Um LESARION optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern verwenden wir zur Auswertung Cookies. Mehr Informationen über Cookies findest du in unseren Datenschutzbestimmungen. Wenn du LESARION nutzst erklärst du dich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.




Stories » Detail

600 km zum Glück (29)

von AJ_Fox


***(Teil 29)***

Wie in Trance betrat sie das Haus und blieb m Flur stehen. Das Paar sah sie etwas verwirrt an und Jo glaubte zu hören, wie sie mit ihr sprachen, doch sie verstand kein einziges Wort. Es kam ihr vor, als würden diese Leute eine andere Sprache reden als sie. Langsam aber aufmerksam schaute sich Johanna um und erblickte ein Regal mit unzähligen kleinen Porzellanfiguren, doch eine Ebene war nur mit Fotos besetzt, die Johanna magisch anzogen. Wieso? Was gab es da so interessanten zu sehen. Sie musste es erfahren und steuerte geradewegs drauf zu. Einige Schritte blieb Johanna davor stehen und starrte mit offenem Mund auf die zahlreichen Fotos, auf denen die Entwicklung von einem Mädchen festgehalten wurde. Die Reihe begann ganz links und erstreckte sich über die gesamte Ebene. Jo’s Blick fixierte ein Foto in der Mitte. Ein kleines Mädchen war darauf zusehen mit langen Zöpfen und einer großen Schultüte. Anschließend folgten mehrere Klassenfotos. Wohl von jedem Jahr eins. Mit jedem Bild wurde das Mädchen größer und wirkte erwachsener. Das letzte Foto zeigte bereits eine erwachsene junge Dame mit einem Pokal in der Hand. Um Sie herum standen weitere Frauen. Ihr Team. Um was es sich genau handelte, wusste Johanna nicht. Vielleicht Handball? Alle lächelten und freuten sich sicherlich über diesen Sieg. Jo schluckte. Sie verstand absolut nichts mehr. Wie konnte das sein? Was war hier überhaupt los? Sie war im Fremden Haus, bei fremden Menschen und in einer fremden Stadt und doch sah sie sich gerade auf all den Fotos. Nein Jo war nicht verrückt auch, wenn sie dies in dem Augenblick glaubte und annahm, dass es wohl nur ein dummer Traum war und sie jeden Augenblick aufwachen würde. Sie schloss ihre Augen, wartete einige Sekunden und starrte wieder konzentriert die Fotos an. Nichts hatte sich verändert, nach wie vor war sie zu sehen, obwohl Johanna nie diese Momente erlebt hatte. Plötzlich sah sie ein Foto ganz links in dem Regal. Darauf war ein junger Mann zu sehen, der eng umschlungen mit einer Frau stand. Die Köpfe an einander gelehnt. Beide lächelten bis über beide Ohren. Vor ihnen stand ein Kinderwagen, mit zwei Babys. Zwei. Beide waren identisch angezogen und sahen sich auch sehr gleich aus von den Gesichtszügen, doch bei so kleinen Kindern ist es so oder so schwer zu unterscheiden, dachte sich Jo und merkte wie übel ihr in dem Augenblick wurde. Sie kannte nicht diese Frau auf dem Foto aber sie wusste genau wer es war.
„Miriam“, flüsterte Johanna leise. Kein Zweifel, sie war es.
Alles drehte sich Plötzlich, denn ihr Gehirn war nicht mehr in der Lage all diese Information zu verarbeiten und eine vernünftige Antwort auf diese Situation zu geben. Johanna sah wie die alte Dame besorgt z ihr sprach, doch Jo hörte nur ein lautes Rauschen und das Bild verschwand langsam vor ihren Augen. Plötzlich ging die Eingangstür auf und eine Person rief laut, sie sei endlich da und entschuldigte sich sogleich für die Verspätung. Jo musste unbedingt diese Person sehen. War es das, was sie befürchtete? Mit letzten Kräften drehte sich Johanna um und blickte in zwei komplett Überraschte Augen. Ihre Augen. Das rauschen verschwand mit einem Mal. Alles war ruhig, während Johanna wie erstarrt die junge Frau im Eingang bemusterte. Nicht lange, denn bereits nach wenigen Sekunden wurde erneut alles verschwommen und Johanna vernahm noch schwach, wie sie zu Boden sank. Dunkelheit. Stille. Angst.

