von Mary_Ann
Als ich erwachte, fehlte die Wolke. Der Himmel hatte zwei Sonnen. Und es war still. Wir lagen nackt im Sand. Sie schlief noch neben mir. Ich blinzelte und versuchte mich zu erinnern. Fühlte den Sand unter mir. Denselben wie gestern Nacht. Wo war die Wolke hin? Mir war sehr warm. Das Licht der Sonnen blendete mich. Ich berührte Bea sachte am Haar. Sie lächelte im Schlaf. Langsam wurde ich etwas klarer. Lauschte dem Wellengang und sah auf das Meer. Wir waren seit gestern hier. Als wir ankamen, war’s dunkel. Außer uns war niemand da. Schönheit und Stille. Und ein kleines Licht von einem Fischerboot. Es schwankte mit den Wellen.
Wir hatten uns einfach in den Sand gelegt. Nebeneinander. Uns geliebt. Mein Kopf rauschte bei der Erinnerung. Doch irgendwas war heute nicht in Ordnung. Nicht, wie es sein sollte. Gestern war die Ruhe wohltuend, heute war sie gefährlich. Obwohl Bea immer noch lächelte. Sie würde gehen, wenn sie aufwachte. Ich wusste es. Konnte sie nicht aufhalten. Wir hatten nichts gesprochen gestern abend. Es hätte soviel zu sagen gegeben. Ich wollte nicht den Anfang machen. Nicht den letzten Funken Verbundenheit zerstören. Der Mond war gut zu uns. Und die Wolke war zuverlässig – gestern Nacht. Sie umhüllte den Mond für kurze Momente. Ließ uns im Dunkeln alleine. Schöne Momente.
Heute morgen fehlte die Wolke. Ich verstand es nicht. Wollte es nicht verstehn. Hätte ich sie halten können? Weiß doch jeder, dass Wolken wichtig sind. Bewegung, Wechsel, Licht und Schatten. Das hatten wir vergessen. Wollten nur das Glück. Und jetzt? Zwei Sonnen sind zu viel. Zu hell, zu warm. Kein Baum weit und breit, keine Wolke. Und viel zu still. Nur ein Hund bellte in der Ferne. Wünschte er käme näher und würde uns beschützen. Wir hätten Schutz gebraucht, doch heute ist es sowieso zu spät. Ich wusste es doch.
Bea erwachte langsam, ihr Lächeln gefror. Sie blickte zuerst in die eine, dann in die andere Sonne. Rieb sich die Augen. Ließ ihren Blick auf mir ruhen. Sah meine Unruhe, meine Angst. Wendete sich ab. Suchte die Wolke, so wie ich vorhin. Hielt sich schützend die Hand vor die Augen. Ich wollte ihr gerne nahe sein, einmal noch. Suchte nach Worten und fand wieder keins. Sie stand auf. Zog sich an. Jetzt musste ich was sagen. Mir fielen nur banale, abgedroschene Sätze ein. Ich hätte wenigstens auch aufstehen sollen. War wie gelähmt. Wir hatten das nie geübt, miteinander zu reden. Ich wollte nicht, dass sie ging.
Sie machte den letzten Knopf ihres Kleids zu. Lächelte mich an. „Ich muss los“, sagte sie leise. Ich war erstaunt, dass sie so sorglos mit mir sprach. Fühlte mich sehr verlegen, als sie angezogen vor mir stand. Ich war immer noch nackt. Immer noch unfähig, mich zu bewegen und zu sprechen. Musste sie aufhalten. Sie durfte nicht einfach gehen. Ich bekam zumindest ein holpriges Lächeln zustande. Sie beugte sich zu mir und küsste mich. Als Bea ging, weinte ich. Sah ihre Umrisse kleiner werden. Verschwimmen.
Die Wolke kam wieder. Endlich. Sie bedeckte eine Sonne. Mein Kopf wurde klarer. Ich stand auf und zog mein Kleid an. Ein rotes, dasselbe wie Bea. Hatten wir uns letztes Jahr zusammen gekauft. Einer sagte mal, wir sähen damit aus wie Zwillinge. Das stimmte aber nicht. Wir waren sehr verschieden. Sie war dünn, groß, blond und zerbrechlich – na, ja so wirkte sie manchmal. In Wirklichkeit war sie sehr stark. Viel stärker als ich. Ich war kräftig, mittelgroß und dunkelhaarig. Wurde immer für besonders robust gehalten. Hab ich nie verstanden. Bea hat nur darüber gelacht. Wie sie oft über mich gelacht hat. Wenn mir nichts mehr einfiel. Mir fiel so oft nichts ein. Nur wenn’s zu spät war. So war das schon immer. Trotzdem bin ich mit Bea zusammen gekommen. Das war überhaupt das Beste, was mir jemals passiert ist. Sie brachte viel Wirbel in mein Leben. Ich hab letztes Jahr mehr gelacht, als all die Jahre zuvor. Es gab auch Wolken. Die brauchten wir. Ohne Wolken hatten wir keine Chance. Das war mir immer klar.
Ich wusste, dass sie eines Tages gehen würde. Einfach so. Habe so oft daran gedacht, wie es wohl wäre. Nun war es ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich war gefasster als ich dachte. Doch sie fehlte mir jetzt schon. Ihr Lachen fehlte mir. Oder wie sie mir übers Haar strich. Das hat sie oft gemacht. Berühren ging immer besser als reden. Aber ich war die Stumme, nicht sie. Bis zum Schluss konnte ich ihr nicht sagen, was sie mir bedeutet hat. Was das war mit uns. Dass ich es festhalten wollte. Aber hätte ich es dann nicht auch zerstört? Sie hat mich begleitet – ein Jahr lang. Auf meiner Reise, die ich jedes Jahr machte. Wir hatten es oft schön miteinander. Heute morgen hat unsere gemeinsame Reise geendet. Bea zog es woanders hin. Ich hatte es länger schon gefühlt.
Langsam kehrte die Ruhe in mir zurück. Meine alte neue Ruhe. Ich schlenderte barfuß durch den Sand. In die andere Richtung als Bea. Sah dem Meer zu, wie es weiter sein Spiel mit den Wellen trieb. Immer eine Wolke am Himmel. Beruhigend. Der Gedanke an Beas Lachen machte mir Mut. Als ich nach Hause kam, kaufte ich mir ein neues Kleid.
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Mary_Ann. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.