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Zwei Seelen (1)

von onlylove


Es war eigentlich schon Frühling.

Das wusste sie, doch noch viel stärker konnte sie es fühlen. Dabei versuchte ihr die Landschaft vor ihrem Fenster angestrengt das Gegenteil zu suggerieren. Eine einsame Schaukel, noch von Matsch beschmiert, schwang leise im Wind. Das Gras, das die leichten Hügel des Spielplatzes bedeckte, hatte noch den grau-gelblichen Anstrich, den es nach zwei Monaten unter einer kalten Schneedecke annimmt. Die Bäume waren kahl, nur ein rötliches Schimmern an den Spitzen der beiden Birken in der Mitte des Platzes verriet, dass sie sich auf ein baldiges Erwachen vorbereiteten. Sonst konnte sie nur das grau der Steinplatten sehen, die in einem Quadrat um den Treffpunkt von quirligen Kindern und gestressten Müttern gelegt waren. Als ob sie durch ihre Anwesenheit eine Grenze zwischen der unschuldigen, kindlichen Freude und den dahinter stehenden, symmetrischen Plattenbauten ziehen wollten. Das Grau des Lebens. Ein leichter, jedoch durchdringender Wind beherrschte die gesamte Szenerie und hauchte den langsam schächerwerdenden Atem des Winters über das Viertel. Die Welt gab wirklich ihr Bestes um die Wärme von ihrem Herzen fernzuhalten.
Ohne Erfolg. Dort strahlte noch der Sonnenschein des ersten richtigen Frühlingstages, den sie vor zwei Tagen erleben hatte dürfen.

Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie durch angenehme Wärme auf ihrem Gesicht geweckt wurde. Ein Sonnenstrahl hatte sich durch die Vorhänge geschlichen, die sie am Abend vorher noch zugezogen hatte um dieses verhasste Grau des Lebens auszuschließen. Sie war schlaftrunken aus dem Bett gestolpert um die Vorhänge aufzureißen. Danach verbrachte sie die nächsten zwei Stunden im Bett, um die Sonnenstrahlen langsam über ihren Körper und Gesicht wandern zu lassen. Sie spürte ein Kribbeln in all ihren Gliedern, als Energie zurückkehrte, die sie schon lange als verloren gegangen geglaubt hatte. In ihrem Kopf begann eine sanfte Melodie aus Vogelgezwitscher und jungen, rauschenden Blättern im Wind zu spielen.
Seit langer Zeit war sie wieder ganz ruhig gewesen. Sie dachte nicht mehr, sie fühlte nur. Ein Lächeln spielte sich um ihre Lippen. Langsam öffnete sie die Augen. Sie wusste was sie heute machen würde. Es war Sonntag und die Welt erwachte. Summend duschte sie sich und zog sich an. Diesmal griff sie nicht einfach die erstbesten Kleidungsstücke, sondern wählte zwei lockere, doch geschmackvolle Teile. Eine schon etwas abgetragene, doch perfekt sitzende beige Cordhose und ein dazupassendes schwarzes, figurbetontes Oberteil. Auch entschloss sie sich nach langem Zögern dazu, ihr totgeglaubtes Markenzeichen, einen schwarzen Männerhut, anzuziehen.
So würde sie die Straßenbahn an der nächsten Ecke Richtung Stadtausgang besteigen und nach einer halben Stunde Fahrt in einer völlig anderen Welt verlassen. Es handelte sich um eine Mischung aus Park und Wald. Wenn man wollte, konnte man sich zwischen sauber getrimmten Hecken auf gemähten Rasen niederlassen und sonnen. Oder man wandelte auf Kiespfaden durch exotische Bäume, die jemand in alten Zeiten zusammengetragen hatte. Folgte man den Wegen, so gingen diese langsam in Waldwege über und einheimische Bäume säumten dicht die Ränder. Wenn man es darauf anlegte, konnte man in diesem kleinen Wäldchen bis zu einer halben Stunde lang herumirren. An der Grenze zwischen Park und Wald war ein kleiner Schwanensee angelegt neben dem es eine Gelegenheit zum Grillen gab. Holzbänke, Lagerfeuerstelle und eine kleine Überdachung gehörten alles dazu. Dorthin begab sie sich nicht.
Dieser blick, voller schmerz, hass und liebe.
Sie betrat das Gelände am anderen Ende und wanderte in den Wald. Es gab hier einen kleinen Platz, der war nur für sie alleine. Sie war noch nie mit jemand anderem dagewesen. Es handelte sich um eine sehr kleine Lichtung, von dichtwuchernden Brombeersträuchern umgeben. In der Mitte stand ein Felsblock, der genau die Sitzform eines Menschen wiedergab. Schon oft hatte sie in ihren Gedanken Geschichten durchgespielt, wie es zu dieser Eigenheit hatte kommen können.
Wie sie vermutet hatte, war der Fels durch die Sonne es Sonntagmorgens erwärmt und trotz noch relativ kalter Außentemperatur konnte sie sich darauf niederlassen. Sich dort entspannend, ließ sie die Wirkung der Sonnenstrahlen auf sich wirken. Obwohl sie völlig regungslos dasaß, nichteinmal Musik hörte, fühlte sie sich voller Leben. Sie spürte weder Langweile, noch Ausdruckslosigkeit, noch eine Drang nach Aktivität. Sie fühlte sich eher sogar voll von Aktivität. Ganz anders als diese aphatie…
Ein Rascheln in den trockenen und brauen Brombeersträuchern schreckte sie auf. Noch war die Hecke um ihr Versteck sehr licht, jemand könnte sie gesehen haben. Trotz aller Freude des Tages wäre dies zuviel für sie. Vor allem wollte sie diesen Platz nicht preisgeben. Seine Unbekanntheit machte ihn zu etwas Besonderen. Da fühlte sie eine feuchte, kalte Nase an ihre Hand stupsen. Ein schlanker, schwarzer Körper einer Labradorhündin folgte dieser Kontaktaufnahme und warf sich gegen ihr Bein. Erfreut streichelte sie das aufgewärmte Fell des Tieres. So hätte sie natürlich kein Problem die Lichtung zu teilen. Doch irgendwann musste der Besitzer vorbeikommen und sie Beide zwangsläufig entdecken. Sie beschloss ihren Platz zu verlassen und die Hündin auf den Weg zurückzuführen. Als sie sich noch suchend umschaute welche Richtung wohl erfolgreich sein könne, schoss ihre Begleiterin auf einmal mit freudigem Gebell los. Im gleichem Augenblick hörte sie ein erleichtertes „Mensch, da bist du also Rhea, du schaffst es auch jeden Tag mich alleine zu lassen.“
Kurz darauf bog eine junge Frau um die Ecke, zu der die kräftige Stimme gehörte. Zuerst fiel ihr blondes Haar auf, dass verwuschelt von ihrem Kopf abstand. Es war relativ kurz geschnitten und leuchtete im Sonnenlicht. Darunter folgte ein schmales Gesicht, das von zwei strahlenden Augen dominiert wurde, von einer dezenten Brille eingerahmt.
Spontan lies sie ein fröhliches „Hallo, da kannst du mir ja dankbar sein, dass ich deinen Hund auf den rechten Wege zurückgeführt habe“ los. Doch schon am Ende des Satzes wurde ihre Stimme immer leiser und unsicherer. Die schöne Unbekannte antwortete dennoch erfreut mit einem leichten Zwinkern: „Na klar, ich werde dir ewig dankbar sein.“
Ihr stockte der Atem. Diese Frau war so unheimlich intensiv. Ihre Augen strahlen eine ungemeine innere Kraft aus, die Lachfalten um jene herum sprangen nur so vor Ausgelassenheit und die Stimme schickte ein Zittern durch ihren Körper. Der grüne Schal am Hals der Fremden schien vor Farbe zu leuchten und lenkte ihren Blick weiter herab auf den Körper. Sie war sportlich gekleidet, doch mit viel Individualität. Vor allem stach die Farbenfreude heraus, die das unsichtbare Energiefeld um sie weiter verstärkte.
„Ja, ist schon ok.“ nuschelte sie. Die Andere schien etwas gedämpft durch diese Antwort, aber sie kontte sich einfach nicht weiter freudig unterhalten. Sie brachte es nicht fertig Gefühle aus sich herauszulassen. Oh ja, sie wollte. Ein Teil in ihr wäre sofort auf einem stundelangen Spaziergang mit der Fremden gegangen und hatte ihr dabei ihre Lebensgeschichte erzählt. Doch ein anderer Teil, der viel stärker war, wollte wegrennen, sich verkriechen und alles vergessen.
„Du scheinst ja doch nicht so in Gesprächslaune zu sein“, dies unterbrach ihre Gedanken. Sie sah, dass die Augen der Unbekannten auf ihr ruhten. Eine Mischung aus Freude, Enttäuschung und Anteilnahme kämpfen darin um die Vorherrschaft. Sie konnte diesen Blick nicht standhalten und schaute auf den Boden, womit sie bemerkte, dass sie schon die ganze Zeit krampfhaft Steine scharrte.
„Ok, ich möchte dich ja jetzt nicht bedrängen, aber, also ich gehe hier eigentlich jeden Tag spazieren. Vielleicht sieht man sich ja wieder. Das wäre wirklich schön.“
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen: „Ja, das wäre es“ murmelte sie. Dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie drehte sich um und ging zügig davon. Sobald sie sich hinter einer Kurve befand, fing sie an zu rennen. Sie rannte, rannte bis sie am Ende des Parks angelangt war. Dort warf sie sich in das kalte Gras am Fuß eines kleinen Hügels. Sie keuchte von der Erschöpfung.
Ihre Beine zitterten. Ihr Körper zitterte. Ihre Lippen begannen zu zittern. Dann konnte sie es nicht mehr aushalten. Sie fing an zu weinen. Erst leise, kurz darauf wurde daraus ein lautes Schluchzen, das ihren Körper schüttelte.
Nein, sie weinte gar nicht, sie lachte. Auf einmal bemerkte sie, dass sie aus vollem Halse lachte und die Tränen versiegt waren. Abrupt stoppte sie. Jetzt zitterte nur noch ihr Körper.
Doch sie fühlte sich leer, irgendwie erleichtert.