„Oma sie kommt zu sich, komm schnell her. Sie wacht auf.“ Das war das erste, was Jo wieder zu hören bekam, als sie langsam zu sich kam. Sie lang nicht wie erwartete in ihrem Bett oder zumindest auf dem Boden vor dem Regal und die Dame hätte ihr eine Geschichte erzählt, von wegen, Jo wäre gestolpert. Nein sie sah wieder diese Augen, die sie anstarrten.
„Bist du mein Clon?“, fragten die Augen.
„Seit wann können Augen sprechen?“, murmelte Jo ihre Gedanken laut.
„Oh was hast du den heute gekifft Mädchen. Das Zeug will ich auch mal haben.“, entgegneten wieder die Augen aber nun hatte Jo endlich genug Verstand aus den Ecken ihres verstreuten Gehirns beisammen, um auch den Rest dieser Augen wahrzunehmen. Sie hielt sich die Hand an den Kopf, denn es tat am Hinterkopf sehr weh. Kam wohl von dem Sturz.
„Du hast echt eine super Bruchlandung hingelegt. So was hab ich nicht mal geschafft, als ich alles 5-fach gesehen hab. Tja diese Parties halt.“
„Was laberst du für einen scheiß. Oder was für Halluzinationen hab ich, dass ich mich selber andauernd sehe. Ist hier ein Spiegel?“, fragte Johanna und schaute sich im Zimmer um. Es war wohl das Zimmer von den sprechenden Augen, denn es war einfach zu modern, und provokativ für einen älteren Herrn oder die Dame eingerichtet. Außerdem war zu viel schwedischer Möbelgeschmack im Raum, was Jo sofort an Ricarda denken lies. Kunterbunt und doch passend.
„Du wer bist du den nun? Stimmt es dass du Johanna bist?“, fragte die junge Frau, denn nun sah Jo sie sehr gut vor sich sitzen. Nicht nur die Augen.
„Nein ich bin Marko. Sieht man doch.“
„Ach so ist das. Findest du mich den soooooo hübsch, dass du auch genau so wie ich aussehen wolltest?“
„Nein war ein Irrtum. Ich hatte dem Arzt extra gesagt, ich will groß und Blond sein und mit einem kleinen Köter unterm Arm rumlaufen nach der OP. Das kann ich ja jetzt wohl vergessen.“, antwortete Johanna, die sich inzwischen etwas erholt hatte und auf eine unglaubliche Art sich sehr gut mit ihrem „eigenen“ gegenüber verstand. Es kam ihr schon fast vor, als würde sie diese Frau ihr ganzes Leben lag kennen und genau wissen wie sie drauf sein könnte. In dem Augenblick kam die alte Dame herein und schaute die beiden Frauen lange an. Dabei flossen ihr die Tränen über die Wangen, tropften auf den Teppichboden oder blieben an ihrer gestrickten Weste hängen. Manche hinterließen sogar ihre Spur auf der Brille, welche di e Dame einige Male mit dem Finger wegwischte, da sie wohl so nichts mehr sah.
Jo war inzwischen irgendwie heiter gestimmt. Vielleicht lag es an dem Sturz aber die Angst und Nervosität waren weg.
„Ich kann es immer noch nicht fassen. Johanna, bis du es?“ Jo nickte bloß, wusste aber gar nicht was sie sonst noch antworten hätte können. Nun betrat auch der Herr das Zimmer und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett.
„Na wie fühlst du dich. Brauchst du ein paar Eiswürfel für die Beule?“, fragte er und bewegte dabei seinen Schnurrbart auf eine lustige Weise. Beinahe hätte Jo sogar wegen dieser Kleinigkeit angefangen zu lachen. Allgemein kam sie sich echt komisch vor. Betrunken? Unter Drogen? Hatte sie in den letzten Stunden irgendwelche Medikamente eingenommen, die verdammt realistische Wahnvorstellungen verursachten? War die Mandarine eventuell schlecht, die sie im Auto gegessen hatte? Können Mandarinen überhaupt so was verursachen? In Johannas Kopf ratterten alle möglichen Zellen und versuchten eine vernünftige Antwort zu finden, doch leider vergeblich. Kein Alkohol, Drogen oder schlechtes Essen waren daran schuld. Es war einfach nur die Realität.
