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von healing_addict
Weihnachtsfeier in der Studierendenvertretung, esist der 19. Dezember. Ich bin eingeladen, weil ichdoch da ab und zu jetzt rumhänge. Komm dochvorbei, hat Andrea gesagt, netteFachschaftsmenschen sehen wir immer gerne hier.
Also solche wie mich, habe ich das übersetzt. Odermeinte sie mich persönlich? Bin also hier, wäreauch so gekommen, ohne persönlich gemeint wordenzu sein, aber jetzt bin ich hier und verwirrt. Ichbin sogar alleine hergekommen, Pam hatte keine Lust.
Ich nippe leicht unschlüssig an meinem zweitenDrink, lehne allein an dem Türrahmen zu dem mitLichterketten geschmückten Feierraum. Sehe hinüberzu Andrea, die steht bei ihren Leuten, allerdingsin meinem Blickfeld, von hinten zusehen. Siehtsehr gut aus, geht es mir durch den Kopf. Und hatAusstrahlung. Durch meine Arme und Beine. Ichkucke mich um, bleibe aber zunächst weiter an denTürrahmen gelehnt. Ich kenne hier niemanden. Dannwandere ich ein paar Schritte weiter, hindurchzwischen Männern und Frauen mit bunt gefärbtenHaaren, Lederjacken oder braven Frisuren undHemden mit Kragen, sehe mich um, etwas 40 Leuteschätze ich. Der Feierraum ist vollgestellt mitKisten und zusammengerollten Transparentenirgendwelcher vergangener Demonstrationen,Stühlen, die ineinandergestapelt sind. An denWänden hängen Plakate von Veranstaltungen,Zeitungsaussch nitte, eine rot-schwarze Fahne. Andie Wände gerückt Tische mit Aschenbechern drauf,die bis oben hin voll sind. Es wird massiv vielgeraucht, mir wird es fast schon zuviel. Bin docherst eine Stunde hier. Da macht eine Frau einFenster auf, ein wenig frische Luft kommt herein.
Sie fängt an sich zur Musik zu bewegen, ich begebemich dazu, tanze einige Takte zu Madonnas "Music",niemand sieht uns zu. Ich hole mir einen weiterDrink von der Bar im Nebenraum. Ich kenne docheine, die Frauenreferentin, sehr nette Person. Siespricht mich an, ich rede mit ihr über dieanstehenden Projekte für das neue Jahr. Sie willeine Veranstaltungsreihe über weltweiteMenschenrechtsverletz ungen an Frauen durchführen,Filme, Vorträge, Diskussionen. Ob ich denn bei derOrganisation und Durchführung helfen wollen würde,also mitarbeiten, kommt die Frage, auf die ichschon gewartet habe. Ich leere meinen Drink undbleibe ihr die Antwort schuldig. Ich weiß nicht,ob ich da mitmachen will, keine Ahnung. Ichschweige in den Raum hinein, eine andere Frauspricht sie an und sie unterhalten sich. Gehe alsoirgendwohin, wie zur Bar und schenke mir meinleeres Glas wieder voll. Ungewöhnlich viel Alkoholheute.
Ich möchte gerne auf Andrea zugehen, heute. Weißnicht, wie. Morgen fliegt sie in den Urlaub,soweit ich weiß. Hat mir die Frauenreferentingesagt ohne sie gefragt zu haben. Sie fliegt inden Urlaub. Mit wem sie wohl unterwegs sein wird?Wohin die Reise gehen wird? Andrea sieht ab und zumir herüber, dann, wenn ich aus dem Fenster seheoder mit jemandem rede. Das irritiert mich, oderes freut mich. Ich weiß nicht genau. Wir kennenuns ja nicht, auch im Seminar haben wir kaum einWort gewechselt. Sie fliegt in den Urlaub.
Ich stelle mich irgendwann zu einer Gruppe nebenAndrea und beobachte, wie sie sich unterhält, mitanderen, mit mir auch ab und zu. Ihre Händeunterstreichen ihre Argumente. Eigentlich ihreScherze, denn Argumentieren findet hier nichtstatt. Es ist alles scherzhaft hier, wird vielgelacht, ziemlich laut gelacht, manche reden auchsehr ernst und finden sich gut dabei, mit Drinksin der Hand. Ich höre zur gleichen Zeit hinter mirmit halbem Ohr ein Gespräch, bei dem sich zweiMänner über mehr oder weniger ernst gemeinteVorhaben für das nächste Sommerfest unterhalten.
