von Regentrude
Meine beste Freundin ist meine Armbanduhr.
Sie ist zuverlässig, stabil, wasserfest und von großem Wert für mich.
Ohne sie wär mein Leben eine chaosgetränkte Landschaft im Universum meiner Termine.
Sie ermöglicht mir pünktlich zu sein, meine Verabredungen ernst zu nehmen und meine Tage zu planen.
In drei Stunden fahr ich wieder. Nirgends bin ich länger als 2 Tage. Das macht es einfach sich zu trennen und schwer sich zu finden. Wenn du pünktlich bist, dann geht mein Plan auf!
Es ist lange her das ich in deiner Stadt zu Gast war, sie war nicht wirtlich oder sonderlich gut zu mir. Heute sollte sich das ändern.
Ich schiebe meinen Trolley in die Lobby meines Hotels und lass mich zum reservierten Tisch führen. Ein Glas Wein werde ich noch ohne dich trinken, dafür reicht die Zeit noch.
Ein Glas zum Abspannen und wieder aufziehen. Aufziehen für dich.
Es ist 20 vor acht und ich genieße den Merlot auf meiner Zunge, zeitlos.
Ich weiß das du nie pünktlich warst und es anscheinend auch nie sein wirst, daher bestelle ich nach meinem ersten Glas schon die Speisekarte.
Wir haben diesen Abend seit Monaten geplant und es kribbelt etwas in mir dich wieder zu sehen. Schon lange schreiben wir keine Briefe mehr. Wohin auch wenn niemand ein zu hause hat. Ein paar Mails mit spärlichen Daten, das beste heben wir uns für solche Abende auf.
Ja, darauf freu ich mich. Es ist wie eine Art bezahlter Kurzurlaub.
Ich freu mich auf die Sonne im Gesicht, die Wärme im Herzen und die danach entstehende leichte Sommerbräune in meinem Gemüt.
An solchen Abenden möchte ich dein Leben aus deinem Rotwein benetzten Munde hören.
Warum schreiben wir uns eigentlich keine Kurzmitteilungen oder telefonieren öfter miteinander?
Es ist acht vor acht und ich ergieße meine Gedanken in die Speisekarte. Für heute Abend möchte ich etwas Besonderes auf den Tisch haben, daher studier ich genau was mir geboten werden kann.
Ist es unverfroren wenn ich ein kleines Menü für uns zusammenstelle? Ich weiß noch genau was du gerne isst und vor allem was du nicht gern isst.
Den passenden Wein dazu suche ich danach aus, nach meinem Schoppen.
Wann haben wir uns eigentlich das letzte Mal gesehen? Zeit für einander gehabt?
Ist das wirklich schon so viele Monate her?
Meine Uhr spricht von Jahren.
Es ist exakt acht Uhr und du bist nicht da!
Ich muss unwillkürlich lächeln weil es dir so ähnlich sieht und mit unbändiger Freude male ich mir die Szene aus wenn du zur Tür hereingestürzt kommst und mir die abenteuerlichsten Ausreden auftischen willst.
Ich geh das Menu noch einmal durch, streiche und bestelle was hinzu, gebe aber noch nichts auf. Beim Nachtisch komm ich ins Überlegen.
Zumeist war ich dein Nachtisch aber auch das ist schon zu lange her um wahr zu sein.
Aber ich weiß noch das lächeln und den Glanz deiner Augen bei der ersten Zigarette.
Rauchst du eigentlich noch?
Es ist 9 Minuten nach acht und ich denke ich geh kurz auf die Toilette, mich etwas frisch machen.
Ich sage dem Kellner bescheid. Du musst nur noch das Hotelrestaurante betreten und nach der Reservierung fragen.
Ich schau in den Spiegel der Damentoilette und zähle die Falten an meinen Augen. Bis jetzt sind es Lachfalten die nach dem Lachen wieder verschwinden. Aber was wenn sie bleiben?
Vor Aufregung ist mir leicht übel. Ist das die Wiedersehensfreude?
Es ist dieses leichte Kribbeln im Bauch. Ich trockne meine Hände ab und lege noch einmal etwas Make-up auf. Nicht zuviel.
Verzweifelt mag ich nicht aussehen. Dezent unterstreichend was ich bin und nicht dick auftragend was ich sein könnte.
Ich verliere mich kurz im Schwarz meiner Pupillen, diese meinigen Augen, die du so oft in Liedern besungen hast. Liebst du ihr Schwarz immer noch?