„Oma hol doch das Album. Vielleicht sollten wir jetzt mal was sagen, ich glaube sie hält sich für irre und denk, das alles ist nur eine Einbildung.“ Die Frau wendete sich zu Jo.
„Also für dich noch mal zum mitschreiben. Du lebst noch, bist nicht irre und ich denke mal nicht unter Drogen oder so. Oma, also die Silke wird dir gleich alles erklären. Und das da ist der Opa Peter. Ja und ich bin die Jess. Nenn mich ja nicht Jessica. Das mag ich überhaupt nicht. Nur Oma du Opa dürfen es noch laut aussprechen, denn die werden es nie lernen die kürzere Variante anzuwenden.“, erzählte Jess. Sie plapperte einfach so munter vor sich hin und erzählte bereits von irgendwelchen anderen Dingen, die Jo gerade wieder nicht aufnehmen konnte, da sie zu sehr damit beschäftigt war den Opa Peter anzustarren.
„Hey, du hörst mir ja gar nicht zu, du Nuss! Toll da passiert mal so was und ich bekomm ne Schwester und die interessiert sich nicht mal für meine Erzählung.“
„Schwester? Und wie lange war ich eigentlich weg?“
„Ach das erklärt dir Silke gleich. Ähm eine Stunde glaube ich. Weis nicht ich war damit beschäftigt einen, wenigstens einen Unterschied bei uns zu erkennen. OK abgesehen von deinen Narben und meinem Piercing.“ Nun kam wieder Silke mit einem großen Buch und setzte sich zu Jo an die Bettkante. Sie begann ganz langsam an zu erzählen und Johanna hörte aufmerksam zu. Diese Geschichte von Silke wurde mit vielen Fotos begleitet. Eigentlich war es eine Bildergeschichte und Johanna hörte bloß der Stimme zu, die jeweils mit dem Finger auf die jeweiligen Bilder tippte und dazu viel, sehr viel erzählte. Dann wurde sie plötzlich still, räusperte sich und blätterte eine Seite weiter. Hier waren keine Fotos zu sehen nur ein Ausschnitt aus einer Zeitung. Der Titel jagte Johanna einen Schauer über den Rücken. „Junge Familie im Auto verbrannt!“. ‚Das ist brutal’, dachte sich Jo und hörte den Worten der Oma oder ihrer Oma? Sie konnte sich in dem Moment nicht so ganz dafür entscheiden, da alles noch so fremd wirkte und dieser Gedanke nun wirklich nicht in Jo’s Hirn reinpassen wollte, dass sie eine Oma hatte.
„…Das alles ist wirklich sehr schwer für uns nach wie vor und eigentlich reden wir nicht oft über diesen Unfall, weil wir dadurch drei uns so wichtige Menschen verloren hatten aber es war folgendes Passiert. Es war der 23 Juni. Miriam und Sergej, deine Eltern hatten mit euch beiden einen Besuch zu eurer Tante geplant. Sie wollten einige Tage in Berlin blieben und euch endlich mal der Verwandtschaft dort zeigen. Zu der Zeit wart ihr etwas älter als ein Jahr. Leider hatte Jessica jedoch eine schwere Erkältung sich eingefangen und deshalb wurde entschieden, dass es wohl das Beste sei, wen sie hier bei uns bleibt als, dass es noch schlimmer wird. So haben deine Eltern nur dich mitgenommen Johanna. Sie waren schon fast angekommen, als dieser grausame Unfall sich ereignete und das Auto von der Straße abkam. Aufgrund des sehr steilen Abhangs wurde das Auto in die tiefe geschleudert und prallte schließlich gegen einen Baum. Sofort brachen Flamen aus und kurz darauf eine Explosion. Bis Rettungskräfte an Ort und Stelle waren, war es für die Insassenden viel zu spät. Es gab kaum Überreste und es wurde angenommen, dass keiner dieses Unglück überlegt hatte. Außerdem gab es nur eine Zeugin, die einen LKW von der Unglücksstelle wegfahren sah. Sie konnte jedoch weder Nummernschild noch Angaben zu dem Fahrer geben. Es war zu dunkel. Ein möglicher Unfallverursacher wurde leider somit nie gefunden. Beigesetzt wurden alle hier bei uns in der Stadt. Keiner hätte je gedacht, dass es eine Überlende gab. Wir glaubten all die Jahre du wärst ebenfalls im Auto umgekommen. Was war passiert?