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Von eingesperrten und freien Schmetterli
von jo1988
Von eingesperrten und freien Schmetterlingen
Verlegen stocherte ich in meinem Salat, blickte umher und sah all die Blicke die auf mir hafteten, weil ich nun schon den dritten Tag in Folge kaum etwas aß und somit die Wirkung erzielte, die ich eigentlich nur von einer der Personen, welche am Tisch versammelt waren, sehen wollte. Mein nicht all zu großer Salatteller und ich wurden genau beobachtet und ich war eines der Gesprächsthemen beim Abendessen. Die einzige Person die mir mit ihrer Beachtung jedoch eine Freude hätte bereiten sollen, saß neben ihrer Freundin, unterhielt sich und schaute mich kein einziges mal mit ihren wunderschönen Augen an. Ihren Augen, die mich über alles faszinierten, weil ihre Farbe nicht definierbar war und ich den Eindruck hatte in ihnen versinken zu können. Ihre Hände lagen auf dem Grilltisch und langten ab und an zu dem Glas Wein, welches sie sich mit ihrer Freundin teilte. Ihre Hände waren im Allgemeinen ein Blickfang für mich! Sie hatte lange Finger und ihre Haut sah so aus als wäre sie unendlich glatt! Wie gerne wollte ich diese Hände in meine nehmen. Sie einfach festhalten, drücken und streicheln, doch dies war ein Traum von dem ich wusste, dass er nie in Erfüllung gehen würde.
Meinen Blick immer noch auf SIE gerichtet schob ich meinen nicht leer gegessen Teller beiseite. Ich konnte meine Augen nicht von ihr wenden! Wie ein Magnet zog sie meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich denke, dass niemand in der Mannschaft in der Lage gewesen wäre Anne so präzise beschreiben zu können, wie ich es vermochte! Ich liebte ihr lautes schrilles Lachen, ihre quake- Stimme, ihre ruhige und freundliche Art im Allgemeinen und ihren sportlichen Körper, ich liebte SIE. Lange hat es gedauert, bis ich es mir eingestanden hatte und lange habe ich gebraucht um zu akzeptieren, dass ich eventuell zu jenen Frauen gehöre die andere Frauen lieben. Niemand wusste von all diesen Gedanken die mich jeden Tag belästigten und manchmal nicht schlafen ließen. Niemand wusste, wie schwer es mir fiel mit der Situation umzugehen, da ich mich noch nicht ganz von der Vorstellung trennen konnte, später vielleicht doch einen Mann zu finden und glücklich verheiratet in irgendeiner anderen Stadt zu leben. Niemand wusste davon,... außer meiner Mutter, der ich mich anvertraute und welche mir einredete dass Anne mein großes Vorbild und nicht meine große Liebe sei. Leider begann ich meiner Ma glauben zu schenken. Ich war 16 Jahre alt und dachte noch nicht wissen zu können welches Geschlecht ich liebe. Aus lauter Unsicherheit suchte ich mir Männer- oder eher gesagt Jungen- die mir etwas gefielen, doch auch dies brachte nichts. Ich konnte mir nicht einreden dass ich in sie verliebt war, versuchte es jedoch meinen Freunden zu vermitteln. Zumindest diese sollten glauben, dass ich „normal“ bin. Mein Leben brach immer mehr aus den Fugen und das wurde mir bei diesem Handball- Trainingslager bewusster den je. Eine ganze Woche mit meiner Trainerin unter einem Dach war immer ein Traum von mir gewesen doch leider musste ich feststellen, dass es mir nicht all zu viel brachte meine Traumfrau jeden Tag zu sehen! Ich isolierte mich mehr und mehr von meinen Freunden und verbrachte noch mehr Zeit mit Grübeln.
