von Jenny_M
So, noch ein Text/Tagebucheintrag aus "Lebenseindrücke". Viel Spaß beim Lesen,diesmal weniger dramatisch ;)
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Kinderfotos. Ich hatte sie schon immer vermieden. Irgendetwas stimmte mit denen nicht und je öfter ich sie ansah desto fremder kamen sie mir vor. Der Floridaurlaub 1995, ich als vierjähriges Skelettgestell am Swimmingpool des Hotels. Ich mit sechs am Strand, immer im Wasser. Ein siebenjähriges kleines Mädchen das in die Kamera lugt während sie im Garten Basketball spielt. Trübe Erinnerungen an ein Leben das so weit weg scheint, dass es wie im Traum verblasst. Kinderfotos. Ja ich war ein komisches Kind. Nie habe ich gelächelt, auf Gruppenfotos schon gar nicht. Dabei habe ich mir sagen lassen, dass ich eigentlich sehr fröhlich gewesen war. Ich hatte mich auch nie großartig unglücklich gefühlt. Ich war eben ein Kind gewesen. Dinge, die mir nicht gepasst hatten, waren unmissverständlich verdrängt worden. Heute mitten in dieser Rückfallphase, die vor einigen Tagen begonnen hatte, war ich beim Aufräumen darauf gestoßen. In dem großen Schrank im Wohnzimmer, etliche Fotoalben. Aus irgendeinem Grund hatte ich sie nicht wie immer gleich wieder verstaut. Später hatte ich es bereut. Ich sah nur immer wieder dieses Mädchen, das mein Gesicht hatte. Ein komisches Gesicht. Nie ein richtiger Ausdruck, immer vor sich hin grübelnd, schon immer alles in Frage stellend. Ich erschrak über die Bilder diverser Familienfeiern, die mir so fremd vorkamen als wären sie die einer anderen Person und plötzlich war es so als hätte ich nie eine Vergangenheit gehabt. Und wenn da etwas gewesen war dann nur dieses Bewusstsein der Andersartigkeit, immer in meinem Hinterkopf. Präsent und unbewusst. Etwas, das mich schon immer von anderen abgeschirmt hatte. Und ich sah es in jedem Bild und jedem lächeln, dass, auch wenn ich mir damals nicht darüber bewusst war, ich genau verstanden hatte, dass ich nicht war wie andere Kinder in meinem Alter. Das war das einzige was mir von früher geblieben war. Ein sonderbares Gefühl, immer am Rande des Geschehens zu stehen. Die Fotos liegen wieder im Schrank. Zwei habe ich mir herausgenommen, sie kleben an meiner Fotowand. Meine Cousine Tanita und ich lachend und spielend mit Legobausteinen auf dem Fußboden des Kinderzimmers. Wir sehen aus wie zwei völlig normale Kinder. Und ein Klassenfoto aus der ersten Klasse. Ich mit kurzen dunkelblonden Haaren, Jeans und einem schwarzen Pullover mit meinen Lieblingsturnschuhen neben meinen besten Freunden, die so selbstverständlich hingenommen hatten, für die es auch keine Rolle spielte, dass ich aussah wie der Nachbarsjunge.
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Jenny_M. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.