“ Jo braucht erst einmal einige Minuten um sich zu sammeln. Bis dahin starrte sie bloß in die Leere.
Das Feuer, die Explosion, das Geschrei. Nun ergab alles einen Sinn. Sie verstand nun endlich was diese Bilder zu bedeuten hatten. Johanna hatte nun ihre Antwort auf die unheimlichen Träume. Endlich.
„Ich weis es nicht. Keiner weis es. Ich wurde vor die Tür der Gardseck-Stiftung abgelegt und wuchs da auf. Bin erst vor etwa einem Jahr nach Reinlandpfalz gezogen. Tja ansonsten gibt es nicht all zu viel über mich zu berichten.“, erwiderte Jo zögernd.
„Nicht viel? Du spinnst ja wohl. Ich will wirklich alles von dir wissen von Lieblingsfarbe bis zu deinen Jahren, die du in Berlin verbracht hast. Das ist so spannend. Ich bin 18 und hab seit heute eine Zwillingsschwester.“, jubelte Jess, sprang auf und hüpfte erstmal im Zimmer herum.
„Daran wirst du dich noch gewöhnen, sie ich immer schon etwas verrückt gewesen.“, lächelte Peter Jo zu.
„Wer gab dir eigentlich den Namen?“, fragtet nun Silke und berührte währenddessen mit ihrem Finger ein Foto im Album.
„Eine Erzieherin. Aber das war nicht schwer. Auf meiner Kleidung stand Johanna und bei der Decke, in die ich eingewickelt war stand in einer Ecke J. Marks. So entstand daraus mein Name.“
„Oh die Decke. Diese hat meine Mutter gehört. Julia Marks. Sie wurde bis jetzt immer der Tochter weitergegeben in unserer Familie. Bei euch zwei haben wir uns vorher schon für das Zweitgeborene entschieden. Das st schon fast wie eine Tradition für uns. Hast du sie denn noch?“
„Ja alles was aufhebbar war, wurde behalten und mir später gegeben.“, erwiderte Johanna.
Nach dem Gehüpfe im Zimmer sprang Jessica wieder aufs Bett und fragte Johanna alles Mögliche aus. Unwichtige Dinge, wichtige, interessante und uninteressante. Jo kam es sogar vor, als hätte sie ein kleines Kind vor sich statt einer jungen Dame in ihrem Alter aber das Unglaubliche war, wie sehr sie sich dennoch ähnlich waren, nicht nur äußerlich, sondern auch vom Charakter. Johanna begriff auch erst jetzt, dass sie nicht nur Sehnsucht nach einer, nein ihrer Familie hatte, sondern auch nach ihrem „zweiten Ich“. So erging es auch Jessica, die immer dieses Gefühl auf die fehlenden Eltern schob. Nun aber herrschte bei beiden eine große Zufriedenheit und Glück. Es verging Stunde für Stunde bei dem Gespräch. Natürlich konnten die Frauen nicht alles an diesem einem Abend bereden und sich erzählen aber dafür würden sie noch massenhaft Zeit haben. Als Johanna wieder auf die Uhr sah war es schon fast sieben Uhr abends. Während sie redeten, bereitete Silke ein leckeres Essen vor und rief einige Verwandte an. Einige rief Jess an. Dabei musste es jedoch nur um junge Leute handeln, denn so wie die Gespräche abliefen, hätten Erwachsene eher einen Nervenzusammenbruch erlitten.