Ein anderes Paar spricht über Politik, der Mannargumentiert lang und breit, die Frau hört zu undhat dabei ihr Kinn in die Hand gestützt. Die einenspinnen irrwitzige Ideen über eine Uni-Ralleyaller Semester aus und lachen sehr. Isttatsächlich lustig, was sie sich dazu ausdenken.Weil es nicht mal an den Haaren herbeizuziehenist? Ich grinse. Die anderen beiden hinter mirsitzen und er redet alleine, weil sie sagtmanchmal mhm. Mir ist ernst zumute und niemandsieht mich an, bin ich hier nicht vielleicht fehlam Platz. Andrea ist also lustig gelaunt, sie hatgut getrunken und scheint Routine darin zu haben,so zu sein und so reden. In ihrer Gruppe hier, woich unbekannt und neu bin. Andrea redet zwar mitmir, ich weiß aber nicht genau, wie. Wie redet siemit mir? Sie erklärt mir die Vorzüge ihrerKörpergröße und wie viel wichtiger diese sei alsihre Frisur. Oder so. Für ihr öffentlichesAuftreten als Sprecherin des AStA. Ich behalte dieWorte nicht. Statt dessen beschließe ich, sienichts zu fragen. Ich möchte nach Hause? Sie gehtjust in dem Moment zur Bar, an der zur Zeitausnahmsweise niemand steht, schenkt sich Rum-Colanach. Bleibt davor stehen und wirkt ganz andersals eben noch vor mir stehend und seltsame Dingeauf mich drauf redend. Ich bleibe stehen bei derGruppe, aber hier ist niemand, mit dem ich redenmöchte. Die Gespräche interessieren mich auchnicht. Andrea ist noch nicht zurückgekommen, redetsie mit jemand anderem? Nein, sie sieht noch immerin ihr Glas auf dem Tresen aus einer Bierbank, dieauf einer Bierbank steht. sie sieht unauffällig zumir herüber, entdeckt mich sie anblickend undsenkt ihre Augen, wendet das Gesicht der Wand zu.
Nimmt das leere Glas auf. Stellt es wieder ab undnimmt die Colaflasche, schüttet das Glas damitvoll, nimmt die Rumflasche, gibt eine guten Schusshinein. Beide Flaschen behält sie in den Händen,gießt aus beiden noch ein wenig nach. Das Glasrinnt fast über und das sieht sie auch. Sie hörtalso auf zu schenken und stellt die Flaschenwieder auf den Tresen. Ihre Hände liegen nun amGlas und sie trinkt einen Schluck daraus. Dieganze Zeit sieht sie dabei in ihr Glas. Mag siedie braune Farbe der Mischung? Was tut sie dennda. Ich möchte auch gerne noch etwas Cola zurVerdünnung und gehe demnach zu ihr hinüber, stellemein halbvolles Glas neben das ihre. Schenkst dumir etwas Cola ein? Okay. Sie tuts. Magst duRum-Cola? Ja, schon, ja, ich weiß nicht so genau.
Ich trinke sie. Ich mag auch Bier, meistens trinkeich Bier. Die meisten Leute der Stuve trinkenBier. Ich trinke auch gerne Rum-Cola. Und du? Ichtrinke gerne Rum-Cola. Bier trinke ich nie. Früherdachte ich, dass ich Bier mag, alle mochten Bierund haben sich massenhaft daran betrunken. Ichbetrinke mich nicht mehr, und schon gar nicht mehran Bier. Ich betrinke mich auch nicht mehr anRum-Cola, aber ein bisschen beschwipst bin ichheute, zugegeben.
Andrea senkt den Blick, wirkt mit dem Augenblickdurchaus ernst, so aus der Nähe. Sie ist nichtseltsam, sie lächelt. Sagt nichts. Fährt sich mitden Fingern über die Stirn. Räuspert sich. Siehtkurz her dabei. Ich schweige, lächele. Dann legeich meine Hand auf ihre Schulter, nur um zu sagen,ich werde wahrscheinlich bald gehen. Ich willsagen, du könntest mir gefallen, weißt du, wenn dumich lässt. Aber ich lege nur meine Hand an ihreSchulter und dann nehme ich sie wieder zu mir. Wirstehen noch ein paar Sekunden, dann schlendert sieals erste von uns beiden langsam zurück zu ihrenLeuten. Ich sehe ihrem schlanken Rücken nach drehemich dann um. Und gehe, ich bin müde geworden vondem Alkohol. Meinen Drink lasse ich an der Barstehen. Ob es jemand bemerkt, weiß ich nicht, aberich bewege mich in weichen Luftpolstern, als ichlangsam meine gefütterte Jacke zuknöpfe, derFrauenreferentin zum Abschied zunicke undschließlich alleine durch die Drehtür auf dieStraße trete. Ich schiebe mein Mountain Bike ruhigbis zum Radweg an der inzwischen wenig befahrenenStraße vor dem Universitätsgebäude vor. Ichschalte mein Batterielicht ein und steigegemütlich auf. Andreas Flieger geht um vier HeuteNacht. Wünsche ich ihr Erholung?