Ja, es war Frühling. Denn obwohl der Blick aus dem Fenster noch immer so trist war, so fühlte sie sich frei. Es gelang ihr zu Lächeln, es war ihr als schien die Sonne, die vor zwei Tagen noch ihr Gesicht erwärmt hatte, direkt auf ihr Herz. Sie hatte sich entschieden. Sie würde heute Nachmittag einen weiteren Besuch im Park wagen. Diesmal würde ihr Ziel nicht der Felsensessel sein, sondern sie würde auf den Waldwegen entlangschlendern, bis ein verspielter, schwarzer Hund auf sie zugerast käme.
Seit letzten Sonntag konnte sie nur noch an die nette Unbekannte denken. Sie wusste nicht genau welche Gefühle ihr Denken antrieben, doch sie fühlte sich unfähig es zu stoppen. Es war diese Intensität der Anderen, die sie direkt ins Herz getroffen hatte und Gefühle freisetzte, die so lange begraben und verborgen lagen. Der Ausbruch der Emotionen hinterließ bei ihr ein beinahe unerträgliches Gefühl der Faszination.
Sie konnte es nicht bei diesem einen Treffen belassen, sonst würde die vielen ungeklärten Fragen und Fantasien sich verselbstständigen und alles in eine Sphäre der Unwirklichkeit heben, und dies wäre das Letzte was sie gebrauchen könnte.



copyright © by onlylove. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


sehr gut
Ich finds sehr gut bisher,auch wenn es mir persönlich schwer fällt, zu unterscheiden, wer jetzt wer ist, da du in der dritten Form \"sie\" schreibst und man da oft denkt, dass es die Hundebesitzerrin ist. Dabei muss ich mal anmerken, dass du nen genialen Hundegeschmack hast. Ich habe selber eine 7 Monate Junge schwarze Labradorhündin namens \"Taifun\". Das ist sie auch, aber manchmal isse einfach auch nur zum knuddeln...
Natou
bloodyheart - 12.04.2005 11:35

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