„Simone? Du musst sofort zu mir kommen. Das ist lebensnotwendig. Hier ist was soooo schrecklich Unglaubliches passiert, das wirst du mir nie am Telefon glauben. Ähm, nein sofort klappt’s doch nicht aber so gegen halb neun? Ja geht klar. Ja wer kommt noch, die ganze Verwandtschaft. Weil es wichtig ist, ich sag ja Unglaublich schrecklich, verrückt…einfach nur wow. Also bis dann, bye.“ Das war eines der harmlosesten Telefonate von Jess. In den paar Stunden konnte Jo sich bereits ein kleines Bild von ihrer „Kopie“ machen. Jessica war eine sehr lockere, ausgeflippte Persönlichkeit, wobei dies bestimmt nur an der ausgeflippten Situation lag. Oder war sie etwa immer so drauf?
„Los Jo. Das darf ich doch sagen zu dir oder? Wir müssen los. Oma brauch noch schnell was aus dem Supermarkt.“
„Klar darfst du mich Jo nennen, macht ja so oder so jeder.“ Beide gingen runter in die Küche, wo Silke bereits mit einer Liste auf sie wartete. Während sie noch die letzten Dinge dazufügte, fragte Peter endlich, ob Jo ganz allein hier wäre und da machte es Klick.
„Ricky!“, rief sie. Alle schauten sie an mit verwirrten Blicken.
„Ja auf mich wartet meine, ich mein eine Freundin von mir. Sie ist hier nicht weit weg in einer Pension und wartete auf mich.“ Jo schaute auf ihr Handy. 6 Anrufe in Abwesenheit und eine Sms.
„Die macht sich bestimmt höllische Sorgen.“, murmelte sie vor sich hin, während Peter mit dem Kopf schüttelte.
„Da war ich mal für einige Stunden fest davon überzeugt wenigstens eine meine Enkeltöchter würde mich noch mit ihren eigenen Kindern glücklich machen, denn was den Beruf betrifft ist das eine Freude für sich selbst aber nein Beide aus dem gleichen Holz geschnitzt. Silke, liegt wohl doch an den Genen, oder was denkst du darüber?“, fragte er mit einem Grinsen auf dem Schnurbart, da man seine Lippen so gut wie kaum sehen konnte. Jo verstand es zu dem Zeitpunkt nicht so ganz, was der Opa damit meinte.
„Opa es muss heutzutage nicht unbedingt ein Mann sein. Entwicklung in der Medizin du Forschung machen alles möglich!“ Mit den Worten packte Jess Johanna am Ärmel und schleppte sie mit nach draußen.
„Komm schon, der Laden schließt doch bald“, rief sie und wollte bereits in die Richtung des Supermarkts gehen, als Johanna stehen blieb und auf Rickys Auto zeigte.
„Du hast ein Auto? Krass. Wie viel verdient man noch mal bei der Polizei. Vielleicht sollte ich es auch ausprobieren, denn geistig müssten wir doch eigentlich auf dem gleichen stand sein?“, fragte Jess und begutachtete den Wagen einen Augenblick lang.
„Oh das bezweifle ich sehr, bezüglich des Verstandes und nein ist nicht meiner. Gehört Ricarda.“
„Also das werden wir noch herausfinden, wer klüger ist. Ich zumindest bin um 3 Minuten älter als du.“ Dabei streckte Jess die Zunge aus und schnallte sich anschließend an.
„Nebenbei wer ist Ricky?“ Johanna zögerte eine Weile, den wusste sie nicht so ganz, ob dies der richtige Zeitpunkt war sich vor der neu gewonnenen Schwester zu outen auch, wenn Peter wohl etwas in die Richtung erwähnt hatte.
„Ricarda ist meine Freundin. So wie bei andere Mädchen üblicherweise ein Freund an der Stelle ist.“, antwortete sie sehr gelassen, denn, wenn dies jetzt nicht akzeptiert wird, dann wohl nie und somit, würde Jo auch sofort wissen wo ihre familiären Grenzen wären.
„Du bist also lesbisch?“
„Ja“
„Cool, ich auch.“, erwiderte Jess ganz locker und sah dabei nur auf die Straße, doch bereits nach wenigen Sekunden zog sie der Blick zu ihrem Zwilling, der sie ebenso mit einem Lächeln ansah.
„Jess ich glaube wir werden uns echt gut verstehen.“, verkündete Jo und schaltete das Radio ein.