Ich geh zurück zu meinem Platz, nicht bevor ich den Kellner gefragt hab ob jemand angerufen hat oder schon da war um wieder zu gehen. Er verneint beides.
Es ist 20 nach acht.
Ein wenig werde ich unruhig, ich bin so was nicht mehr gewöhnt. Mein Beruf verlangt die akkurate Einhaltung von Zeiteinheiten.
Ich bestelle noch ein Glas Wein, ohne dich möchte ich nicht anfangen. Denn das ist nicht mein sondern unser Abend.
Der Abstand mit dem ich auf meine beste Freundin schaue und auch auf dieselbige warte verkürzt sich drastisch.
Auf dem Stuhl rutschend versuche ich mich abzulenken, nicht an meine nächsten Termine zu denken.
Nicht an morgen. Nur an das jetzt und hier und an dich.
Ich freu mich ungetrübt während das Ticken in mir lauter wird. Ich schaue kurz auf mein Handy, vielleicht hast du ja versucht anzurufen oder mir geschrieben aber nur die Zeitangabe lacht mich an.
Halb neun und ich leere mein Glas mit Besorgnis um dich. Hoffentlich bist du nicht krank geworden. Diese Jahreszeit ist deine Fieberzeit. Wie viele Nächte hab ich mir um die Ohren geschlagen um dir mit Wadenwickeln die Hitze aus dem Leib zu treiben.
Macht es Sinn die Bestellung jetzt schon aufzugeben?
Ich frage den Kellner erneut nach einem Anruf. Er versichert mir dass niemand für mich angerufen hat und er sich sofort melden würde wenn es so wäre.
Leichter Hunger schleicht sich mir ein und ich spiele mit dem Gedanken etwas Kleines zu bestellen um mich nicht später vor dir zu blamieren in dem ich alles in mich hineinschlinge was sich nicht am Tellerrand festhält.
Ich schiebe mein leeres Weinglas auf der weißen Tischdecke hin und her. Die Figuren die diese Prozedur ergibt, erinnert mich an unsere ersten Schneeengel. Ob du sie wohl grad mit einer anderen machst? Aber es liegt gar kein Schnee!
Es ist schon so lang her das du einmal von jemand gesprochen hast der sich in dein Herz gestohlen hat. Ich kann nur hoffen dass du glücklich bist und mir gleich davon erzählen wirst.
Es ist 13 Minuten vor neun und mittlerweile habe ich die kleine bunt bestückte Vase vor mir analysiert.
Vier weiße Margeriten, vier lachsfarbene Rosen, vier Stängel Weidenkätzchen und etwas Farn zur farblichen Abstimmung.
Auch das dritte Glas Wein was ich mir nun bestelle besänftigt mich nicht. Der hundertste Blick zum Handy, der tausendste zur Uhr und der Kellner scheint sich langsam belästigt zu fühlen. Ich versuche dich anzurufen aber du gehst nicht ran. Ein paar mal wiederhole ich dieses Spiel aber nichts passiert. Nach dem vierten Male spreche ich dir auf deine Mailbox.
„Ich mache mir Sorgen! Bitte ruf zurück!“
Ich gehe gedanklich meine Termine noch einmal durch. Ist heute wirklich der Tag an dem wir uns treffen wollten? Ist das die Uhrzeit? Dieses Restaurante? Diese Stadt? Deine Stadt!
Ich bestelle mir einen leichten Salat. Drei Gläser Wein ohne etwas zu Essen im Magen, das macht mich nicht kommunikativer als jeden Heckenpenner vorm Ritz.
Punkt 21 Uhr!
Noch einmal, in guter Hoffnung, geh ich mich frisch machen. Schau noch einmal in mein taggelebtes Gesicht und versuche die Tränensäcke abzudecken. An unserem Abend möchte ich nicht allzu müde aus der Wäsche schauen.
Der Salat hier ist fantastisch aber für heut Abend möchte ich erstmal kein weiteres Glas Wein. Es ist nicht nur an dem das mich der Kellner langsam für eine versnobte Säuferin halten muss sondern viel mehr befürchte ich dass er mich müde macht. Zu müde für dich. Für uns!
Ein Glas Wasser tut es auch.
Warum habe ich keine Nachricht von dir auf meinem Handy? Kein Anruf in der Lobby für mich oder ein Telegram. Wo auch immer du bist, schaffst du es nicht mir abzusagen?