Gedankenverloren verließ ich auch nach diesem Essen meinen Platz, trottete aus dem Speisesaal und machte mich auf den Weg in das Jugendherbergszimmer. Während meine Mannschaftskolleginnen feierten kroch ich unter meine Bettdecke und weinte. Ich hatte Hunger. Mein Magen knurrte und beim Training war ich heute beinahe zusammengebrochen. Diesen ganzen Hungerstreik litt ich nur wegen IHR! Insgeheim wünschte ich mir sogar einmal vor Anne zusammenzubrechen um anschließend von ihr gepflegt zu werden! Ich erhoffte mir nur ein bisschen Aufmerksamkeit von ihrer Seite, etwas mehr als eine Begrüßung, wenn ich wöchentlich die Halle betrat und ein paar Gespräche mit ihr allein. Ich war mir nicht sicher warum sie mich so konsequent ignorierte. Wahrscheinlich wusste sie ganz genau was mit mir los war. Bestimmt hatte sie bemerkt, dass ich sie oft ansah, dass ich nochmals 10kg abgenommen hatte und versuchte mich in ihrer Nähe aufzuhalten. Eventuell verstand sie auch doch den Brief, welchen ich ihr vor einer Weile geschickt hatte und welcher leider nur einmal, nach dem sie mich hatte lange warten lassen, zum Thema zwischen uns geworden war. Den Brief, in welchem ich ihr Andeutungen auf meine Gefühlslage lieferte, welche sie nach dem für mich ganz schönen Gespräch weiterhin ignorierte. Dieser Brief war wohl mein schlimmster Fehler gewesen und ich hasste mich dafür ehrlich gewesen zu sein. Wahrscheinlich war es meine gerechte Strafe nicht mehr von ihr beachtet zu werden. Ich hatte es verdient!
Bei diesen Gedanken rollten mir noch mehr Tränen über meine Wangen. Ich war ein Idiot, ein Egoist, gefangen in meinen Gefühlen und gefangen in mir selbst! Ich war nicht mehr in der Lage aus mir hinaus zu treten, mein wahres ich zu zeigen, weil ich IHREM Zauber hoffnungslos unterlegen war. Meine Freunde aus der Mannschaft hatten schon vor dem Trainingslager bemerkt, dass etwas nicht stimmte, sie waren zu mir gekommen und wollten wissen was mit mir los war doch ich konnte es nicht sagen. Ich war nicht in der Lage gewesen ihnen zu erklären wie man sich fühlt, wenn man 100000 Schmetterlinge und mehr in seinem Körper spürt die nicht hinaus dürfen, weil die Liebe aus der sie entstanden sind anders ist. Ich konnte ihnen nicht erklären, dass ich an genau diesen Schmetterlingen förmlich erstickte und ich nicht wusste wie ich sie los werden könnte. Wie hätte ich ihnen klar machen sollen, dass meine Beine nicht mehr in der Lage waren sich kontrolliert über den Platz zu bewegen, wenn unsere Trainerin meinen Namen rief?
Natürlich rief mein Schweigen Unverständnis bei den anderen Mädels hervor. Sie hatten nach einer Weile keine Lust mehr mich immer wieder aufs Neue auszufragen und mir Hilfe anzubieten. Sie wollten ihren Spaß am Handball nicht verlieren, weil ich mit einer Miene wie 10 Tage Regenwetter umherlief. Sie wollten, genau wie ich selbst, nur die alte Hanna zurück haben, die es liebte Handball zu spielen und vor Spaß nicht zurückschreckte wie eine aufgescheuchte Katze.
Ein Klopfen an der Tür ließ mich aus meinen Gedanken fahren. Meine erste Idee war, dass Anne vor der Tür stehen könnte und so vergaß ich vor Schreck mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.
Die Person die jedoch das Zimmer betrat war nicht Anne. Es war Mona die angehende neue Trainerin. Sie und ihre anscheinend sehr gute Freundin Juliane, würden unsere Mannschaft in Zukunft trainieren und halfen schon seid ein paar Wochen Anne aus. In vergangener Zeit hatte ich mir mehrmals die Seele aus dem Leib geweint, wenn ich daran dachte Anne ganz zu verlieren doch ich wusste, dass ich an der Tatsache nichts mehr ändern konnte.... Nicht, das ich es nicht versucht hätte...