Neujahr, endlich. Die Straßen sind so ruhig wiejedes Jahr am Tag danach. Oder fast noch ruhigersogar, kein Mensch ist womöglich auf den Straßenzu sehen. Nicht mal ein Hund. Es ist kurz nachSonnenaufgang, zumindest weiß ich, es ist hellgeworden. Richtig hell sogar, die diesige Stimmungdes Sylvesterabends hat sich davon gemacht undeine klare Luft und fast blauen Himmelhinterlassen. Es wirkt alles sauber und rein,wären da nicht die Mengen an kaputten Flaschen,die auf der Straße zu sehen wären, wenn ich siebetreten würde. Ich sehe statt dessen aus meinemFenster in den Hof. Dort liegen auch ein paarRaketenleichen, eine hängt sogar in der Dachrinnedes Hauses gegenüber. Sicherlich fällt sieirgendwann von selbst nach unten, dann wird sieweggeräumt werden, vom Hausmeister wahrscheinlich.
Die nächsten Wochen irgendwann. Die großen Straßensind womöglich schon morgen wieder feigeräumt, soals sei letzte Nacht nichts gewesen an Lärm undLicht. Unnatürliche Eile, so scheint mir fast.
Ich strecke meinen Körper und gähne laut amoffenen Fensterflügel, frisch fühle ich mich,locker, bis auf meinen Rücken, der mir immer etwasweh tut. Das macht nix, nicht heute morgen. Ichschleiche auf leisen Sohlen in die Küche, umSabine und Margit nicht zu wecken, die nebenanschlafen. Das sehe ich durch die offene Tür.
Nebeneinander liegen sie und atmen vor sich hin.
Das Zimmer ist auch sehr hell erleuchtet vom Tag,aber sie sind noch nicht wach geworden. Sie sindgestern noch mit zu mir gekommen, weil bei Sabineeine Party im Mietshaus uns nicht schlafen ließ.
Hier bei mir ist es immer ruhig, womöglich bin ichdie lauteste, wenn ich mal sonntags das Radiohochdrehe, weil ein Lied von Madonna kommt oderWir sind Helden. In der Küche toaste ich mir zweiScheiben Weißbrot und kratze Butter drauf. Ichknuspere stückchenweise davon und sehe dabei durchdie gläserne Balkontür den Tauben beim Erwachenzu. Drei plustern ihr Gefieder auf dem Kaminsimsgegenüber meinem Balkon, gurren ein bisschen,leise noch, die Stimmen erst aufweckend für denheutigen Tag. Das Toast duftet beinahe so, wie dieFernsehwerbung es verspricht, ich setzte noch zweiScheiben in die Toasterschlitze, drücke siehinunter. Die Zeitung ist heute nicht gekommen,denke ich und trabe im Treppenhaus zu Fuß dieStufen hinter zu den Briefkästen. Dann fällt mirein es ist ein Feiertag. Wie dumm von mir. Da habeich schon den Briefkastenschlüssel in der Hand,als mir das einfällt und ich schließe automatischtrotzdem den Postbehälter auf, nur so, ohne Grund.
Beinahe so automatisch werfe ich den Deckel wiederzu, da muss ich noch mal aufsperren. Es ist wasdrin. Sah aus wie ein Werbeprospekt einer dieserasiatischen Imbissketten, die zu allen Tag- undNachtzeiten ihre Faltblätter einwerfen und dazumanchmal an meiner Wohnung klingeln, damit ichihnen die Haustür öffne. Mich nervt das meist.
Aber nein, es ist kein Prospekt, es ist einePostkarte. An Neujahr eine Postkarte. Nichtfrankiert. Auf der Vorderseite ein Blumenmeerunter einem Glasdach. Ich setze mich auf dieunterste Stufe der Treppe und drehe die Karte um.
Hallo, mein Urlaub war sehr nett, ich habe vieleschöne Blumen im Gewächshaus gesehen, wie du sievorn drauf erkennen kannst. Ansonsten ist esselbst hier nämlich sehr kühl und an den Bäumennoch nichts vom Frühling zu bemerken. Ich freuemich, bald wieder zuhause zu sein. Vielleichtnächste Woche Dienstag, mal sehen. Liebe Grüße ausSpanien, Andrea. 1.1. 2004.
Ich gehe die vielen Stufen hinauf in meine Wohnungum mit Margit und Sabine zu frühstücken. Zuvorstelle ich die Karte an mein Fenster, damit dieBlumenpracht vorne drauf auch genügend Lichtbekommt. Wir haben ja noch die dunkle Zeit des Jahres.
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healing_addict. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.
ich find's gut
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Hallo,
ich habe auch ein wenig Mühe, mich bei den Zeitsprüngen zurecht zu finden.
Aber ich finde, dein Schreib- und Sprachstil hebt sich wohltuend von vielem ab, was ich sonst hier so lese!
Manchmal denke ich, es ist ein wenig viel Beschreibung von Umgebung oder Abläufen mit zu wenig Blick in die Innenwelt der Protagonistin.
Nachdem ich dein prof gelesen habe, vermute ich mal, dass DU einfach so bist... - und das ist auch gut so *s*
apfelkern
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