von dalmatinka
Wie jeden Sommer, während meiner Kindheit und Jugend, verbrachte ich die Schulferien bei den Großeltern an der Adria. Doch dieses Jahr war etwas anders. Genauer gesagt, vieles war nicht mehr so wie sonst. Es herrschte Krieg in Kroatien und Bosnien und Herzegowina. Im slowenischen Erholungsheim, das unterhalb des Hauses meiner Großeltern lag, waren nicht mehr wie früher die Angestellten eines Unternehmens untergebracht, sondern Vertriebene und Flüchtlinge. Sogar alle Hotels in den Touristenorten mussten Kriegsflüchtlinge beherbergen. In vielen Zweibettzimmern der Hotelanlagen, in denen sonst Urlauber einige Tage oder Wochen übernachteten, lebten fortan mehrköpfige Familien.
Männer waren in der Minderheit, vor allem Frauen mit Kindern bewohnten nun vorübergehend die Erholungsheime und Hotels. Wobei für viele aus diesem "vorübergehenden Zustand" Jahre wurden, die sie gezwungen waren fern ihrer Heimatstadt zu hausen.
Bald wusste man, ohne überhaupt nachfragen zu müssen, wo die einzelnen Menschen herkamen. Die meisten waren aus Vukovar und Sarajevo. Man erfuhr, der Vater von dem da ist gefallen und der dort drüben hatte nie einen (so sprachen sie über einen nichtehelichen Jungen).
Ich war damals 14 und freute mich so viele neue Spielgefährten in meinem Alter zu haben, aber auch die ganz Kleinen hatten bald einen Narren an mir gefressen. Sie riefen mich nicht beim Vornamen (obwohl ich ihnen gesagt hatte, wie ich hieß), sondern nannten mich anfänglich nur ehrfürchtig "Frau", wohl auf Grund meiner Ernsthaftigkeit und Körperfülle.
Wie kleine Äffchen klammerten sie sich um meine Beine und die etwas größeren um meine Hüfte und flehten mich an "Frau, dreh mich", was ich auch solange tat bis meine Arme schmerzten und ich nicht mehr konnte. Ich hatte manchmal Angst, dass mich die Kraft plötzlich verlassen könnte und mir eins der Kinder, obwohl ich es fest hielt, aus den Händen gleiten würde, während ich es umherwirbelte. Zum Glück ist das aber nie passiert.
Sie standen um mich rum und wenn sie dachten, dass ich jemand von ihnen lange genug gedreht hatte, protestieren sie: "sie/er war lange genug dran, jetzt bin ich an der Reihe".
Die anderen Jugendlichen gaben sich fast überhaupt nicht mit den kleineren Kindern ab, es sei denn es waren ihre Geschwister und sie mussten auf sie aufpassen. In den verschiedenen Gebäuden des Erholungsheims lebten nun viele Gleichaltrige und da sie auch Ferien hatten, konnten wir den ganzen Tag spielen, schwimmen oder spazieren gehen, reden, Musik hören oder tun wonach uns gerade der Sinn stand.
Es gab keinen mit dem ich mich nicht verstand, aber von Anfang an hatte ich einen speziellen Draht zu einem exotisch aussehenden Mädchen aus der belagerten bosnischen Hauptstadt. Sie hatte lange schwarze Haare, große kluge Augen und einen sehr dunklen Teint – und ich war fasziniert von ihrem Wesen und von ihrer Schönheit. Zwar waren die anderen auch braun gebrannt, aber sie hatte von Natur aus diese Hautfarbe, die manche sogar denken ließ, sie sei eine Mulattin. Zuerst hatte ich nur ihren Spitznamen aufgeschnappt und erfuhr erst später von ihr selbst ihren richtigen Namen.
Sie war ein Einzelkind und mit ihrer Mutter in dem Heim. Ihr Vater war an der Front in Bosnien, zumindest hofften das ihre Mutter und sie. "Besser an der Front und am Leben als tot", diesen Satz hörte man damals oft.
Ich erinnere mich nicht mehr genau, was die ersten Worte waren, die sie und ich gewechselt haben. Wahrscheinlich war es so etwas Gewöhnliches wie: "hallo, ich bin X. Und wie heißt du?" Jedenfalls waren wir schon bald unzertrennlich. Ich hatte noch nie so ein außergewöhnlich hübsches Mädchen wie sie gesehen und normalerweise war es mir auch egal, wie meine Freunde aussahen. Ich bemerkte, dass auch ich mich verändert hatte. Plötzlich nahm ich so Dinge wie Ausstrahlung wahr und ihre war in meinen Augen gewiss überwältigend. Für mich war sie etwas Besonderes und zu jener Zeit konnte ich noch gar nicht ahnen, dass sie das für mich auch bis heute bleiben würde.
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tbc
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dalmatinka. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.