Mona setzte sich neben mich auf die zu weiche, typische Jugendherbergsmatratze, grinste mich frech an, legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel und sagte: „Und Hanna kommste mit auf den CSD nach Köln?“
Wie ich in dem Moment als sie ihren Satz beendete ausgesehen habe, könnt ihr euch vielleicht vorstellen. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich mich gerne selbst beobachtet hätte. Höchstwahrscheinlich ist mir das Erstaunen förmlich aus dem Gesicht gesprungen. Ich nehme an, dass sich meine Augen vergrößerten, ich mir wie immer, wenn ich etwas nicht ganz verstehen kann, mit den Fingern durch die kurzen Haare fuhr und meinen Mund einen Spalt breit öffnete um etwas zu sagen und es dann doch zu lassen, weil ich nicht die richtigen Worte fand.
Nachdem Monas Grinsen, nach einer kurzen Gesprächspause immer noch nicht aus ihrem Gesicht gewichen war und ihr dennoch fragender Blick auf eine Antwort wartete, schaffte ich es ein unsicheres „eigentlich nicht“ zu stammeln. Wir sahen uns einen weiteren Moment an bis Mona mir die Tränen aus dem Gesicht wischte und mir somit zu verstehen gab, dass die Trübsalsblaserei für heute ein Ende hatte. Unterstützt von einem weiteren ihrer strahlenden Lächeln sagte sie, dass ich wirklich noch mal näher über die Fahrt nach Köln nachdenken sollte, da der CSD dort echt der Wahnsinn sei und ich garantiert etwas verpassen würde, wenn ich nicht mitkäme. Ich wusste wirklich nicht mehr wo vorne und hinten ist und war ziemlich überrumpelt. Noch nie hatte mich jemand auf einen CSD abgesprochen und erst recht nicht dazu aufgefordert diesen zu besuchen. Ich war mit meinem Denken nie soweit gekommen, dass es noch mehrere Menschen geben musste, denen es genauso ging wie mir. Ich war nicht das einzige Mädchen dass keinen Jungen finden wollte um glücklich zu werden, auch wenn es mir bisher immer so vorgekommen war. Erstaunt über die Erkenntnis nicht alleine mit meinen Gefühlen zu sein, schaute ich Mona erwartungsvoll an. Ich wollte mehr von ihr hören. Langsam startete ich einen Anlauf sie zu fragen wie sie auf die Idee gekommen sei, dass ich Frauen liebe. Ich stammelte vor mich hin, dass ich überhaupt nicht wissen würde ob dies er Fall sei, und dass in mir zur Zeit ein riesiges Gefühlschaos brodle. Mona zwinkerte mir zu und sagte, dass sie schon sehen würde, wo mein Problem liegen würde, ich mir nicht so viele Gedanken machen sollte und mich gerne, wenn wir wieder zu Hause sein, bei ihr melden könnte.
Ich hätte gerne noch ein wenig mit ihr gesprochen. Die Gerüchte über sie und Juliane schienen nicht an den Ohren herbei gezogen zu sein. Sie waren ein Paar und würden zum CSD nach Köln fahren. Mit dem Reden war es allerdings vorbei. Mit einer auffordernden Geste unterbrach Mona das zweite Mal an diesem Abend meine Gedanken und beförderte mich aus dem kleinen Zimmer! „Jetzt gehen wir erst mal gemeinsam etwas essen und dann mit den anderen feiern“ sagte sie munter und schloss die Tür hinter uns.
Zum Essen konnte mich auch Mona nicht überreden doch zum Feiern schon. Ehrlich gesagt ließ sie mir auch keine Andere Wahl. Ich genoss es letztendlich wieder unter meiner Mannschaft zu sein und hatte das erste Mal in der Woche wieder Spaß. Mona hatte mich aus meinem tiefen Loch gerettet. Erst später in der Nacht begann ich wieder zu grübeln und beim Anblick von Anne wurde mir erneut heiß und kalt zugleich. Sie hatte sich mit ihrem Stuhl in die Nähe von ein paar Freunden und mir gesetzt. Ich konnte nur ihren Rücken und den Hinterkopf sehen und dennoch durchzuckte es mich bei ihrem Anblick mit warmen Blitzen. Etwas in meinem Kopf sagte mir, dass ich sie gerne anfassen würde. Ich wollte mit meinen Händen durch ihre kurzen, blonden, leicht gewellten Haare fahren und ihren Nacken küssen. Als hätte Anne meinen Blick gespürt drehte sie sich zu mir um. Peinlich berührt wendete ich mich schnell wieder meinen Freunden zu.