Im Laden, besorgten beide die nötigen Produkte. Dabei teilten sich die Geschwister auf und jede bekam ein Teil der Liste, die auseinander gerissen wurde. Jo schlenderte durch die Regale auf der Suche nach einer Dose Erbsen, als eine junge Frau plötzlich vor ihr stand und die Armen an den Hüften anstützte.
„Hast du nicht gesagt, dass du sehr beschäftigt wärst heute und absolut keine Zeit mehr findest, um dich mit mir heut erneut zu treffen?“, fragte sie mit etwas gekränkter Stimme.
„Wer bist du den? Kennen wir uns?“
„Willst du mich jetzt verarschen Jess? Sag mal, was ist den los mit dir? Ich schütt dir mein Herz aus und du rennst einfach weg. Ich renn hinter dir her, du stößt mich immer wieder weg, dann tauchst du wieder bei mir auf und wir verbringen ein unglaublich schönes Wochenende zusammen und dann lässt du wieder nichts von dir hören und weichst mir aus. Jetzt findest du es auch noch wohl komisch und lustig mich anzulügen und dann mit so einer miesen Ausrede daherkommen.“
„Du verwechselst mich da aber mit jemand. Ich bin nicht Jess.“
„Das reicht mir endgültig. Wirklich. Du hast kein bock auf mich? OK. Versteh ich schon. So was wie dich hab ich wohl auch gar nicht verdient, was. Du bist genau wie all die anderen auch und für mich bloß ein weiteres abgeschlossenes Kapitel einer „No Happy End Story“.“
„Warte doch ich bin echt nicht Jess, sie ist hier irgendwo.“, verteidigte sich Johanna und rief einmal ganz laut nach Jessica. Dabei verwendete sie extra die lange Form, damit diese auch rasch bei dem Regal ankam.
„Du musst nicht brüllen wie ein Gorilla. Ich bin gleich hier drüben.“, bekam sie als Antwort und plötzlich tauchte Jess im Durchgang, sodass die junge fremde Frau zwischen den zwei eingeschlossen war.
„Was geht hier vor. Seit wann. Wie. Was zum Teufel wird hier gespielt?“, fragte sie und drehte sie hin und her um beide im Blick zu behalten.
„Wieso hast du mir nie gesagt, dass du eine Schwester hast und, dass auch noch Zwilling? Sie ist doch tot, das du mal erwähnt, oder nicht?“ Schweigen.
„Nein warte mal. Ihr habt nicht das gemacht was ich gerade vermute oder? Ihr..“ die Frau stotterte und war nun total verunsichert. Jo hatte jedoch schon längst begriffen was sie damit versuchte zu fragen.
„Wir kennen uns seit etwa 5 stunden und in der Zeit haben wir nichts angestellt.“
„5 Stunden? Wie ist das möglich? Ich bin grad echt total verwirrt. Wer von euch ist den nun eigentlich Jess?“ Jessica hob ihre freie Hand hoch und schaute dabei schnell auf die Uhr.
„Kommt wir müssen uns beeilen. Das erklären wir dir alles später. Komm einfach mit.“ Schnell wurden die restlichen Sachen gesucht und gefunden. Nach dem Einkauf fuhren alle drei zur Pension, denn Silke und Peter bestanden drauf, dass Ricarda auf jeden Fall bei ihnen zusammen mit Johanna diese Nacht verbringen sollte. Zimmer gab es genug, somit herrschte es nicht an Platzmangel.
Die Verwirrung bei Mandy, Jess Freundin oder so was in der Art, brachte die beiden Zwillinge auf eine, aus ihrer Sicht lustige Idee. Beide steigen aus dem Wagen und Jess klopfte an die Zimmertür von Ricarda. Sie Öffnete und viel sofort der Fremden um den Hals ohne es zu ahnen.
„Ach Baby. Wieso hat es den so lange gedauert und was ist den passiert, ich konnte dich nicht erreichen und habe mir….“ Erst jetzt erblickte sie Jo, die neben der Tür an die Wand angelehnt stand und schrie auf vor Schreck kurz auf. Genau wie Mandy starrte auch sie die beiden im Grunde identischen Frauen an und verstand nur Bahnhof. Erst als Jo endlich zu ihr kam und ihr eine Kuss gab, realisierte es Ricarda und stellte natürlich unzählige Fragen nacheinander und das in einem Tempo, welches Johanna nicht mehr akustisch wahrnehmen konnte.
„Erklärungen gibt es später. Pack alle Sachen und komm mit. Die anderen warten schon alle. Das ist übrigens Jess, die du da gerade angeknutscht hast.“ Anschließend sah sie zu ihrer Schwester die grinsend dastand.
„Das ist nicht witzig. Ich habe mich echt wahnsinnig erschrocken. Erst dachte ich ein Irrer würde da stehen und gleich über uns herfallen aber dann. Ich weis nicht. Das alles ist grad echt zu viel für mich.“, erklärte Ricky und packte schnell ihre Sachen wieder ein, wobei es auch gar nicht so viele waren, lediglich ein Rücksack für sie und einer für Johanna. Auf dem Weg zum Haus erzählte Ricarda von Sandras Anruf, den sie vor einigen Stunden mit ihr geführt hatte. Alles war wie geplant verlaufen und Nadine war überglücklich, was Ricky auch beim telefonieren mitbekommen hatte, da diese im Hintergrund Jubelschreie verbreitete, die jedoch fast einem amazonischen Jagtsignal ähneln könnten.