Meiner Freude weicht leichter Enttäuschung aber wenn du jetzt grad zur Türe hereinkämst wäre auch die ohne tiefe Wunden wieder vergessen.
Aber das tust du nicht.
Einer meiner größten Ängste steigt in mir empor. Hast du mich etwa vergessen?
Sind wir uns denn so unwichtig geworden das wir einander vergessen?
Wir haben solange geplant und uns doch beide gefreut oder?
Ich verbeiße mir meine Wuttränen die langsam in mir aufsteigen.
Wieso verletzt mich das so sehr?
Hab ich mich zu sehr auf jemanden gefreut, der mich einfach vergessen hat?
Meine Seufzer werden tiefer bleiben aber ungehört durch die leichte Musik die den Saal durchtränkt. Es ist ein Lied über Müdigkeit. Kennst du es noch?
„Du bist sehr Müde Liebling, das ist dir anzusehen!“
Es ist bald halb 10 und ich muss mich mit dem Gedanken anfreunden das du heute und anscheinend auch in Zukunft nicht mehr auftauchen wirst.
Ist es so wie das letzte Mal in dieser, deiner Stadt?
Das dir die Wärme einer kurzen Nacht wichtiger ist als ein gutes Essen mit der Frau von der Du immer gesagt hast das sie die Liebe deines Lebens ist?
Bekomme ich wieder die Quittung für ein Leben ohne dich?
Die Rechnung heut Abend läuft auf meinen Namen.
Es klingt in meinen Ohren. „Der Gedanke dich zu sehen gab mir soviel Elan!“
Ich habe aufgehört den Kellner etwas zu fragen aber dafür geb ich ihm ein gutes Trinkgeld.
Für all meine Fragen nach dir. Für den Wein, der nur allzu schlechter Ersatz für dein Lächeln ist. An der Rezeption verabschiedet man mich noch einmal professionell und wahrscheinlich können die das in 24 anderen Sprachen auch. Aber niemand nimmt mich in den Arm und drückt mich noch einmal so liebevoll das es bis zum nächsten Wiedersehen reicht. Vom Concierge möchte ich es auch ehrlich gesagt nicht.
Ich lasse mir noch ein Taxi kommen und schaue noch einmal zur Uhr. Es ist 7 vor 10 Uhr. Das Taxi braucht 20 Minuten bis zum Flughafen.
Punkt 11 Uhr verlasse ich fliegend deine Stadt. Nachdem ich das Taxi bezahlt habe schau ich noch einmal auf mein Handy. 22:17 Uhr lacht es mich aus.
Ich check ein und vertreib mir die zeit mit einigen Artikeln die ich während des Fluges noch bearbeiten muss.
Ich lande im Morgengrauen, mit unausgeschlafenen Augen auf dem Weg zum nächsten Meeting. Der Kaffe konserviert mich aber macht mich deswegen auch nicht brauchbarer als zuvor. Nach einigen Stunden schau ich auf mein Handy und tatsächlich gibt es eine Nachricht für mich. Ich höre mein Mailbox ab und endlich auch deine Stimme. Ich bin so froh dass es dich noch gibt, dass du mich nicht vergessen hast.
„Hi. Du mit gestern Abend. Das tut mir echt Sorry aber mir is was dazwischen gekommen!“
Was könnte das wohl sein? Eine Herz- oder Nierentransplantation? Aber bevor ich denke was ich schon erahnt habe sprichst du weiter.
„Naja also n´Bett is mir dazwischen gekommen. Wir wollten es eigentlich gar nicht aber...“
Bis hierher und nicht weiter. Ich lege auf. Ich muss nicht die ganze Geschichte hören, nicht schon wieder.
Nur einen Abend, nur für ein paar Stunden, WIR. Aber selbst das scheint dir nicht möglich. Für mich hing viel an diesen wenigen Stunden. Ich, Wir, haben schon zu wenige davon.
Ich habe dich schon loslassen müssen aber muss ich dich jetzt auch noch aufgeben?
Ich denke kurz an die Zeit zurück in der wir uns noch Liebe geschworen haben und an die Vernunft in unseren Worten als diese nicht mehr in unser Leben passte.
Für ein paar Stunden Freunde sein ist wohl so kaum mehr möglich.
Es gibt kein nicht wollen wenn man nicht will und es gibt auch kein aber wenn man es tut.
Es gibt nur 24 Stunden am Tag an denen ich erkennen muss dass keine davon für dich passt.
copyright © by
Regentrude. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.