiben?“ Emilie nahm die Hand dankend an, musste aber feststellen, dass sie recht wacklig auf den Beinen war und direkt wieder zusammensackte. Zwei starke Arme hielten sie fest und so konnte sie nicht wieder hinfallen. Emilie war nicht ganz wohl bei der Sache, doch sie fühlte sich so unsagbar wohl; das war einfach zu irreal für sie.
„Nicht wieder hinfallen, o.k.? Ich möchte nicht noch einmal dafür verantwortlich sein.“ Sie wurde hochgezogen und hielt sich an ihrem Gegenüber fest.
„Ich muss wohl irgendwie auf den Kopf gefallen sein, aber so schlimm war der Sturz doch gar nicht.“
Mary konnte sich das Lachen nicht verkneifen und war deshalb eine Weile außer Kraft gesetzt, bevor sie endlich etwas sagen konnte.
„Also das war wirklich eine reife Leistung, Emilie, gratuliere“, prustete sie los.„Vielen Dank du Spaßvogel, du hättest mir auch mal helfen können.“ Emilie versuchte sich aus den Armen ihres „Retters in der Not“, entschied aber dann, dass es besser sei noch nicht ganz auf Hilfe zu verzichten.
„Du heißt also Emilie? Ich bin Kerstin,“ stellte sie sich vor.
Nun schaute Emilie sie erst einmal richtig an und sah in ein strahlendes Lächeln, das von einem dünnen Gesicht ausging. Sie schaute Kerstin weiter an und sah nun ihre gesamten Umrisse. Sie sah das kurze braune Haar, dass sie ein wenig zurückgekämmt hatte, was jedoch nicht viel nutzte, denn sie waren zu kurz und standen bald wieder. Sie sah an den braunen Augen und dem freundlichen Lächeln vorbei auf Kerstins Figur, die wirklich sportlich und gut gebaut war. Emilie brachte kein Wort mehr heraus. Sie war einfach nur fasziniert von diesem Anblick.
„Entschuldige, aber ist alles o.k. bei dir?“ Emilie verlor fast schon wieder das Gleichgewicht, als Kerstin sie aus ihren Träumereien weckte. Dabei lächelte sie aber so, dass Emilie am liebsten wieder in ihren Gedanken versunken wäre.
„Ähm ... ja, ich ... ich denke schon. Der Sturz war wohl schlimmer als ich dachte.“ Emilie hielt sich erklärend den Kopf und versuchte so glaubwürdig wie möglich zu klingen. Es gelang ihr beinahe, doch ohne es zu wissen, hatte sie gerade jemanden wirklich stark zum Nachdenken angeregt.
„Das tut mir leid. Ich werde dich bis zum Feuer stützen, damit du nicht wieder fällst, einver-standen?“
Emilie schaute Kerstin an und brachte nur noch ein leises ‚Vielen Dank’ heraus. So gingen die beiden zum Lagerfeuer und Emilie versuchte so gut wie möglich auf eigenen Füßen zu gehen, was nach einer Weile schon ganz gut klappte. Mary trottete hinter ihnen her und schaute die beiden immer wieder an. Sie konnte sich die Situation eben nicht so richtig erklären, gab es schließlich auch auf und suchte stattdessen Sven am Lagerfeuer. Dieser schaute ihnen schon entgegen und Mary senkte schnell wieder ihren Kopf.
Emilie war es ziemlich peinlich, dass so gut wie alle sie anschauten, besonders da jemand sie stützte, den keiner kannte. Kerstin setzte sie sanft auf eine der Decken ab, blieb selbst aber noch stehen.
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bloodyheart. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.