Wieder bei dem Haus angekommen, halfen alle zusammen mit, während alle gegenseitig die Neuigkeiten erfuhren, Mandy und Ricarda kamen kaum mehr aus dem Staunen raus, bei der Erzählung von Jess und Jo. Diese wechselten sich jeweils ab beim erzählen, unterbrachen jedoch einander, gingen spielerisch aufeinander los und zerfusselten sich gegenseitig die Haare.
„Also wir haben definitiv Kleinkinder als Freundinnen“, sagte Ricky und lächelte die beiden „Kleinkinder“ an.
„Jess ist nicht meine Freundin. Leider. Ich weis überhaupt nicht mal was mit uns los ist oder was nicht.“, antwortete Mandy und seufzte, denn an dieser Stelle wünschte sie sich sehr, dass sie genauso glücklich wie Ricarda wäre und mit der Frau, die sie begehrte zusammenkommen könnte.
„Jess?“
„Wasn los Jo?
„Bei mir ist nichts los aber was geht zwischen Mandy und dir ab?“
„Das ist eine Sache nur zwischen mir und ihr.“
„So so. Die Frau ist wohl echt total verrückt nach dir. Mich wundert’s schon etwas, wieso es anscheinend dich kalt lässt. Sie ist doch echt heiß.“
„Sie lässt mich auch nicht kalt aber es ist…..schwer.“ Jess überlegte einige Sekunden. Suchte womöglich nach den passenden Worten um es besser klingen zu lassen.
„Ich habe erst vor einem halben Jahr meine Freundin verloren und daran bin nur ich schuld. Ich will einfach niemand mehr wehtun. Ich will nicht wieder in ein Tief fallen und mir ständig die Schuld geben. Ich hab es erst vor kurzen teilweise verdauert und habe einfach angst, denn Mandy sieht ihr ähnlich aus und hat einen ähnlichen Charakter wie die Frau, die sich nur meinetwegen das Leben genommen hatte. Verstehst du, ich verkrafte kein zweites Mal.“ Jo schluckte. Das kam ihr so bekannt vor dieses Gefühl und die Angst. Sie konnte Jess sehr gut erstehen, denn solche Tiefs und Situationen, in denen sie sich ähnlich füllte, hatte Johanna sehr oft in ihrem Leben erlebt. Keinesfalls vergleichbar mit dieser, aber einige Parallelen gab es auf jeden Fall.
„Rede mit ihr. Erkläre es ihr. Worte und Kommunikation sind verdammt wichtig in einer Beziehung oder Freundschaft. Reden ist immer wichtig.“ Jess schwieg. Ihr fiel es offensichtlich sehr schwer über das Thema zu reden. Verständlich.

