von taraxacum74
Eigentlich fing der Tag ganz normal an. O.k. es war heiß, sehr heiß. Und ich
hatte Urlaub, was ja auch nicht so normal ist. Gegen die Hitze konnte man
eigentlich nur eines tun: rauf auf die Berge, denn ab 2000m Höhe wird es
erträglicher. Also hieß es auch an diesem Morgen, Rucksack packen,
Wanderschuhe anziehen und los ging's. Ich hatte mir eine schöne Route
ausgesucht, und meine Schwester, die sonst gerne nach einer halben Stunde
schon fragt, wie weit es denn noch sei, war auch ganz zufrieden mit meiner
Wahl. Ich hatte ein paar Almen und Hütten in die Tour mit eingeplant und
konnte diese dann immer als Lockmittel benutzten. Man glaubt gar nicht, wie
die Aussicht auf eine frische Almmilch einen richtig beflügeln kann. Wir
kamen also gut voran, und wenn man erst einmal oben ist, sind die Strapazen
ja sowieso vergessen. Die Aussicht ist einfach atemberaubend und entschädigt
alle Mühen. Wir legten uns in Gras, hörten dem Rauschen des Windes und dem
Gebimmel der Kuhglocken zu. Jeder hing seinen Gedanken nach und genoss
einfach den herrlichen Tag. Ja, so verging Stunde für Stunde und irgendwann
musste man auch an den Abstieg denken. Zum Glück geht es runter immer
leichter als rauf. Die letzten Kilometer führte uns der Weg durch ein
Waldstück. Der Schatten dort war wirklich eine Wohltat, und der
Gletscherbach, der uns schon eine ganze Weile begleitete, versprühte eine
angenehme Kühle. Schon fast im Dorf unten angekommen, wir konnten schon den
Kirchturm sehen, führte unser Weg über eine Brücke. Die Brücke machte einen
massiven Eindruck, aber der Schein sollte trügen. Wir also rauf auf die
Brücke. Und was macht man so auf Brücken? Man lehnt sich aufs Geländer und
schaut in den rauschenden Bach. Der Sturzbach verursachte ein derartiges
Getöse, dass ich mein eigenes Wort kaum verstehen konnte. Auf einmal kam
aber noch ein anderes Geräusch hinzu und das klang so gar nicht nach
Rauschen. Ich konnte nur noch meine Schwester anschreien: "L A U F ! ! ! !".
Die Brücke krachte uns unter den Füßen weg. Ich hechtete von der Brücke und
war heilfroh, nicht in den Bach gestürzt zu sein. Meine Schwester hat auch
nur ein paar aufgeschrammte Knie davongetragen. Nicht auszumalen, was hätte
alles passieren können. Jetzt hatten wir nur ein Problem, meine Schwester
stand auf der einen Seite und ich auf der anderen. Tja, und sie war in die
richtige Richtung gesprungen. Den Bach an dieser Stelle zu überqueren war
unmöglich. Ich musste mir irgendetwas einfallen lassen.<br>
Ich ging also den Weg, den wir gekommen waren, ein Stück zurück. Nicht weit
entfernt ging ein kleiner Trampelpfad in Richtung Bach. Hier sah ich meine
Chance. Ich war so damit beschäftigt, über die umgestürzten Bäume zu
klettern, dass ich gar nicht bemerkte, wie mir jemand entgegenkam. "Da vorne
geht es nicht weiter" sagte sie. Ich fuhr erschrocken zusammen. Und da stand
sie nun vor mir. Ich war hin und weg. Wo war dieses Mädel auf einmal her
gekommen? Ich war so perplex, dass ich nur so etwas stammeln konnte,
wie:"emh, da oben geht es auch nicht weiter". Ich erzählte ihr dann ganz
kurz, was meiner Schwester und mir gerade passiert war. Ein kurzer Blick von
ihr auf die zusammengekrachte Brücke und wir gingen den Trampelpfad in
Richtung Bach. Da standen wir nun und blickten in die von Gletschereis
trüben Fluten. Der Bach hatte an dieser Stelle etwas von seiner Mächtigkeit
verloren, nichtsdestotrotz war er immer noch an die sechs Meter breit. Tja,
wie tief war leider nicht richtig abzuschätzen. Wir standen da so eine Weile
und schauten uns mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Sollen wir es wagen",
fragte sie mich. Ich war sehr unsicher und dachte mir, man könnte es ja
versuchen, denn eine bessere Stelle finden wir bestimmt nicht. Also gut. Wir
tasteten erst einmal ganz vorsichtig den Untergrund am Uferbereich ab,
machten dann aber einen Rückzieher, denn die Steine unter Wasser waren doch
sehr rutschig. Ja und dann standen wir wieder eine Weile und haben nach der
besten Möglichkeit gesucht über diesen Bach zu kommen. Aber eigentlich war
mir der Bach in diesem Moment ziemlich egal. Mich beschäftigte vielmehr die
Frage, woher diese Frau gekommen war. Wenn sie hinter uns von der Alm
gekommen wäre, hätte sie ja auch an der Brücke rauskommen müssen. Weit und
breit war kein anderer Weg in Sicht, nur dieser Trampelpfad, und der war ja
eine Sackgasse. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. "O.k., ich geh jetzt
vor und du hältst mich fest. Und wenn wir reinstürzen ist es auch egal. Bei
dem Wetter heute könnte uns doch eigentlich nichts besseres passieren,
oder?" sprach sie und nahm mich bei der Hand. Ich weiß nicht wie, aber
irgendwie haben wir es ans andere Ufer geschafft. Die steile Böschung war
dann nur noch ein Klacks und wir standen auf dem Weg, wo ich schon vor einer
halben Stunde stehen wollte.<br>
Noch völlig überwältigt von den Ereignissen und vor allem von der Frau,
betrachtete ich meine total durchnässten Schuhe. "Ja dann, Tschüß" sagte sie
und ging in Richtung Dorf. Meine Schwester, die sich köstlich über meine vor
Wasser quietschenden Schuhe amüsierte, und ich liefen auch weiter talwärts.
Mich hatte die Sache doch wesentlich mehr mitgenommen als sie. So richtig
nach Lachen war mir nach diesem Schreck nicht zumute, das kam erst später.
Nach ein paar hundert Metern teilte sich der Weg. Die große Unbekannte bog
nach rechts ab, während wir nach links müssten. Und jetzt der Hammer: die
Frau überquerte eine Brücke über den besagten Bach und war damit genau
wieder an dem Ufer wo wir hergekommen waren. Wieso also die ganze Aktion.
Sie drehte sich zu uns um, grinste und verschwand hinter der nächsten
Wegbiegung. "Kneif mich mal" sagte ich zu meiner Schwester, denn mir kam
alles wie ein Traum vor.<br>
Wo kam sie her? Wo wollte sie hin?
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taraxacum74. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.