Später in meinem Bett wünschte ich mir heimlich, dass es, anstatt Mona Anne gewesen wäre, die mich auf den CSD angesprochen hätte. Ich wusste jedoch, dass solche Wünsche nie in Erfüllung gehen würden. Im Prinzip ahnte ich dass Annes Ignoranz mir und meinen Gefühlen gegenüber die einzige Möglichkeit für sie bot, ohne Probleme unser Training zu leiten. Sie machte es mir mit dieser Methode schwer und sich selbst leichter.
Die verblieben Tage unseres Trainingslagers versuchte ich mich Annes Methode anzupassen. Ich ging ihr öfter aus dem Weg, auch wenn es mir weh tat. Ich wusste, dass es keine andere Möglichkeit für mich gab. Einen Abend vor dem Abreisetag feierte unser Team den Abschluss des Trainerinnendaseins von Anne und ihrer Co Tine. Ihr Abschied bedeutete auch der Meine zu meiner Liebe. Mir wurde klar, dass ich Anne, wenn ich Pech haben würde, nie wieder sehen könnte.
„Die Schmetterlinge in meinem Körper werden nie die Gelegenheit bekommen aus mir hinaus zu fliegen und ich werde nie meine Liebe in Anne entladen können. Werde sie nicht küssen- und ein paar meiner Schmetterlinge in sie übertragen dürfen. Die kleinen Flattermänner werden elendig vergehen und vielleicht werde ich, wenn keiner mehr von ihnen übrig ist, halbwegs über die Liebe zu meiner Traumfrau hinweg sein.“
Das war es was ich dachte und was mich verletzte.
Doch auch dieser Abend ging vorbei, wir haben gegrillt, Anne und Tine haben Sekt spendiert und auf Mona und Juliane angestoßen und eigentlich wäre alles ganz schön gewesen, wenn ich nicht unentwegt hätte aufs Klo rennen müssen, weil mir mehr nach Weinen als nach Lachen zu Mute war. Erst zu Hause konnte ich mich mehr und mehr damit abfinden, dass ich nun Juliane und Mona im Training antreffen würde. Ich freundete mich über die Osterferien zumindest soweit mit dem Gedanken an, dass mir nicht mehr täglich zum weinen zu mute war und lenkte mich ab indem ich mir sagte demnächst zumindest wieder ein Training erleben zu können in dem ich keine Angst mehr haben muss, mich vor Anne zu blamieren.
Mona und ich freundeten uns zu Beginn der neuen Trainingsphase an und dank ihrer Gespräche habe ich mit 17 Jahren meine erste wirkliche Liebe gefunden und endlich gelernt, dass ich mich wegen meiner Sexualität nicht verstecken muss. Mein Outing begann und somit ein neues Leben! Ich fühlte mich freier mit jedem Menschen der mich so akzeptierte wie ich nun mal bin. Eine Frau die Frauen liebt und eine Frau die endlich das gefunden hat was sie suchte!
Anne verschwand nie aus meinen Gedanken aber durch ihren Abschied aus meiner näheren Umgebung wurde ich wieder lebendig und nahm an Gewicht zu.
Durch das kennenlernen meiner ersten erfüllten Liebe konnte ich endlich all die Schmetterlinge, die sich in mir entwickeln, wenn ich anfange zu lieben frei lassen. Noch nie habe ich etwas schöneres empfunden als in dem ersten Moment, wo ich diese Flattermänner, die früher nicht an die frische Luft entfliehen konnten und meiner Liebe keinen freien Lauf ermöglichten, meiner Süßen schenkte um sie glücklich zu machen.
copyright © by
jo1988. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.
Super
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das ist eine wirklich super tolle geschichte.. einfach klasse geschrieben.. ich kann es gut nachvollziehen, mir ging es mal ähnlich.. vergessen, kann frau die erste große, hoffnungslose liebe nie, aber frau lernt, damit zu leben.
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