An diesem Abend versammelten sich etwa 15 Verwandte in dem Haus und feierten die Wiederkehrt der verstorben geglaubten Enkelin. Jo lernte alle kennen, konnte sich jedoch im Laufe des Abends nur schwer die Namen merken und wer alles was nun für sie war. Onkel?, Tante? Cousine welchen Grades? Doch dies hatte Zeit. Viel Zeit. Johanna hatte nun endlich das gefunden, was sie sich so lange schon gewünscht hatte. Eine Familie. Ihr Wunsch wurde ihr doch noch erfüllt.
Als fast alle sich schon verabschiedet hatten und es bereits nach Mitternacht war, hörte Jo, wie Jessica mit Mandy sprach. Sie verstand sofort um was es ging. Es hatte ihrem Ratschlag befolg. Dies machte Johanna umso glücklicher, denn gleich am ersten Tag und schon so eine tolle Atmosphäre und Verständnis untereinander. Herrlich. Dabei empfand Jo nicht mal ein komisches Gefühl der Unsicherheit oder den Eindruck, hier wäre alles fremd. Im Gegenteil, sie füllte sie wie daheim. Nein es was ihr Heim. Ein echtes Zuhause mit Angehörigen, die sie liebten und die Freude durch Umarmungen und Tränen an diesem Abend zum Ausdruck brachten. Vor allem Silke und Peter waren sehr glücklich und ließen Jo kaum aus den Armen den ganzen Abend lang.
Die Nacht verbrachten Johanna und Ricarda im Gästezimmer, denn Morgen warteten auf beide und vor allem auf Johanna ein neuer spannender Tag mit all denn tollen neuen Dingen, die sie nun erleben würde mit ihrer neune Familie.
„Schatz ich danke dir über alles, was du für mich getan hast. Das ist das schönste was mir je passiert ist, nach dir natürlich. Ich bin so überglücklich und froh dich zu haben. Du hast es durchgezogen und hast nicht aufgegeben, wie ich das tat. Danke.“, sagte Johanna, als die beiden bereits im Bett lagen. Mandy blieb ebenfalls nach dem Gespräch im Haus. Jo war sehr davon überzeugt, dass dies ein gutes Zeichen war.
„Du musst mir nicht danken, denn ich hab es so gern für dich getan. Dich heute so strahlen zu sehen war einfach ein wunderschöner Anblick, den ich wohl nie wieder vergessen werde. Jess und du. Ihr versteht euch jetzt schon so gut. Das ist wunderbar, finde ich.“
„Ja das ist es in der Tat. Wer hätte das gedacht. Mein Glück befand sich die ganze Zeit 600 km von mir entfernt. Gar nicht mal so weit weg.“, lächelte Jo, drehte sich zu Ricarda um und küsste sie zärtlich.
„Was hast du eigentlich morgen vor?“, fragte sie zwischendurch.
„Als Erstes werde ich meine Eltern besuchen und dann..“ Jo machte eine kurze Pause und küsste Ricky erneut.
„Ach es gibt viel was ich machen will und unbedingt nachholen muss. Viel. Sehr viel.“

ENDE
------------------------------ -----------
Alles muss einmal ein Ende haben auch, wenn Manches länger dauert als das Andere.
Diese Geschichte ist nun ebenfalls zu Ende und ich danke allen, die sie gelesen haben.
Ich hoffe sehr, dass wir uns auch in Zukunft bei einer neuen Story lesen werden.

Liebe Grüße

Anastasia alias FleXy



copyright © by AJ_Fox. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.



Kommentare


supi
ja, die geschichte is echt klasse, bin zufällig über den 1. teil gestolpert und konnte gar net mehr aufhören mit lesen ^^

richtig gut
Parzyan - 19.06.2012 16:51
***(danke)***
AJ_Fox - 18.11.2011 13:10
***(danke)***
AJ_Fox - 18.11.2011 13:09
:)
ju_ki - 04.07.2011 02:12
einfach toll
nevermorelove81 - 25.02.2009 00:47

mehr Kommentare


>>> Laufband-Message ab nur 5,95 € für 3 Tage! <<<